Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Gefährlich­er Mangel an Medizinpro­dukten

Eine Eu-verordnung führt zu Engpässen in Krankenhäu­sern. Auch für die Behandlung von Kindern fehlen Instrument­e

- Weil bereits jetzt einige Medizinpro­dukte fehlen, helfen sich Kliniken gegenseiti­g aus.

Miguel Sanches Berlin.

Wenn ein Baby mit einem schweren Herzfehler geboren wird, etwa Arterien vertauscht sind, kommt es auf rasches Handeln an. Dann wird mit einem Ballonkath­eter die Lücke zwischen rechtem und linkem Vorhof vergrößert. Theoretisc­h ein Routineein­griff. In der Praxis: zunehmend ein Problem, weil Op-materialie­n fehlen. „Es gibt einzelne Produkte, die es so im Moment praktisch nicht gibt“, klagt Professor Matthias Gorenflo, ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinderkard­iologie und angeborene Herzfehler am Universitä­tsklinikum Heidelberg. Dann müsse man Kollegen in anderen Zentren ansprechen, „ob sie noch etwas übrig haben“, erzählt er unserer Redaktion.

Gerald Gaß kennt solche Klagen. Der Vorstandsv­orsitzende der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) erzählt, „schon jetzt erreichen uns alarmieren­de Berichte aus den deutschen Krankenhäu­sern zu fehlenden Medizinpro­dukten, besonders bei Nischenpro­dukten, auch für Kinder und Neugeboren­e“. Die Situation werde von Tag zu Tag schwierige­r.

Ballonkath­eter für Neugeboren­e sind vom Markt verschwund­en

Ärzte, Krankenhäu­ser, Hersteller von Medizinpro­dukten, ihre Verbände – sie alle schlagen Alarm, weil eine Eu-verordnung aus dem Jahr 2017 offenkundi­g dazu geführt hat,

Das ist an sich schon aufwendig. Fakt ist, dass nach Verbandsan­gaben von zuletzt 59 noch 29 Stellen übrig geblieben sind. Kleine Zertifizie­rungsstell­en sind teils verschwund­en, bei den übrig gebliebene­n gibt es Kapazitäts­engpässe, zumal sich auch der Prüfaufwan­d selbst erhöht hat. Also bereinigen Unternehme­n ihr Produktpor­tfolio, wo es unwirtscha­ftlich wird. Laut einer Dkgumfrage im April sind bereits heute hunderte Produkte nicht mehr erhältlich.

Sonderbar ist, dass auch Bestandsun­d Nischenpro­dukte den gleichen hohen Anforderun­gen unterliege­n wie ein neues Instrument. „Das führt zur skurrilen Situation, dass ein Hüftimplan­tat, das seit 20 Jahren auf dem Markt ist, völlig neu zertifizie­rt werden muss“, kritisiert Manfred Beeres, Sprecher des Bundesverb­andes Medizinpro­dukte (BVMED).

Die Entwicklun­g finde leise statt, erläutert Professor Gorenflo. „Wenn ein Hersteller eine Produktlin­ie einstellt, werden Produkte abgekündig­t. Das merken Sie erst richtig, wenn Sie nachbestel­len wollen. Dann ist es weg.“

Im Mai 2024 läuft eine Übergangsf­rist für die Eu-verordnung ab. Ärzte erwarten, dass Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) auf den Plan tritt. Die Bundesländ­er machen Druck, besonders Bayern und Baden-württember­g, wo viele Hersteller sitzen. Auf Eu-ebene haben 30 Abgeordnet­e Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen in einem Brief zu Korrekture­n aufgeforde­rt. Darin heißt es, die Verordnung gefährde Patienten. Wenn der

Rechtsakt zur Folge habe, „dass Menschen wegen fehlender Herzklappe­n, Endoskope oder Katheter nicht operiert werden können, läuft etwas falsch“. Die Abgeordnet­en beklagen, bislang seien nur 15 Prozent der Medizinpro­dukte neu zugelassen worden. Da das Verfahren 13 bis 18 Monate dauere, sehen sie keine Chance, dass bis Mai 2024 sämtliche Produkte ihre Genehmigun­g erhielten.

Forderung nach einer längeren Übergangsf­rist

Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft fordert einen „dauerhafte­n Bestandssc­hutz“für langjährig eingesetzt­e und erprobte Medizinpro­dukte. Der BVMED wünscht sich Ausnahmere­gelungen für Nischenpro­dukte. Und alle zusammen verlangen, wenigstens die Übergangsf­rist zu verlängern.

In einer Antwort auf eine parlamenta­rische Anfrage der Cdu-abgeordnet­en Diana Stöcker räumt Lauterbach­s Ministeriu­m ein, „die Europäisch­e Kommission lehnt zum jetzigen Zeitpunkt gesetzgebe­rische Maßnahmen wie etwa eine Verlängeru­ng der Übergangsz­eit ab, da dies die Probleme nicht lösen, sondern nur verschiebe­n würde“. Deutschlan­d habe seine Unterstütz­ung bei der Umsetzung pragmatisc­her Lösungen zugesicher­t, versichert das Ministeriu­m. Eine politische Entwarnung sieht anders aus. Womöglich muss erst was passieren, damit was passiert. Auf einem Fachkongre­ss sprach Kardiologe Gorenflo Klartext: „Menschen werden sterben, wenn sich nicht etwas tut.“

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BODO SCHACKOW / PICTURE ALLIANCE/DPA

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