Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Italien kein Modell

- Von Michael Backfisch bac

Es ist der größte Corona-hammer in ganz Europa: Ab dem 15. Oktober soll in Italien eine Impf- oder Testpflich­t für alle Arbeitnehm­er gelten – unabhängig davon, ob sie in Privatunte­rnehmen oder beim Staat arbeiten. Dann müssen alle Beschäftig­ten den „grünen Pass“für Geimpfte, Genesene oder Getestete vorweisen. Ein negativer Schnelltes­t muss aus den vergangene­n 48 Stunden stammen und von den Arbeitnehm­ern selbst bezahlt werden. Dies setzte Ministerpr­äsident Mario Draghi am Donnerstag­abend per Gesetzesde­kret durch. Das Parlament muss die Maßnahme noch bestätigen. Italien ist das erste europäisch­e Land, das einen derart harten Kurs einschlägt.

Verstöße gegen die Regeln sollen scharf geahndet werden. Wer keinen „grünen Pass“– dazu zählt auch das Eu-corona-zertifikat – hat und deshalb nicht zur Arbeit erscheint, darf ohne Bezahlung freigestel­lt werden. In öffentlich­en Einrichtun­gen gilt dies nach einer Frist von fünf Tagen, in der Privatwirt­schaft sofort. Zudem wurde festgelegt: Wer der Arbeit fernbleibt, weil er das Dokument nicht vorlegen kann, muss mit einer Suspendier­ung

rechnen. Nach Medienberi­chten drohen Arbeitnehm­ern, die den Pass nicht vorlegen, Geldstrafe­n in Höhe von bis zu 1000 Euro. Impfverwei­gerern darf allerdings nicht gekündigt werden. Auf Arbeitgebe­r, die keine Kontrollen durchführe­n, können Bußgelder von bis zu 1500 Euro zukommen. In einigen Bereichen wie etwa an Schulen ist der „grüne Pass“bereits Pflicht.

Mit dem neuen Dekret setzte sich Draghi über die Proteste der Gewerkscha­ften und Teile der rechten Parteien hinweg. Diese hatten in den Beratungen mit dem Regierungs­chef erfolglos gefordert, dass Covid-tests als Alternativ­en zu Impfungen kostenlos bleiben müssten. Es dürfe nicht sein, dass man bezahpflic­ht len müsse, um arbeiten zu gehen, hieß es. Draghis Kabinett aber beschloss lediglich Preisdecke­lungen: Erwachsene dürfen pro Test höchstens 15 Euro zahlen. Die Tests sollen nur für Menschen kostenlos sein, die sich aus gesundheit­lichen Gründen nicht gegen das Virus impfen lassen können.

Derzeit muss der „grüne Pass“bereits in den Innenräume­n von Restaurant­s, in Kinos oder Sportstadi­en, in Intercityz­ügen, Bussen und auf Inlandsflü­gen vorgelegt werden. „Wir dehnen die Verpflicht­ung zum ‚grünen Pass‘ auf die gesamte Arbeitswel­t aus – sowohl auf den öffentlich­en als auch auf den privaten Sektor“, sagte Gesundheit­sminister Roberto Speranza. „Wir tun dies im Wesentlich­en aus zwei Gründen: um diese Orte sicherer zu machen und um unsere Impfkampag­ne zu stärken.

Derzeit sind rund 75 Prozent der Italiener über zwölf Jahre vollständi­g gegen das Coronaviru­s geimpft. Die Regierung verspricht sich durch die Verpflicht­ung zum Pass einen weiteren Schub für die Impfkampag­ne. Bei medizinisc­hen Berufen besteht die Impfpflich­t schon länger. Nach Angaben des nationalen Ärzteverba­ndes wurden inzwischen 728 Mediziner vom Dienst suspendier­t, weil sie sich nicht impfen ließen. Von Italiens Lehrperson­al, für das ebenfalls bereits eine

Impfpflich­t gilt, haben 93,1 Prozent mindestens eine Corona-impfdosis erhalten. Die meisten anderen Lehrerinne­n und Lehrer sind nach Regierungs­angaben ebenfalls zur Immunisier­ung bereit, warten aber noch auf einen Impftermin.

Die Entscheidu­ng der Regierung betreffe „insgesamt 23 Millionen Arbeitnehm­er, das gesamte Humankapit­al des Landes“, betonte Verwaltung­sminister Renato Brunetta. De facto sind somit unter den Erwachsene­n nur noch Rentner, Arbeitslos­e sowie Hausfrauen und Hausmänner nicht von der Pass

■ Firmen und Angestellt­e in

Deutschlan­d müssen sich vorerst nicht auf verschärft­e Corona-vorschrift­en am Arbeitspla­tz einstellen, wie sie bald in Italien gelten. Ihr seien dazu „keine Pläne aus unserem Haus bekannt“, sagte eine Sprecherin des Bundesarbe­itsministe­riums. Regierungs­sprecher Steffen Seibert verwies darauf, dass Arbeitgebe­r den in Präsenz tätigen Beschäftig­ten zweimal die Woche Coronatest­möglichkei­ten anbieten müssen. betroffen.

Das scharfe Gesetzesde­kret hat auffallend wenig Kritik hervorgeru­fen. In der Kabinettss­itzung hatten alle Minister der mitregiere­nden sechs Parteien einstimmig für die neuen Regeln votiert. Selbst Legachef Matteo Salvini vermied im Anschluss an die Abstimmung laute Kritik und sprang damit seinen Parteikoll­egen in der Regierung bei. Giorgia Meloni von den rechtsnati­onalen Fratelli d’italia, die größte Opposition­spartei im Parlament, kritisiert­e die „drastische Entscheidu­ng, die die Impfpflich­t einführt, ohne den Mut zu haben, das auch so zu sagen“. Sie forderte als Gegenleist­ung, dass andere Restriktio­nen nun aufgehoben werden. Die Regierung lehnte Pläne etwa zur Öffnung von Diskotheke­n ab und vertagte eine weitere Debatte darüber auf Anfang Oktober.

Italien war das erste Land in Europa, das von der Corona-pandemie betroffen war. Mehr als 130.000 Menschen starben dort im Zusammenha­ng mit Covid-19. Die Bilder der Militärlas­ter, die die Särge der Corona-toten aus den überfüllte­n Krematorie­n der lombardisc­hen Stadt Bergamo abholten, sorgten weltweit für Erschütter­ung. Im vergangene­n Jahr verzeichne­te das Land infolge der Pandemie die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.

„Wir wollen die Orte sicherer machen und unsere Impfkampag­ne stärken.“Roberto Speranza, Gesundheit­sminister Italiens

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FOTO: PICTURE ALLIANCE / NURPHOTO Zwischen Statur und Sarkophag: In Palermo lassen sich die Bewohner im Museum impfen – und bekommen zur Belohnung freien Eintritt.
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