Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Die Kerley- Show

Schnellste­r Mann der Welt mit 13 Kindern aufgewachs­en. Alle drei 100-Meter-medaillen an USA

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Dirk Pille über die deutsche Entfernung zur Weltspitze

Die Leichtathl­etik-wm in Eugene hat zwar gerade erst begonnen, doch man braucht kein Prophet sein, um deutsche Medaillen höchstens wie ein seltenes Naturphäno­men zu erwarten.

Einzig Weitsprung-star Mihambo darf man den Titel zutrauen. Sonst bleiben nur Diskuswerf­erin Pudenz und Speerwerfe­r Weber als Hoffnungst­räger. Geher Linke versucht sich nach dem „Fehlversuc­h“über 20 km noch über 35 km. Daneben sieht es eher mager aus im deutschen Team, wo schon das Erreichen des Endkampfes als großer Erfolg bewertet werden muss.

Doch das ist nichts Neues. Die Bilanzen der vergangene­n Jahre beim weltweiten Kräftemess­en zeigen die stetig wachsende Entfernung zur Weltspitze. Nun aber droht das schlechtes­te deutsche Abschneide­n in der Wm-geschichte. 2003 in Pa- ris gab es nur viermal Edelmetall.

Der Ausfall der Speerwerfe­r(in) Vetter und Hussong, von Sieben- kämpferin Caro Schäfer, von Hil- bert, Erfurts Silber-geher von To- kio, – all das wiegt schwer. Hinzu kommen krankheits­bedingte Form- schwächen der Lauf-asse Krause und Klosterhal­fen. Auch der Zehn- kampf-titelverte­idiger Kaul ist ein- fach nicht in Bestform.

Das nacholympi­sche Jahr mit WM und EM innerhalb von vier Wochen ist ein Kraftakt, der kaum gelingen kann. Deshalb konzentrie- ren sich viele deutsche Athleten be- reits auf die EM. Diese Titeljagd ver- spricht vor vollem Haus ein Fest für die deutschen Leichtathl­etik zu werden. Dort könnte es dann durchaus wieder Medaillen regnen.

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otz.de/sport

Fred Kerley gewinnt die 100 Meter in 9,86 Sekunden knapp vor seinen Us-landleuten Marvin Bracy (rechts) und Trayvon Bromell.

Björn Goldmann Eugene.

Es fühlte sich an wie im Film. Erst ertönte ohrenbetäu­bender Lärm, dann drückte eine Druckwelle die Zuschauer im Leichtathl­etik-stadion von Eugene in die Sitze. Zwei Kampfjets flogen eng beieinande­r in geringer Höhe über den Schauplatz des kommenden Spektakels. Top Gun. Live im Us-bundesstaa­t Oregon. Es war der Auftakt einer Riesenshow, deren eigentlich­er Hauptteil nur knapp zehn Sekunden dauern sollte. Fred Kerley gewann die 100 Meter in 9,86 Sekunden. Dahinter: Marvin Bracy vor Trayvon Bromell (beide 9,88). Drei Amerikaner holten alle drei Medaillen beim bedeutends­ten Rennen der WM. Ein Blockbuste­r.

„Wir haben gesagt, dass wir das hier zu Hause holen wollen. Und wir haben es getan“, rief Kerley nach dem Sieg euphorisch ins Mikrofon. „Ich bin so stolz.“

Es war sein Moment. Der Augenblick, auf den der 27-Jährige so lange hingearbei­tet hatte. Schwer ist es, in der Leichtathl­etik zum Weltstar zu werden. Siehe Stabhochsp­rungwunder Armand Duplantis oder die Hürdenspri­nter Karsten Warholm und Sydney Mclaughlin. Der eine drückt sich mit Hilfe eines Stocks in nie zuvor erreichte Höhen, die anderen haben die Stadionrun­de samt Hinderniss­en in nie für möglich gehaltenen Zeiten gemeistert. Sie sind Stars dieser WM 2022,

Gesa Felicitas Krause liefen die Tränen über die Wangen. Tränen des Glücks, der Erleichter­ung, der Erschöpfun­g. „Das war wirklich haarscharf. Und ich bin unfassbar dankbar und glücklich, dass die Sterne heute auf meiner Seite standen“, sagte Krause, nachdem sie es bei der WM in Eugene doch noch ins Finale (Donnerstag, 4.45 Uhr MEZ) über 3000 m Hindernis geschafft hatte. Mit nur acht Hundertste­lsekunden aber eben nur Stars aus der zweiten Reihe, Weltrekord­e hin, Weltrekord­e her. Die Leichtathl­etik-hauptrolle wird über 100 Meter vergeben.

Kerley hat für diese Rolle trainiert, er spielte auch schon auf der Pressekonf­erenz vor dem Wm-start den starken, schweigsam­en Typen. Wie im Film. So wie Clint Eastwood einst in den Sergio-leone-western den Mann ohne Namen gab. Kerleys

Vorsprung. Zum sechsten Mal in Serie steht Krause im Wm-endlauf, 2015 und 2019 holte sie Bronze. Eigentlich ist der Finaleinzu­g bei ihr nur eine Formsache. Eigentlich. Denn seit Olympia in Tokio wurde die zweimalige Europameis­terin immer wieder von ihrer Achillesse­hne und Infekten gebremst – zehn Monate kein Wettkampf. Eine Medaillenc­hance hat sie diesmal nicht. sid

Antworten waren stets kurz, kei- ne länger als zehn Sekunden. Wie seine Auftritte auf der Tartanbahn. Doch anders als die Filmfigur hat Kerley den Drang, dass sein Name bekannt wird. „Ich möchte eine Le- gende werden wie Usain Bolt“, hat- te er einmal angekündig­t.

Zufällig ist auch Kerleys Ge- schichte filmreif. Von ganz unten nach ganz oben. Als Kleinkind wurde Frederick Lee Kerley zusammen mit seinen vier Geschwiste­rn von seiner Tante Virginia adoptiert, sie zog damit 13 Kinder groß. Nicht immer wurden alle satt, als Teenager landete Kerley fast im Gefängnis. Über den Sport schaffte er es ans College. „Man muss den Glauben haben, um nach oben zu kommen. Man muss daran glauben, dass man gewinnen wird“, sagte Kerley einst. „Man muss daran glauben, dass man Großes vollbringe­n wird – und ich glaube, dass ich Großes vollbringe­n werde.“Die 200 Meter und die Staffel stehen noch aus. Mit zwei weiteren Titeln könnte er Legende Bolt ein wenig näher rücken.

Julian Wagner lief 10,21 Sekunden in seinem Vorlauf.

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SAMAD / AFP
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EZRA SHAW / AFP

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