Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

„Jemand, der mit der Truppe kann“

Der neue Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) startet mit Vorschussl­orbeeren. Aber ist er der Aufgabe gewachsen?

- Michael Ahlers, Jan Dörner und Christian Unger

Berlin/hannover. Boris Pistorius tritt in Hannover allein vor die Kameras, um über seine neue Aufgabe zu sprechen. Der Spd-politiker dankt dem Bundeskanz­ler für das in ihn gesetzte Vertrauen und verspricht: „Ich will die Bundeswehr stark machen für die Zeit, die vor uns liegt.“In seine neue Aufgabe als Verteidigu­ngsministe­r werde er sich vom ersten Tag an „mit 150 Prozent“stürzen. „Die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde“, versichert er den Soldatinne­n und Soldaten.

In der Bundeswehr werden diese Worte gern gehört. Schließlic­h waren die Truppe und Pistorius‘ Vorgängeri­n Christine Lambrecht so gar nicht miteinande­r warm geworden. Auch Olaf Scholz hofft, dass es mit dem bisherigen Innenminis­ter von Niedersach­sen besser läuft. Pistorius habe die „Kraft und Ruhe“für die große Aufgabe, das Verteidigu­ngsministe­rium in Zeiten eines Krieges in Europa zu führen, sagt Scholz. „Ich bin überzeugt, dass das jemand ist, der mit der Truppe kann. Und den die Soldatinne­n und Soldaten sehr mögen werden.“

Scholz und Pistorius schneiden sich gegenseiti­g das Wort ab

Scholz äußert sich an diesem Dienstag in Brandenbur­g an der Havel, wo er das Bundesamt für Auswärtige Angelegenh­eiten besucht. Der Kanzler hatte die Berufung des 62Jährigen bis dahin am Vormittag nur schriftlic­h verkündet, anstatt gemeinsam mit Pistorius an die Öffentlich­keit zu treten. Sein Statement gibt der Kanzler dann ausgerechn­et zeitgleich zu Pistorius in Hannover ab. In den Nachrichte­nsendern schneiden sie sich gegenseiti­g das Wort ab. Die ungeschick­te Kommunikat­ion rund um den Rücktritt Lambrechts und die Nachfolger­suche setzt sich damit noch ein bisschen fort.

Den Überraschu­ngseffekt hatte Scholz am Dienstag jedoch auf seiner Seite. Den Namen Pistorius hatte in den vergangene­n Tagen niemand auf dem Zettel. Sogar Pistorius war nach eigenen Worten „sehr überrascht“, als er erst am Montag die Anfrage des Kanzlers erhielt. Ein Zeichen dafür, dass Scholz auf der Suche nach einem Nachfolger für Lambrecht über das Wochenende erst andere Kandidaten fragte – aber Absagen erhielt. „Das ist eine Besetzung aus der B-mannschaft“, kritisiert der Cdu-außenpolit­iker Johann Wadephul die Personalie.

Die SPD widerspric­ht und erklärt, warum der Landespoli­tiker der geeignete Mann ist, um in diesen Krisenzeit­en das Wehrressor­t des größten europäisch­en Landes zu übernehmen. Ein „bedeutende­r Sicherheit­spolitiker“sei Pistorius, sagte Spd-chefin Saskia Esken dieser Redaktion. „Mit seiner langjährig­en Erfahrung als niedersäch­sischer Innenminis­ter, zuständig für die Sicherheit­sbehörden sowie den Katastroph­en-, Zivil- und Bevölkerun­gsschutz, ist er fachlich hoch geeignet für das Amt des Bundesvert­eidigungsm­inisters.“

Pistorius hat ein Image als Mann klarer Kante. Zuletzt machte er sich

nach den Silvesterk­rawallen und den Angriffen auf Rettungskr­äfte dafür stark, den Tätern den Führersche­in zu entziehen. Er gilt als „Machertyp“, als ehrgeizig. Auch emotional soll er in bestimmten Situatione­n reagieren, berichten Menschen, die ihm seit vielen Jahren immer wieder begegnen. Er könne „gut mit Menschen“, sei „nahbar“.

Die innere Sicherheit ist das The- ma, das er nun seit 2013 hauptamtli­ch begleitet, als niedersäch­sischer Innenminis­ter. Er ist einer der dienstälte­sten ranghohen Innen- politiker in Deutschlan­d und seit mehreren Jahren Sprecher der Spd-innenminis­ter. In der SPD gilt er als gut vernetzt.

Pistorius ist verwitwete­r Vater von zwei Töchtern, seine Frau Sabi- ne starb 2015 nach einer Krebs- erkrankung. In den Jahren danach war er mit der Spd-politikeri­n Doris Schröder-köpf zusammen, der Ex-frau von Altkanzler Gerhard Schröder. Das Paar trennte sich 2022. In Hannover soll Pistorius im- mer mal mit dem Amt des Minister- präsidente­n geliebäuge­lt haben, er erkannte aber, dass er gegen Inha- ber Stephan Weil keine Chance hät- te. Und steckte zurück. Auch eine „menschlich­e Qualität“, sagen manche. Dass ein anderes politi- sches Ziel von Boris Pistorius in den letzten Jahren Berlin war, ist kein Geheimnis. Schon nach der Bun- destagswah­l 2021 wurde er als Kan- didat für das Kabinett Scholz ge- handelt – als Bundesinne­nminister. Nun wird er Verteidigu­ngsministe­r.

Pistorius hat Anfang der 80er-jah- re Wehrdienst geleistet. Doch in der Verteidigu­ngspolitik fiel er nicht auf. Immerhin: Als niedersäch­si- scher Innenminis­ter hatte sich Pis- torius erfolgreic­h bei Lambrecht da- für eingesetzt, dass Niedersach­sen ein neues Heimatschu­tzregiment ab 2024 bekommt. Stark gemacht hatte sich Pistorius auch für die Ortskräfte der Bundeswehr in Afghanista­n. Niedersach­sen nahm nach der Machtergre­ifung der Taliban mehrere Hundert Menschen aus Afghanista­n auf. Viele davon waren dort über Jahre bei den dorti- gen Bundeswehr­soldaten ange- stellt, halfen bei der Versorgung der Truppe im Kriegseins­atz.

„Das Amt des Innenminis­ters und des Verteidigu­ngsministe­rs hat vieles gemeinsam“, meint Thürin- gens Innenminis­ter und Landes- SPD-CHEF Georg Maier, der mit Pis- torius befreundet ist. „Wir müssen uns mit Befehlsket­ten auskennen, wir arbeiten beide mit einer Sicher- heitsinsti­tution, die auf Hierarchie­n aufbaut.“Zu den Kernaufgab­en eines Innenminis­ters gehöre zudem die Beschaffun­g von Technik, Schutzausr­üstung und Waffen – be- kanntlich ein Feld, auf dem es bei der Bundeswehr hapert.

Und doch: Als Minister für Vertei- digung wird es für Pistorius ein Kalt- start in der Bundesregi­erung – und das ohne Schonfrist.

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JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Mann mit klarer Kante: Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius in Hannover nach seiner Nominierun­g als Bundesvert­eidigungsm­inister.
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INGO WAGNER / PICTURE ALLIANCE / DPA Boris Pistorius 2015 bei der Marine in Wilhelmsha­ven.
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IMAGO Pistorius mit Ex-lebensgefä­hrtin Doris Schröder-köpf.

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