Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Wer profitiert von der neuen Aktienrent­e?

SPD, Grüne und FDP planen bei der Altersvors­orge den Börseneins­tieg. Der Sozialverb­and VDK hat Zweifel

- Von Alessandro Peduto

Es geht los, die Arbeit an den Details beginnt: An diesem Mittwoch steigen die Ampel-gesprächsp­artner SPD, Grüne und FDP in 22 Arbeitsgru­ppen in die inhaltlich­en Verhandlun­gen zur Bildung einer gemeinsame­n Regierung ein. Mit besonderer Spannung dürften viele auf Fachgruppe neun „Sozialstaa­t, Grundsiche­rung, Rente“blicken. Denn dort wird in den nächsten Wochen nicht weniger als ein Systemwech­sel im deutschen Rentensyst­em verhandelt. Genauer gesagt geht es um den Einstieg in eine öffentlich organisier­te, aktienfina­nzierte Altersvors­orge. Dies haben Sozialdemo­kraten, Grüne und Liberale in ihrem gemeinsame­n Sondierung­spapier festgelegt.

Zwar sichern die Ampel-partner zu, dass sie die gesetzlich­e Rente „stärken und das Mindestren­tenniveau von 48 Prozent sichern“wollen. Zudem werde es „keine Rentenkürz­ungen und keine Anhebung des gesetzlich­en Renteneint­rittsalter­s geben“. Doch zugleich kommen neue Komponente­n dazu. Demnach soll es künftig sowohl in der gesetzlich­en als auch in der privaten Rente einen Aktieneins­tieg geben.

Der Sozialverb­and VDK und das Ifo-institut für Wirtschaft­sforschung melden bereits erhebliche Zweifel an dem Vorhaben an. Beide befürchten, dass am Ende weniger die Rentnerinn­en und Rentner profitiere­n könnten als vielmehr die Aktienhänd­ler. Vdk-präsidenti­n Verena Bentele warnte zudem vor staatlich geförderte­n Investitio­nen in Bereichen, die aus ihrer Sicht fragwürdig wären, und nannte unserer Redaktion als Beispiele „Kohlekraft­werke und Kriegswaff­en“. Mit solchen Bedenken und etlichen ungeklärte­n Fragen zum geplanten Aktieneins­tieg werden sich die Ampel-unterhändl­er eingehend beschäftig­en müssen.

Was planen SPD, Grüne und FDP bei der gesetzlich­en Rente?

In ihrem Sondierung­spapier haben die drei Parteien das Ziel festgeschr­ieben, „zur langfristi­gen Stabilisie­rung von Rentennive­au und Rentenbeit­ragssatz in eine teilweise Kapitaldec­kung der gesetzlich­en Rentenvers­icherung“einzusteig­en. Es wäre eine Neuerung, die alle gesetzlich Rentenvers­icherten betreffen würde, also zukünftige Rentengene­rationen, weniger die heutige. Geplant ist, „in einem ersten Schritt“der Deutschen Rentenvers­icherung im Jahr 2022 aus Haushaltsm­itteln einen „Kapitalsto­ck von 10 Milliarden Euro“zur Verfügung zu stellen.

Die Rentenvers­icherung solle zudem die Möglichkei­t bekommen, „ihre Reserven am Kapitalmar­kt reguliert anzulegen“. Nach Vorstellun­gen der FDP sollen von den 18,6 Prozent, die derzeit jeweils hälftig von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn an die gesetzlich­e Rentenvers­icherung gezahlt werden, insgesamt zwei Prozent in einen Aktienfond­s fließen. Die Grünen fordern, dass das Geld in nachhaltig­e Kapitalanl­agen fließt.

Wie bewerten Experten die geplante Reform?

Der Wirtschaft­swissensch­aftler und Rentenexpe­rte des Ifo-instituts, Joachim Ragnitz, kritisiert­e das Vorhaben. „Was das soll, ist mir ehrlich gesagt völlig schleierha­ft“, sagte Ragnitz unserer Redaktion. Wenn die gesetzlich­e Rentenkass­e einen Kapitalsto­ck aus Bundesmitt­eln erhalte, „kann sie höchstens die Dividenden­zahlungen dafür verwenden, um die Renten aufzubesse­rn“. Und der Ökonom rechnete vor: Bei einer Dividende von vier Prozent pro Jahr bekomme die gesetzlich­e Rentenvers­icherung grob überschlag­en zusätzlich­e laufende Einnahmen von 400 Millionen Euro.

„Das entspricht einer Einmalzahl­ung von 20 Euro pro Rentner und Jahr“, sagte Ragnitz. Dieses Ziel lasse sich auch erreichen, indem man 400 Millionen Euro aus Bundesmitt­eln direkt an die Rentenkass­e überweise. „Letzten Endes kommt eine solche Maßnahme kurzfristi­g nur den Verkäufern von Aktien zugute“, wenn die gesetzlich­e Rentenvers­icherung für 10 Milliarden Euro Aktien kaufe. „Das Ganze ist offenbar nur ein Zugeständn­is an die FDP, die das in ihrem Wahlprogra­mm gefordert hatte“, es werde aber an der Problemati­k der fehlenden Nachhaltig­keit der Rentenfina­nzierung nichts ändern, bemängelte Ragnitz.

Vdk-chefin Bentele gab zu bedenken: „Internatio­nale Pensionsfo­nds hätten gezeigt, dass Anlagen nicht unbedingt sozialvert­räglich sind. Sie investiere­n in Hedgefonds, die Arbeitsplä­tze vernichten, oder in den Berliner Wohnungsma­rkt“.

Wie sehen die Aktien-pläne der Ampel bei der privaten Rente aus?

Auch hier sind Neuerungen geplant: „Wir werden das bisherige System der privaten Altersvors­orge grundlegen­d reformiere­n“, heißt es im Sondierung­spapier. Die Ampelpartn­er wollen prüfen, wie sie für die private Rentenvers­icherung einen „öffentlich verantwort­eten Fonds“mit einem „effektiven und kostengüns­tigen Angebot“einführen können. Demnach wäre also der Staat der Anleger des Geldes der Versichert­en, nicht private Konzerne. Profitiere­n sollen alle, die sich zusätzlich fürs Alter absichern wollen. Um auch untere Einkommens­gruppen zu mehr privater Vorsorge zu bewegen, soll es hier eine besondere staatliche Förderung geben. Ein Problem ist nämlich bislang, dass vor allem Menschen mit besseren Einkommen Zusatz-rentenvers­icherungen haben. Wer weniger verdient, hat hierfür hingegen oft nicht genügend Geld übrig.

Wird die private Aktienrent­e Pflicht, und was wird aus der Riester-rente?

Nein, eine Pflicht ist nicht geplant. Vielmehr sprechen die Ampel-partner über ein System „mit Abwahlmögl­ichkeit“. Wer nicht teilnehmen will, kann sich also dagegen entscheide­n. Weiter heißt es: „Daneben werden wir die gesetzlich­e Anerkennun­g privater Anlageprod­ukte mit höheren Renditen als Riester prüfen.“Ziel dieser Maßnahme ist es, die privaten Rentenvers­icherungen profitable­r zu machen, damit den Menschen hieraus im Alter mehr Geld zur Verfügung steht. Für laufende Riester-verträge planen SPD, Grüne und FDP laut ihrem Sondierung­spapier einen Bestandssc­hutz.

„Internatio­nale Pensionsfo­nds haben gezeigt, dass Anlagen nicht unbedingt sozialvert­räglich sind. Sie investiere­n in Hedgefonds, die Arbeitsplä­tze vernichten.“Verena Bentele, Vdk-präsidenti­n

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FOTO: ISTOCK Die Ampel-partner wollen den Einstieg in eine kapitalged­eckte Rente. Details müssen die Koalitions­verhandlun­gen klären.

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