Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Putins zweifelhafter Sieg
Kremlpartei Geeintes Russland behält die absolute Mehrheit in der Staatsduma. Kritiker sprechen von einer „Farce“
Es ist ein fragwürdiger Erfolg für Präsident Wladimir Putin: Die von ihm unterstützte Kremlpartei Geeintes Russland hat bei den von Manipulationsvorwürfen überschatteten Parlamentswahlen ihre Zweidrittelmehrheit verteidigt. „Putin, Putin, Putin,“rief Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin bei der Siegesfeier von Geeintes Russland, das Ergebnis sei eine Bestätigung für den Kurs des Kremlchefs. Die Opposition dagegen zeigte sich entsetzt und beklagte, den Menschen sei die Wahl geraubt worden.
Geeintes Russland ist die wichtigste Machtbasis des Staatschefs. Deshalb wird in Moskau nun schon über eine neue Kandidatur des 68jährigen Putin bei den Präsidentenwahlen 2024 spekuliert. Allerdings musste die Kremlpartei im Vergleich zur letzten Wahl vor fünf Jahren Verluste hinnehmen, sie kommt nur noch auf 49,8 Prozent der Stimmen, 4,4 Prozent weniger als 2016. Das Resultat gilt als Ausdruck der Unzufriedenheit vieler Menschen mit der angespannten wirtschaftlichen und sozialen Lage – doch hatten Umfragen vor der Wahl sogar einen Absturz auf weniger als 30 Prozent vorhergesehen.
Weil Geeintes Russland zugleich 200 der 225 Direktmandate gewann, sprach die von Putin eingesetzte Wahlleiterin Ella Pamfilowa der Partei insgesamt 300 der 450 Sitze im Parlament zu. Zufrieden sagte sie: „Das System, das wir geschaffen und ins Rollen gebracht haben, hat funktioniert.“Damit meinte die 68-Jährige allerdings nicht das Machtsystem Putins, wie einige kremlkritische Nutzer bei Twitter kommentierten. Pamfilowa bezog sich vielmehr auf geänderte
Wahlverfahren, die unter dem Strich jedoch ähnliche Ergebnisse hervorbringen wie schon 2016.
Auf dem zweiten Platz landen die Kommunisten mit 19 Prozent. Sie profitierten erwartungsgemäß von der Stimmung in Russland, wo viele Menschen über sinkende Löhne und steigende Preise klagen und Ältere über die Rentenreform von 2018 verärgert sind. Hinter den Kommunisten liegen die ultranationalistische LDPR (7,5 Prozent), die Sozialdemokraten (7,5) und die Liberalen (5,3). Allerdings gelten alle Parteien, die es über die Fünf-prozent-hürde schaffen, als sogenannte Systemopposition. Bei wichtigen Gesetzesvorhaben stimmen sie meist im Sinne des Kreml.
Bei Vertretern der „echten“Opposition herrscht deshalb offene Empörung. Die Staatsmacht habe dem Volk „die Wahl gestohlen“, twitterte Kira Jarmysch, die Sprecherin des inhaftierten Putin-gegners Alexej Nawalny. Sie erinnert an das Jahr 2011, als Beobachter bei der Duma-wahl Betrug in großem Stil nachgewiesen hatten. „Das Gleiche passiert jetzt. Damit kann man sich nicht abfinden.“Die niedrige Wahlbeteiligung von 51,6 Prozent deutet allerdings darauf hin, dass sich viele Menschen in Russland womöglich doch arrangiert haben.
Eher ironisch-distanziert kommentiert der Politikwissenschaftler
Gleb Pawlowski die Wahl: „Das ist ein riesiger Karneval, den sie da für uns veranstalten.“Zahlreiche Belege für diese Sicht liefert die vom Regime unabhängige und als „ausländischer Agent“eingestufte Wahlrechtsorganisation Golos (deutsch: Stimme). Mehr als 4000 Berichte über Fälschungen haben die Aktivisten zusammengetragen. Vereinzelt gibt es sogar Kamerabilder davon, wie Vertreter lokaler Wahlkommissionen, die sich unbeobachtet wähnen, Packen vorgefertigter Stimmzettel in die Urnen werfen. In Moskau wollen Teams mit mobilen Wahlurnen bei alten und kranken Menschen innerhalb weniger Stunden so viele Stimmen eingesammelt haben, dass Experten stutzig werden.
Bundesregierung fordert: Fälschungsvorwürfe aufklären
Sie rechnen nach und beweisen, dass die Touren zeitlich unmöglich zu schaffen waren. Zur Verschlechterung der Lage scheint auch beigetragen zu haben, dass die Wahl mit Verweis auf die Corona-pandemie erstmals schon am Freitag begann und drei Tage dauerte. Das sollte Gedränge vermeiden. Über diesen langen Zeitraum sei es aber unmöglich, die Aufbewahrung der Stimmzettel zu kontrollieren, erklärt Golos-vizechef Roman Udot und fügt hinzu: „Die Nacht ist eine große Gelegenheit für Gauner.“
Kritik kommt auch aus dem westlichen Ausland. Die Bundesregierung in Berlin fordert eine Aufklärung der Fälschungsvorwürfe. Es gebe „sehr ernst zu nehmende Berichte, dass es zu massiven Unregelmäßigkeiten gekommen ist“. Für Unruhe im Kreml sorgt das relativ starke Abschneiden der Kommunisten – und ein scheinbar neu erwachter Widerstandsgeist in der Partei. Die KP mit ihrem 77-jährigen Vorsitzenden Gennadi Sjuganow, der sich schon in den 90er-jahren harte politische Schlachten mit Präsident Boris Jelzin geliefert hatte, feiert mit fast 20 Prozent der Zweitstimmen ein beachtliches Comeback. Zumal unabhängige Beobachter davon ausgehen, dass die KP trotz ihrer Systemtreue in Wirklichkeit noch deutlich besser abgeschnitten hat. Die Partei erkennt die Ergebnisse in einigen Moskauer Wahlbezirken auch nicht an und ruft zu Protesten gegen Fälschungen auf.