Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Leben in der Vergangenheit
Rund 45.000 Thüringer leiden an Alzheimer-demenz. Betroffene und Angehörige finden aber nur schwer Hilfe
„Bei Demenz gibt es keine Erfolgsgeschichten“, so das bittere Fazit von Nadja Braun von der Alzheimer Gesellschaft Thüringen, die ihren Sitz in Erfurt hat. „Es gibt keine Geschichten von Menschen, die den Kampf gegen diese Krankheit gewonnen haben, weil man sie nicht besiegen kann.“Selbst mit Medikamenten könne man nur die Symptome wie Depressionen lindern, aber nicht den Verlauf stoppen.
Rund 45.000 Menschen sind in Thüringen an Demenz erkrankt. Bundesweit wird die Zahl auf 1,6 Millionen geschätzt, vor zehn Jahren waren es „nur“1,2 Millionen, belegen Statistiken zum heutigen Welt-alzheimertag, benannt nach der häufigsten Form der Demenz.
Wird kein Mittel zur Vorbeugung oder Behandlung gefunden, wird sich die Zahl der Betroffenen bis zum Jahr 2050 fast verdoppeln.
Nadja Braun und Dagmar Linz von der Thüringer Alzheimer-gesellschaft sind Ansprechpartner für Betroffene und deren Angehörige nach der Diagnose. „Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe. Viele sind geschockt und verunsichert, wissen nicht, was jetzt zu tun ist, wie es weitergehen soll, was man machen kann und welche Hilfe und Unterstützung man bekommen kann“, erklärt Nadja Braun das Anliegen der Gesellschaft. Die aber auch über 20 Jahre nach der Gründung immer noch aus nur zwei Personen besteht, eine Stelle läuft sogar nur auf Teilzeit. Die Patientenzahlen sind dagegen rasant gestiegen. „Um in ganz Thüringen ausreichend aktiv sein zu können, bräuchten wir mehr Mitarbeiter.“
Denn für die Angehörigen sind Informationen und Erklärungen überaus wichtig. Meist selbst im höheren Alter, fehlen ihnen oft die Geduld
und das Verständnis für den jahrelangen Partner, der einen plötzlich nicht mehr erkennt.
„Die Alzheimer-demenz verläuft langsam rückschreitend“, erklärt Nadja Braun. „Das Kurzzeit-gedächtnis ist stark eingeschränkt, die Betroffenen leben zudem in ihrer Wahrnehmung in der Vergangenheit – und die reicht immer weiter zurück. Wenn sie sozusagen wieder 20 sind, ihren Partner aber erst mit 30 Jahren kennengelernt haben, erkennen sie ihn jetzt nicht mehr, weil es ihn damals ja noch nicht gab.“Damit umzugehen sei extrem anstrengend.
Das Risiko, an Demenz zu erkranken, steigt ab 65 mit jedem Lebensjahr weiter an, ab 80 sogar sprunghaft. Jeder Vierte der über 85-Jährigen ist betroffen. Wenn alle Menschen 100 Jahre alt würden, so schätzt die Alzheimer-gesellschaft, blieben wohl nur zehn bis 20 Prozent von einer Alzheimer-erkrankung verschont.
Wichtig sei, so Nadja Braun, betroffene Menschen trotz der Krankheit nicht aus der Gemeinschaft, dem sozialen Umfeld, auszugrenzen, sondern sie und ihre Angehörigen zu unterstützen. „Wer etwa 20 Jahre lang in einer Wandergruppe aktiv ist, sollte nicht gleich ausgeschlossen werden, nur weil er langsamer läuft oder besonderer Hilfe bedarf.“
Denn das soziale Gefüge ist vor allem für alleinstehende Betroffene wichtig: „Wenn Ihnen der Nachbar nicht mehr hilft, weil sie nicht mehr wissen, wozu sie einen Wohnungsschlüssel brauchen, wird es schwierig und etwa beim Herd auch gefährlich. Ab einem bestimmten Punkt geht es zu Hause aber nicht mehr. Etwa wenn sie einfach vergessen, zu essen und zu trinken.“
Körperliche und geistige Bewegung sowie eine gesunde, stressfreie Lebensweise und gesunde Ernährung können die Demenz nicht verhindern, aber vielleicht deren Auftreten verzögern: „Wichtig sind neue Eindrücke, gerade im Alter, abseits des Alltäglichen. Klavier lernen, Kreuzworträtsel lösen, Sport treiben – im Kopf und mit dem Körper aktiv zu bleiben, kann nicht schaden.“Daneben spielt vermutlich noch ein anderer Punkt eine zentrale Rolle: „Viel Schlaf.“