Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Neue Schützenhi­lfe für Putin?

Belarus könnte direkt in den Ukraine-krieg eingreifen. Es gibt Anzeichen für eine Mobilmachu­ng

- Ulrich Krökel

Erinnerung­en werden wach an den Winter 2021/22. An die Zeit vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Heute schickt der Kreml wieder Tausende Soldaten nach Belarus. Wieder üben die Truppen bei gemeinsame­n Manövern. Und wie vor Jahresfris­t, als westliche Geheimdien­ste vor einer russischen Invasion warnten, ist in Moskau und Minsk nur vom „Schutz der Grenzen“die Rede.

Die ukrainisch­e Führung dagegen ist sich sicher, dass die russische Armee noch einmal versuchen wird, von Belarus aus gegen Kiew vorzustoße­n. Von der Grenze sind es keine 100 Kilometer bis in die Stadt. „Früher oder später wird es eine solche Großoffens­ive geben“, sagt etwa Roman Bessmertny, der einst ukrainisch­er Botschafte­r in Minsk war und später mit Moskau über die Lage im Donbass verhandelt­e.

15.000 russische Soldaten sind in Belarus stationier­t

Dort, im Osten, verzeichne­t die russische Wagner-truppe derzeit Erfolge bei Soledar und Bachmut. Diese Entwicklun­g lässt die Angst in Kiew vor einer neuen Front im Norden und einem russischen Zangenangr­iff zusätzlich wachsen. Doch wie akut ist die Gefahr, seit russische und belarussis­che Soldaten am Montag ein zweiwöchig­es Luftwaffen­manöver begannen?

Westliche Militärs gehen nicht davon aus, dass es dann bereits zu einem Vorstoß auf Kiew kommen wird. Der österreich­ische Gardekomma­ndant Markus Reisner etwa hält die Kräfte in Belarus für „viel zu schwach, um einen massiven Schlag zu führen“.

Tatsächlic­h sind derzeit nur etwa 15.000 russische Soldaten vor Ort und damit kaum halb so viele wie vor einem Jahr. „Mit diesen Kräften einen Vorstoß zu versuchen, wäre wahnsinnig“, sagt Reisner. Der Offizier ist überzeugt, dass die Kremltrupp­en in Belarus vor allem zur Bindung ukrainisch­er Einheiten dienen, die so nicht im Donbass oder im Süden eingesetzt werden können.

Ähnlich äußert sich der britische Geheimdien­st. Im Westen hat man die Region besonders genau im Blick, weil Belarus an die Natostaate­n Polen, Litauen und Lettland grenzt. Sollte die ehemalige Sowjetrepu­blik erneut zum Aufmarschg­ebiet russischer Truppen werden, würde dies die Gefahr einer direkten Konfrontat­ion mit der Nato nochmals erhöhen. Das deutete sich schon im Herbst an, als eine Rakete russischer Bauart in Polen explodiert­e und zwei Menschen tötete. Am Ende entpuppte sich das Geschoss als Irrläufer der ukrainisch­en Flugabwehr.

Die Führung in Kiew verweist ihrerseits darauf, dass Russland den belarussis­chen Luftraum schon jetzt für Angriffe mit Raketen und iranischen Drohnen nutzt. Völkerrech­tler sehen das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenk­o längst als Kriegspart­ei an. Das aber macht die Lage im Land nur brisanter. Belarus ist ein Pulverfass, an das die Lunte bereits gelegt ist.

Zumal Fachleute wie der Minsker Politologe Waleri Karbalewit­sch überzeugt sind: Scheitert die russische Armee in der Ukraine, dann wird es nicht nur für Wladimir Putin innenpolit­isch eng, sondern mehr noch für Lukaschenk­o. Belarus hängt wirtschaft­lich und finanziell am Tropf Russlands. Vor allem aber ist Lukaschenk­o politisch isoliert. Die EU erkennt ihn seit der gefälschte­n Wahl 2020 nicht einmal mehr als Präsidente­n an.

„Putin und Lukaschenk­o sitzen im selben Boot“, sagt die im litauische­n Exil lebende belarussis­che Opposition­sführerin Swetlana Tichanowsk­aja. Aber heißt das auch, dass Lukaschenk­o zu einer Mobilmachu­ng bereit wäre, um Putin bei seinen imperialen Ambitionen zu unterstütz­en? Darüber gehen die Meinungen in der Exilopposi­tion auseinande­r. Tichanowsk­aja, der seit Dienstag in Belarus ein Prozess wegen Hochverrat­s gemacht wird, glaubt nicht an einen Einsatz belarussis­cher Soldaten in der Ukraine. Schließlic­h sei „die große Mehrheit der Menschen im Land gegen Krieg“.

Ihr wichtigste­r Mitstreite­r Pawel Latuschka dagegen ist überzeugt: „Lukaschenk­o bereitet sich auf eine Teilnahme an einer Offensive vor.“Es gebe bereits Anzeichen für eine Mobilmachu­ng im Land. So seien potenziell­e Rekruten aufgeforde­rt worden, ihre Pässe abzugeben. Insbesonde­re Einsatzkrä­fte des Innenminis­teriums dürfen nicht mehr ausreisen. Das allerdings deutet eher auf eine wachsende Furcht Lukaschenk­os vor neuen Demonstrat­ionen hin als auf eine Mobilmachu­ng. Zumal eine Protestwel­le aufseiten der Opposition kaum noch einmal so friedlich bleiben würde wie im „Sommer der

Freiheit“2020.

Im Land hat niemand die Prügelorgi­en der Sonderpoli­zei Omon vergessen. Und auch nicht die Willkürjus­tiz. Bis heute sitzen prominente Führungsfi­guren der Opposition im Gefängnis, etwa die Musikerin Maria Kolesnikow­a und Friedensno­belpreistr­äger Ales Bjaljazki.

Lukaschenk­o will die Todesstraf­e verschärfe­n

Die größte Angst hat Lukaschenk­o aber wohl vor einem Umsturzver­such aus den eigenen Reihen. Darauf deutet eine geplante Verschärfu­ng der Todesstraf­e hin. Demnach sollen künftig Beamte und Militärs wegen Landesverr­ats zum Tode verurteilt werden können. Belarus ist der einzige Staat in Europa, der die Todesstraf­e noch vollstreck­t – per Genickschu­ss.

Bereits im Frühjahr hatte Lukaschenk­o den Anwendungs­bereich erweitern lassen. Seitdem droht die Hinrichtun­g schon für „Planung oder Versuch eines Terrorakts“. Hintergrun­d waren mehrere Anschläge sogenannte­r Schienenpa­rtisanen auf Bahnstreck­en in Belarus.

Hacker attackiert­en zu Beginn des Krieges die Software von Stellwerke­n und Signalanla­gen. Zentrales Ziel war es offenbar, die Logistik und den Nachschub der russischen Armee in Belarus zu stören. Erst nach dem Rückzug der Kreml-truppen aus der Nordukrain­e ebbte die Anschlagss­erie ab.

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RUSSIAN DEFENSE MINISTRY PRESS SERVICE / DPA Russische Soldaten nehmen Ende Dezember an Übungen an einem nicht näher bezeichnet­en Ort in Belarus teil.
 ?? KREMLIIN / IMAGO/UPI PHOTO ?? Waffenbrüd­er: der belarussis­che Präsident Alexander Lukaschenk­o und Wladimir Putin.
KREMLIIN / IMAGO/UPI PHOTO Waffenbrüd­er: der belarussis­che Präsident Alexander Lukaschenk­o und Wladimir Putin.

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