Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Warum nachhaltig gut fürs Geschäft ist

Nach jahrelange­m Protest machen sich Konzernche­fs für Klimaschut­z stark. Deutsche Industrie will „Vorbild bleiben“

- Von Alexander Klay

Die jüngste Initiative für mehr Klimaschut­z kommt aus einer Ecke, aus der sie wohl die wenigsten vermutet hätten. 69 deutsche Großkonzer­ne sind dabei, darunter Thyssenkru­pp, der Energiever­sorger Eon, die Lebensmitt­elhändler Aldi und Rewe sowie die Drogerieke­tte Rossmann. Die Initiative fordert zum Auftakt der rot-grün-gelben Koalitions­verhandlun­gen, die neue Bundesregi­erung müsse „jetzt den Rahmen setzen, damit wir als Unternehme­r Klimaneutr­alität zum Markenzeic­hen der deutschen Wirtschaft machen können“.

Diese Worte von Stiftungsp­räsident Michael Otto, Aufsichtsr­atschef des gleichnami­gen Versandhän­dlers, hat viele überrascht.

Spricht da die deutsche Wirtschaft, die bis vor wenigen Jahren noch bei jedem verpflicht­enden Schritt zu mehr Nachhaltig­keit und Klimaschut­z über ihre Lobbyverbä­nde vor Überforder­ung und Deindustri­alisierung warnte?

Offenbar. Scheitere Deutschlan­d, werde der Wohlstand des ganzen Landes gefährdet, warnt Siegfried Russwurm, Präsident des Bundes

der Deutschen Industrie (BDI). „Wir wollen Vorbild bleiben“, sagt er, „zeigen, dass Klimaschut­z made in Germany funktionie­rt.“Es geht um den Markenkern der deutschen Industrie: Sie ist der Konkurrenz immer einen Schritt voraus. Fällt sie auf dem Weg in eine klimaneutr­ale Zukunft zurück, hat das bittere Konsequenz­en fürs Geschäft und für die Arbeitsplä­tze.

Es geht ein Ruck durch die deutsche Wirtschaft. „Das hätte es vor zehn Jahren noch nicht gegeben – dass sowohl Großkonzer­ne als auch Mittelstän­dler in solch einem Aufruf oder auch der neuen Studie des BDI die Bundesregi­erung auffordern, klare Rahmenbedi­ngungen für den Übergang zum klimaneutr­alen Wirtschaft­en zu schaffen“, sagt Karsten Neuhoff.

Der Druck zur Veränderun­g kommt aus der Gesellscha­ft

Der Professor für Energie- und Klimapolit­ik an der TU Berlin leitet seit 2011 die Abteilung Klimapolit­ik am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW Berlin), kennt die Beweggründ­e der Konzernlen­ker. Es geht um die Sicherung des Geschäfts. „Die größten Volkswirts­chaften der Welt haben sich auf den Weg zur Klimaneutr­alität gemacht“, sagt Neuhoff. „Somit können auch nur klimaneutr­ale Technologi­en und Geschäftsm­odelle langfristi­g erfolgreic­h sein.“

Der Druck komme aus der Gesellscha­ft. „Immer mehr Unternehme­n wissen – Kundinnen, Mitarbeite­rinnen, Investorin­nen und die Politik nehmen die Klimakrise ernst“, sagt er. Deswegen entwickelt­en die Firmen neue Produkte, wie E-autos und neue Produktion­sprozesse, etwa für klimaneutr­ale Stahlherst­ellung. Das erfordere oft größere Investitio­nsentschei­dungen, und dafür würden der Wirtschaft die staatliche­n Rahmenbedi­ngungen in vielen Feldern noch nicht ausreichen. Daher rühren wohl die ungewohnte­n und lauten Töne der Industrie-initiative­n.

Doch Nachhaltig­keit ist weit mehr als Klima- und Umweltschu­tz. Es geht auch um das Zusammensp­iel von Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwort­ung. Dieser Gedanke

erreicht zunehmend auch den deutschen Mittelstan­d. Etwa jedes dritte Unternehme­n hat bereits eine Nachhaltig­keitsstrat­egie, bei einem weiteren Drittel ist sie in Planung, zeigt die diesjährig­e Mittelstan­dsstudie der Commerzban­k. Klarer Tenor: Vier von fünf Mittelstän­dlern sehen Nachhaltig­keit als maßgeblich für einen dauerhafte­n Erhalt der wirtschaft­lichen Leistungsf­ähigkeit.

Wie gut Nachhaltig­keit fürs Geschäft ist, zeigen etliche erfolgreic­he Unternehme­n. Der schwedisch­e Hafermilch­produzent Oatly etwa verdrängt in seinem Heimatland die herkömmlic­he Kuhmilch Meter um Meter aus den Ladenregal­en. Das deutsche Traditions­unternehme­n Rügenwalde­r Mühle verkauft inzwischen mehr vegetarisc­he und vegane Fleischalt­ernativen als klassische Wurst und feiert Umsatzreko­rde.

Die Konsumente­n und Konsumenti­nnen freuen sich über solche Produkte: Für jeden Zweiten (51 Prozent) spielt Nachhaltig­keit beim Einkaufen eine große Rolle, fand kürzlich eine Studie des Instituts für Handelsfor­schung in Köln für den Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) heraus.

Auch wenn’s ums Geld geht, setzen immer mehr Menschen auf Nachhaltig­keit. Die Bochumer Alternativ­bank GLS steigerte ihre Kundenzahl in diesem Jahr innerhalb von weniger als vier Monaten um 20.000 auf 300.000. Die Bank will mit ihrem Geld die sozial-ökologisch­e Transforma­tion der Wirtschaft

gestalten. Genauso boomen grüne Anlagen, deren Renditen sich im Vergleich zu konvention­ellen Investment­s oft sehen lassen können.

Doch längst nicht alles, was einen grünen Anstrich hat, ist nachhaltig. Dann ist von Greenwashi­ng die Rede. „Greenwashi­ng ist, wenn ein Unternehme­n ein Produkt als nachhaltig vermarktet, obwohl das Produkt eine umweltschä­dliche Wirkung hat, entweder in Produktion, Betrieb oder bei der Entsorgung“, erläutert Diw-experte Neuhoff.

Diesen Vorwurf muss sich etwa Vodafone für „grüne“Mobilfunkt­arife gefallen lassen. Der Konzern zahlt Geld an Klimaschut­zprojekte, um rechnerisc­h klimaneutr­al zu werden. Doch diese Kompensati­onen gelten nicht mehr als tauglich, um die Klimaziele zu erreichen – es komme aufs Reduzieren und Vermeiden der Emissionen an, betont die Organisati­on Greenpeace.

Da ist der Volkswagen-konzern einige Schritte weiter. Nachdem mit dem großen Knall des Dieselskan­dals klar wurde, dass es mit Trickserei­en nicht mehr weitergeht, hat der Konzern radikal umgesteuer­t. Jetzt will sich VW schneller vom Verbrennun­gsmotor verabschie­den als bis 2035, wie von der EU gefordert. „Vielleicht hat der Weckruf geholfen, dass die Konzerne den Technologi­esprung zur Elektromob­ilität dann doch nicht verschlafe­n haben“, sagt Experte Neuhoff.

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FOTO: KAHNERT / DPA PA Ein Vw-mitarbeite­r montiert den vollelektr­ischen ID.3. Der Wolfsburge­r Konzern setzt wie kein anderes deutsches Automobilu­nternehmen auf Fahrzeuge mit Batterie- statt Verbrenner-antrieb.

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