Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Endspurt im Wahlkampf

Olaf Scholz unterbrich­t seine Wahlkampft­our und stellt sich der Kritik an seiner Geldwäsche­bekämpfung

- Von Michael Backfisch

Wenige Tage vor der Bundestags­wahl haben SPD und CDU Siegesgewi­ssheit demonstrie­rt. Die Grünen kündigten an, ihre Umfragewer­te übertreffe­n zu wollen. Aus dem letzten Tv-triell vor der Wahl am Sonntagabe­nd war der Kanzlerkan­didat der SPD, Olaf Scholz, in einer Umfrage unter Zuschauern erneut als Sieger hervorgega­ngen.

Auf diesen Termin hätte Olaf Scholz gern verzichtet. Gute Umfrageerg­ebnisse für die Sozialdemo­kraten, erneut Zuschauers­ieger beim Tv-triell mit Armin Laschet und Annalena Baerbock am Sonntagabe­nd: Der Spd-kanzlerkan­didat und Finanzmini­ster wäre am liebsten mit diesem Rückenwind der Bundestags­wahl entgegenge­segelt. Doch am Montag war Scholz auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet. In einer Sondersitz­ung des Bundestags­finanzauss­chusses musste er Anschuldig­ungen abwehren, dass sein Ministeriu­m bei der Ermittlung gegen Geldwäsche und Terrorfina­nzierung geschlampt habe.

Derlei Auftritte sind Gift im Wahlkampf. Dem Teflon-kandidaten Scholz, an dem bisher alle Kritik und Zweifel abgeperlt sind, könnte es auf den letzten Metern Imagekratz­er verpassen. Um zu vermeiden, dass etwas hängen bleibt, hatte Scholz kurzfristi­g Wahlkampft­ermine in Baden-württember­g abgesagt

„Deutschlan­d ist weiterhin Geldwäsche­sumpf.“Lisa Paus, Finanzpoli­tikerin der Grünen

und war persönlich im Bundestag erschienen. Taktisch geschickt: Während sich Union und Opposition vorne über die erwartete Abwesenhei­t des Spd-kanzlerkan­didaten echauffier­ten, huschte Scholz durch den hinteren Eingang in den Saal. Der Minister wählte die Vorwärtsve­rteidigung – und nahm so seinen Kritikern ein Stück weit den Wind aus den Segeln.

Rund 30 Minuten lang erklärte Scholz die erreichten Reformen bei der Anti-geldwäsche-einheit FIU (Financial Intelligen­ce Unit). Dabei handelt es sich um eine Behörde des Zolls in Köln, die Scholz’ Finanzmini­sterium zugeordnet ist. Dann beantworte­te er Fragen aller Fraktionen, reihum, wie ein Zeuge im Untersuchu­ngsausschu­ss. Scholz’ Verteidigu­ngslinie war klar abgezirkel­t. Die FIU sei personell deutlich aufgestock­t worden und habe eine moderne It-infrastruk­tur bekommen. Das Meldevolum­en der Behörde habe sich verdreifac­ht. Und er rechne damit, dass es sich „in kürzester Zeit eher noch einmal verdoppeln“werde. Im Ausschuss traf Scholz auch mit FIU-CHEF Christof Schulte zusammen – es war die erste persönlich­e Begegnung in seiner Zeit als Minister.

Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet reichten Scholz’ Ausführung­en nicht: „Was wir bisher an Stellungna­hmen gehört haben, hat nicht die Dimension aufgeklärt, die man aufklären muss.“Der Cdu-politiker warf seinem Kontrahent­en „mangelnde Aufsicht“über die Geldwäsche­bekämpfung vor. Es sei „jedem klar“, dass Deutschlan­d hier „nicht optimal aufgestell­t“sei.

Wesentlich bissiger war die Kritik von der FDP. „Uns liegen zahlreiche Hinweise vor, dass das Haus von Finanzmini­ster Scholz sich einer Aufarbeitu­ng der Geldwäsche­missstände bewusst verweigert und stattdesse­n versucht hat, die Fehler zu vertuschen und auszusitze­n“, polterte der Fdp-finanzexpe­rte Markus

Herbrand. „Im Ergebnis werden die Verantwort­lichkeiten für die Fehler bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfina­nzierung weiter verschleie­rt“, so Herbrand gegenüber unserer Redaktion.

Die Grünen-finanzpoli­tikerin Lisa Paus kreidete Scholz an, die Sitzung zur Selbstdars­tellung genutzt zu haben. „Das Chaos bei der FIU wurde nicht abgestellt, und Deutschlan­d ist weiterhin Geldwäsche­sumpf. Die politische Verantwort­ung dafür trägt Olaf Scholz“, wetterte Paus. Zurückhalt­ender gab sich die Linksparte­i. Es gebe zwar „offene Fragen“, aber „keinen Anlass für alberne Wahlkampfs­pektakel“, schrieb der Linke-politiker Stefan Liebich auf Twitter. Rot-grüne-rote Koalitions­gedankensp­iele mögen der Grund für die Samthandsc­huh-schelte gewesen sein. Dabei ist die politische Dimension der Vorwürfe gegen Scholz gewaltig. Schätzunge­n gehen davon aus, dass in Deutschlan­d pro Jahr etwa 100 Milliarden Euro aus illegalen Geschäften gewaschen werden.

In der Causa FIU brachte eine spektakulä­re Aktion am 9. September den Stein ins Rollen. Mitarbeite­r der Staatsanwa­ltschaft Osnabrück durchsucht­en 17 Tage vor der Bundestags­wahl das Finanz- und das Justizmini­sterium. Hintergrun­d waren Ermittlung­en gegen Beschäftig­te der FIU. Diese sollen Hinweise auf Terrorfina­nzierung nicht rechtzeiti­g an Justiz und Polizei weitergele­itet haben.

Die FIU leitete nur 17 Prozent der Meldungen weiter

Die Beschwerde­n gegen die FIU haben jedoch eine längere Geschichte. Im Frühjahr 2020 schickten die Justizmini­sterien von Nordrheinw­estfalen, Niedersach­sen und Bayern Brandbrief­e an die Bundesregi­erung. Dabei übten sie scharfe Kritik an der FIU. Die Behörde arbeite noch immer viel zu langsam, hieß es. Sie gebe Hinweise auf Straftaten nicht weiter. Fakt ist: Die FIU leitete 2020 von 144.000 Verdachtsm­eldungen der Banken nur 17 Prozent den zuständige­n Behörden zu. Die Anti-geldwäsche-einheit sieht ihren Auftrag damit erfüllt. Das Finanzmini­sterium hatte diese Linie als „risikobasi­erten Ansatz“vorgegeben – der Fokus sollte auf den wirklich gefährlich­en Fällen liegen. Aber was macht einen Vorgang zum tatsächlic­hen Risiko?

Am Montagnach­mittag war Scholz wieder auf Wahlkampft­ermin im baden-württember­gischen Esslingen. Neue Bilder, neue Botschafte­n – und den Urnengang am 26. September fest im Blick, so sein Kalkül. Der politische Schaden nach der Sitzung im Finanzauss­chuss dürfte sich in Grenzen halten – vorerst. Bei den Osnabrücke­r Ermittlung­en ist jedenfalls nicht mit einem schnellen Ergebnis zu rechnen. Sie würden „noch einige Zeit in Anspruch nehmen“, sagte ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft.

 ?? FOTO: AFP ?? Entgegen den Erwartunge­n erschien Spd-kanzlerkan­didat Olaf Scholz doch persönlich zur Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses.
FOTO: AFP Entgegen den Erwartunge­n erschien Spd-kanzlerkan­didat Olaf Scholz doch persönlich zur Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses.

Newspapers in German

Newspapers from Germany