Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Der schöne Tod des Trinkers
Gastspiel beim Greizer Theaterherbst: Wandertheater „Ton und Kirschen“entwickelt in seiner „Legende vom heiligen Trinker“nostalgischen Zauber
Dem Pariser Clochard Andreas (Rob Wyn Jones) gibt ein kleiner feiner Herr (David Johnston) in dunklem Mantel unverhofft 200 Franc. Er möge das Geld in einer bestimmten Kirche der Heiligen Therese stiften. Zwar möchte Andreas Wort halten, doch kommt dem Trinker ständig etwas dazwischen: mal ein Gelegenheitsjob, mal eine schöne Frau, dann wieder ein alter Bekannter. Und zu all diesen angenehmen Gelegenheiten fließt der Alkohol in Strömen. Obendrein scheint sich das Geld in Andreas’ Fingern auf wundersame Weise zu vermehren, obwohl er es mit vollen Händen ausgibt.
Am Mittwochabend gastierte im Rahmen des Greizer Theaterherbstes das Wandertheater „Ton und Kirschen“aus Werder (Havel) in der Vogtlandhalle. Die internationale Truppe präsentierte Joseph Roths „Die Legende vom heiligen Trinker“. Der österreichische Schriftsteller schrieb seine märchenhafte Novelle kurz vor seinem Tod im Jahr 1939. Die autobiografisch geprägte Geschichte – auch Roth war Alkoholiker – endet ebenfalls mit dem plötzlichen Ableben des Protagonisten – und schließt mit dem Satz: „Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod!“
Flatternde Stoffbahnen, sich drehende Bühnenelemente und unzählige Kostüme: Das sechsköpfige Schauspiel-ensemble aus Brandenburg wechselt die Szenen beinah in Filmgeschwindigkeit. Ob Straßenszene mit Radfahrer, Zeitungsverkäufer und Gendarmen, Luxushotel mit opulenten Vorhängen, Nachtclub oder Kirchportal – mit wenigen Mitteln, aber unglaublicher Liebe zum Detail lässt das Sextett die 30er-jahre wieder aufleben.
Bilderreiches, hochkomisches Wandertheater
Bevölkert wird das bilderreiche Stück von den kuriosesten Typen, die zeitgenössischen Karikaturen entstiegen zu sein scheinen. Großartig etwa der reiche, beleibte Säufer, der in bester Slapstickmanier mit einer Stehlampe ringt. Oder der italienische Barbier, der in flatterhafter Betriebsamkeit Andreas die Haare stutzt. Ein großer Spaß ist auch die Umzugsszene, die bei „Ton und Kirschen“zur brillanten Dressurnummer gerät.
Für jede Szene hat das künstlerische Leitungsgespann Margarete Biereye und David Johnston eine eigenwillige, aber treffende Entsprechung gefunden. Ihr Wandertheater entwickelt einen nostalgischen Zauber von ansteckender Leichtigkeit.
Der Theaterherbst präsentiert noch bis kommenden Donnerstag eigene Werkstatt-aufführungen und Gastspiele. Das Programm: www.theaterherbst.de