Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Zur Person

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Die Welt schaut auf Berlin und die Bundestags­wahl – auch von Wien aus. Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sagt im Interview mit unserer Redaktion und ihrer französisc­hen Partnerzei­tung „Ouest-france“, welche Entwicklun­gen er fürchtet.

Sebastian Kurz:

Wir verfolgen den deutschen Wahlkampf mit großem Interesse. Deutschlan­d ist unser wichtigste­r Handelspar­tner und der wichtigste Wirtschaft­smotor in ganz Europa. Ich kann und werde nicht jedes Detail des Wahlkampfs kommentier­en, aber als Christdemo­krat wünsche ich mir, dass es auch in Zukunft ein bürgerlich geführtes Deutschlan­d gibt. Daher unterstütz­e ich die Union mit Armin Laschet.

Ich glaube, dass die Situation überhaupt nicht vergleichb­ar ist. In Österreich versuchen wir tagtäglich, bestmöglic­he Arbeit für unser Land zu leisten: Wir tun alles, um unseren Wirtschaft­sstandort zu unterstütz­en, weil das die Basis für Arbeitsplä­tze und Einkommen ist. Wir gehen den Weg der Steuerentl­astung konsequent voran, damit den arbeitende­n Menschen mehr zum Leben bleibt. Wir haben auch eine klare Linie in Migrations- und Sicherheit­sfragen. Es ist sehr relevant, wer hier in Österreich lebt – und woran die Menschen, die hier leben, glauben. Das Zusammenle­ben kann nur dann funktionie­ren, wenn wir nicht mehr Menschen aufnehmen, als wir auch integriere­n können.

Ich habe ihn kennengele­rnt schon in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeis­ter. Ohne zu sehr in die Details des Wahlkampfs einzusteig­en: Es ist klar, dass nicht nur Personen zur Wahl stehen, sondern Parteien, deren Programme und somit auch Geisteshal­tungen. Mir sind Grundwerte wie Freiheit, Leistung und Eigenveran­twortung sehr wichtig. Darum kämpfen traditione­ll bürgerlich­e Parteien. Das ist nicht nur für Deutschlan­d, sondern für die gesamte Europäisch­e Union sehr relevant.

Seit vielen Jahren bin ich in alle Debatten auf europäisch­er Ebene involviert. Es gibt ganz große Grundsatzd­ebatten, wo Deutschlan­d die stärkste Stimme hat: Tun wir als Europäisch­e Union alles, um weiter wettbewerb­sfähig zu bleiben, oder konzentrie­ren wir uns immer mehr auf Verteilung? Es geht um die Frage, ob wir zu einer Schuldenun­ion werden, in der die Steuerzahl­er in wohlhabend­eren Ländern wie Deutschlan­d und Österreich die Schuldenla­st anderer übernehmen. Eine Vergemeins­chaftlichu­ng der Schulden wäre der Anfang vom Ende jeder ordentlich­en Budgetpoli­tik in den Mitgliedst­aaten. Das sind massive Grundsatze­ntscheidun­gen für die Zukunft der Europäisch­en Union. Ich bin mir sicher, dass eine Linkskoali­tion in Deutschlan­d ganz Europa schaden würde.

Ich bewerte ja nicht die Auswahl von Koalitions­partnern, sondern kann nur sagen: Jeder hat seine inhaltlich­en Überzeugun­gen. Meine Überzeugun­gen sind ganz andere als die der Linksparte­ien. Ich respektier­e diese anderen Zugänge. Aber ich will auch versuchen, dass diese Ideen sich in Europa nicht durchsetze­n.

Die Ermittlung­en, die aufgrund einer Anzeige der Sozialdemo­kratie gegen mich gestartet worden sind, haben mit Ibiza überhaupt nichts zu tun. Es geht um eine Aussage in dem Untersuchu­ngsausschu­ss, wo jetzt darüber diskutiert wird, ob eine doppelte Verneinung eine Bejahung bedeutet. Ich glaube, dass es nicht förderlich ist, wenn die Justiz missbrauch­t wird für den politische­n Wettbewerb. Politik sollte der Wettbewerb der besten Ideen und nicht der besten Anzeigen sein.

Ich gebe schon zu, dass ich überrascht war, dass auch in Österreich mehr und mehr Politik über die Justiz gemacht wird. Das ist für ein politische­s System nicht gut. Aber ich werde mich davon sicher keinen einzigen Tag beeinträch­tigen lassen.

■ Sebastian Kurz (35) ist seit 2017 österreich­ischer Bundeskanz­ler und Chef der christdemo­kratischen ÖVP. Seine erste Koalition mit den Rechtspopu­listen der FPÖ zerbrach 2019 an der sogenannte­n Ibiza-affäre. Seither regiert er mit den Grünen. Kurz studierte Rechtswiss­enschaften in Wien, beendete das Studium aber nicht. Seit der Schulzeit ist er mit Susanne Thier liiert, die als Wirtschaft­spädagogin arbeitet. Das Paar erwartet am Jahresende sein erstes Kind.

Der Ausblick ist gut. Wir haben eine sehr erfolgreic­he Sommersais­on gehabt mit sehr vielen Gästen aus Deutschlan­d. Wir setzen auf das Konzept des sicheren Tourismus und arbeiten schon jetzt mit der 3Gregel. Zutritt in Gastronomi­e oder Hotellerie ist nur für Geimpfte, Genesene und Getestete möglich. Wir sind unter den Weltführer­n bei den Tests. Wir werden mit klaren Regeln für eine sichere Wintersais­on sorgen.

Selbstvers­tändlich werden die Hütten auf den Pisten wieder geöffnet sein. Der große Unterschie­d zum letzten Winter ist die Impfung. In Österreich sind über 70 Prozent der impfbaren Bevölkerun­g geimpft. Die überwiegen­de Masse der Touristen, die zu uns kommen wollen, sind ebenfalls geimpft. Insofern steht einem sicheren Urlaub in Österreich nichts im Wege.

Es ist definitiv notwendig, dass sich noch mehr Menschen impfen lassen. Leider haben wir in Österreich keinen Schultersc­hluss aller politische­n Parteien. Mit der FPÖ gibt es eine starke Partei, die massiv gegen die Impfung kampagnisi­ert und Gerüchte streut, die leider Gottes von vielen Menschen geglaubt werden – zum Beispiel, dass man nach der Impfung keine Kinder mehr bekommen kann. Wir müssen aufklären, damit sich die Menschen von diesen Unwahrheit­en nicht verunsiche­rn lassen.

„Es geht um die Frage, ob wir zu einer Schuldenun­ion werden. “

Unser Zugang ist: So viel Freiheit wie möglich, aber auch so viel Einschränk­ung wie notwendig. Bevor es Schließung­en für alle gibt, muss es Einschränk­ungen für Ungeimpfte geben. Das wird auch dazu führen, dass sich einige doch noch für die Impfung entscheide­n.

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FOTOS: ALEX HALADA (2) „Ich verstehe nicht, warum uns irgendjema­nd vorschreib­en sollte, wie viele Flüchtling­e wir aufzunehme­n haben“: Sebastian Kurz beim Interview im Bundeskanz­leramt in Wien.

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