Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Große Emotionen sind nicht alles
Die Domstufenfestspiele mit Guy Montavons Inszenierung von Verdis „Nabucco“sind eröffnet
Hinter Stacheldraht und mit hochgereckten Tüchern in den ukrainischen Nationalfarben singen die Juden aus Verdis „Nabucco“auf den Erfurter Domstufen den berühmten Gefangenenchor.
Joachim Lange Erfurt.
Die Domstufen-festspiele sind eine feste Größe in der Kulturlandschaft Thüringens. Auf einen Schlag über 2000 Karten – davon träumt jeder Kassenwart. In Erfurt kommt die Traumkulisse aus Dom, St. Severi und der grandiosen Treppe zwischen beiden dazu. Manchmal integriert. Dann wieder, wie beim aktuellen „Nabucco“-spektakel, das Intendant Guy Montavon selbst inszeniert hat, überbaut. Diesmal sogar mit einer Treppe, in deren Mitte noch mal eine schmale, herausgehobene verläuft.
Die führt erst auf einen riesigen Davidstern zu. An der gülden schimmernden Klagemauer dahinter beten Juden mit wippendem Oberkörper. Nach dem sich diese Mauer mit Pyro-hokuspokus bricht und teilt, kommt ein Götze zum Vorschein – Arno Brekers Prometheusüberarbeitung als riesige Statue. Er ist so solide, dass ihm der angekündigte Sturz am Ende nichts anhaben kann, sondern nur seine Fackel ausbläst.
Die erste (der gut lesbaren) Texteinblendung setzt (zum Gesang der Juden) hinter das Zitat „Ich werde Euch alle vernichten!“die Namen Nabucco und Wladimir Putin. Der biblische Despot wird hier übrigens am Ende von irgendwo her erschossen. Nachdem er sich zuvor zu Gott erklärt hatte, in temporären Wahnsinn verfallen war, den Befehl zum Völkermord an den Juden unterzeichnet hatte, dann aber wieder zu Verstand gekommen und zum Gott der Juden übergelaufen war, um am Ende ganz allein den Stacheldrahtzaun vor der Spielfläche wieder wegzuschieben. Federico Longhi ist ein Nabucco mit vollem Einsatz.
Solche Art von Vergleichen sind immer heikel. Da passt etliches und manches auch nicht. Beim Superhit dieser Oper, dem „Va, pensiero“der gefangenen Juden auf dem Weg in die Vernichtung, schnappt die Analogiefalle zu. Im ersten – fast sanft gesungenen – Durchlauf des Gefangenenchores sind alle hübsch weiß gekleideten Juden auf den Stufen drapiert wie Touristen auf der Spanischen Treppe in Rom. Im zweiten
Durchlauf aber wird der Dom blau und St. Severi gelb angeleuchtet und jedes Chormitglied zückt ein blaugelbes Tuch, das dann, wenn sich ihr Anführer Zaccaria selbst in totale Vernichtungsrage redet, kämpferisch in die Höhe gereckt. Sagen wir so: Mit einer verbalen Variante der Gleichsetzung der vom Holocaust betroffenen Juden und den überfallenen Ukrainern von heute erntete der weltweit so erfolgreiche Parlamentsredner Wolodomir Selenski in Israel heftigen Widerspruch. Und das aus gutem Grund. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Nicht mal gut gedacht.
20 Tickets für Aufführung am 31. Juli zu gewinnen
Abgesehen davon durfte man darüber staunen, zu welcher Qualität im Laufe der Jahre die Akustik auf dem Platz gereift ist. Die Übertragung des Philharmonischen Orchesters unter Leitung von Myron Michailidis aus dem Opernhaus funktionierte fabelhaft. Auch sonst haben die Techniker den Bogen raus, um für ein Optimum an Operngenuss unter Freiluftbedingungen zu sorgen. Auch die Premieren-besetzung schlug sich hervorragend. Den stärksten Eindruck hinterließ Katja Pellegrino als Abigaille, sie füllte die anfangs unfreiwillig komische Kostümund Maskenboshaftigkeit mit einer Charakterstudie. Kakhaber Shavidze ist ein Zaccaria von fundamentalistischer Wucht. Vittorio de Campos Oberpriester ist das entsprechende Pendant auf der Gegenseite. Andrei Manea und Katja Bildt standen als Ismaele und Fenana mit ihrer Liebe zueinander einsam auf der Seite der Vernunft und des Verständigung. Der Erfurter Opernchor hatte diesmal kaum Gelegenheit, seinem vokalen auch einen darstellerischen Beitrag hinzuzufügen. Es blieb bei nicht immer nachvollziehbaren Arrangements.
Insgesamt 21 Aufführungen sind geplant. Große Musik, bei der man sich nur von der Emotion hinreißen lassen sollte.
Für die Aufführung am 31. Juli 2022 verlosen wir 10 x 2 Tickets im Internet unter otz.de/domstufen22