Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
„Ich bin nicht mehr, wie ich mal war“
Nach Infektion am Arbeitsplatz leidet eine Pflegeheim-mitarbeiterin an Corona-spätfolgen
Zwei Jahre liegt ihre Coronainfektion jetzt zurück. Doch es vergeht kein Tag, an dem sie nicht daran erinnert wird. Denn obwohl Jeanette Brück* das hatte, was man einen milden Verlauf nennt – sie musste weder in die Klinik noch wurde sie intensivpflichtig –, hat die Krankheit bei ihr deutliche Spuren hinterlassen: Die schlanke 51-Jährige kommt nach wie vor beim Treppensteigen aus der Puste, fühlt sich nach jedem Arbeitstag wie erschlagen und leidet bis heute an Wortfindungsstörungen und Gedächtnislücken.
Das alles verunsichert Jeanette Brück, die sich eigentlich nur als Energiebündel kennt. Immer agil, immer tätig. Hatte sie vor Corona noch genügend Elan, um nebenher eine Kirche zu putzen, sich um mehrere ältere Damen zu kümmern und in jeder freien Minute zu stricken und zu nähen, muss sie heute mit ihren Kräften gut haushalten. „Das Alter kann es ja noch nicht sein“, sagt sie lachend – um gleich darauf wieder ernst zu werden. Denn es fühle sich nicht gut an, durch eine überstandene Erkrankung noch so lange Zeit limitiert zu werden.
Jeanette Brück arbeitet seit 14 Jahren in einem Pflegeheim in Mittelthüringen. Sie kümmert sich dort in erster Linie um die Wäsche – sowohl die Wäsche der Bewohner als auch die, die sonst im Heim anfällt. Doch sie springt auch ein, wenn an anderen Stellen Not am Mann ist. Genau das dürfte ihr auch an jenem Januartag 2021 zum Verhängnis geworden sein, an dem sie sich infizierte: Obwohl sie ihre Schicht schon beendet hatte, kehrte sie wenige Stunden später ins Heim zurück, weil dort jede helfende Hand gebraucht wurde.
Immer geschützt durch eine Ffp-2-maske
Inzwischen waren mehrere Bewohner an Corona erkrankt, auch Ausfälle beim Personal gab es deswegen schon. Um die Infizierten zu isolieren, musste kurzerhand der Umzug von Bewohnern innerhalb des Hauses organisiert werden. „Deshalb habe ich keine Sekunde gezögert, als ich gefragt wurde, ob ich zurückkommen könnte“, sagt Jeanette Brück. Da sie nur wenige Minuten vom Heim entfernt wohne, habe sie das schon oft gemacht. „Ich könnte gar nicht anders.“
Jeanette Brück und ihre Kollegen packten an jenem Tag die Sachen der Gesunden zusammen, reinigten die Zimmer und brachten kranke und gesunde Bewohner auf jeweils separate Etagen. Vier Stunden war die 51-Jährige an diesem Tag noch zusätzlich im Einsatz, immer geschützt durch eine Ffp-2-maske, einen Schutzanzug, Schutzbrille und Gummihandschuhe. Und doch müsse sie sich dabei infiziert haben. „Sonst gab es keine Möglichkeit.“
Es habe damals ein strenger Lockdown geherrscht, sie sei außer zur Arbeit nirgendwohin gegangen, habe auch im Haus niemanden von den Nachbarn getroffen. „Ich bin zur Arbeit und wieder heim. Mehr nicht.“Auch ihr Mann, der in dieser Zeit die Einkäufe übernahm, und ihr erwachsener Sohn hätten das
Virus nicht mit nach Hause gebracht. „Im Gegenteil: Ich habe beide angesteckt, obwohl ich mich sofort nach dem positiven PCR-TEST in der Wohnung von ihnen fernhielt.“
Nach dem Test seien auch die Symptome unzweideutig gewesen: drei Tage hohes Fieber, Geruchsund Geschmacksverlust, Luftnot, Hustenattacken. Anderthalb Wochen später war sie zwar wieder negativ, wie ein weiterer Test beim Hausarzt ergab. „Aber ich bin lange nicht wieder richtig auf die Beine gekommen.“Bis März 2021 war die Thüringerin krankgeschrieben, erst danach konnte sie mit der Wiedereingliederung beginnen. Zunächst arbeitete sie drei, einige Wochen später fünf und im Herbst 2021 schließlich wieder sieben Stunden pro Tag. „Aber wenn ich nach Hause komme, ist der Akku komplett leer. Ich nicke im Sessel ein und fühle mich teils wie gelähmt“, sagt sie. Dabei möchte sie so gern zu ihrer alten Kraft zurückfinden: „Ich war einige Jahre arbeitslos, dann Aufstocker. Da ist man einfach sehr dankbar, eine Arbeit zu haben, die man gern macht. Und ich mache meine Arbeit sehr gern.“
Berufsgenossenschaft lehnt Anerkennung ab
Untersuchungen beim Kardiologen und Pneumologen hätten gezeigt, dass organisch alles in Ordnung ist. „Darüber bin ich natürlich sehr froh“, sagt sie. Sie sei, sagt sie, überhaupt dankbar dafür, Corona überstanden zu haben. „Aber die Krankheit hat mich verändert. Ich bin nicht mehr so, wie ich mal war.“
Bei der Berufsgenossenschaft hat Jeanette Brück die Anerkennung ihrer Covid-infektion als Berufskrankheit beantragt. Denn wenn die Symptome bleiben, hätte sie durch die formale Feststellung eine gewisse Sicherheit. Nicht nur, weil bei Betroffenen über Jahre oder sogar Jahrzehnte Kosten für die medizinische Behandlung und Rehabilitation entstehen können, sondern auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder Renten. Doch der Antrag wurde abgelehnt – Jeanette Brück arbeite schließlich in der Wäscherei und nicht zuvorderst mit den Bewohnern, hieß es zur Begründung. Unterstützt von Hausleitung und Hausarzt hat die zweifache Mutter daraufhin Widerspruch eingelegt. „Seither habe ich noch nichts wieder davon gehört.“
Jeanette Brück hat dafür durchaus Verständnis: Die Berufsgenossenschaften hätten es schließlich mit einer Flut solcher Anträge zu tun. Sollte festgestellt werden, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit doch keiner Gruppe mit besonderem Risiko angehört, sich aber auf der Arbeit infiziert hat, könnte sie das noch als Arbeitsunfall geltend machen. Den Antrag dafür hat sie vorsorglich ebenfalls gestellt.
Doch ganz gleich, wie die Entscheidung ausfällt: Eines könne weder die Anerkennung als Berufskrankheit noch die als Arbeitsunfall heilen – den Kummer darüber, dass das Pflegeheim, in dem Jeanette Brück seit so vielen Jahren arbeitet, durch Corona fast drei Dutzend Bewohner verloren hat.
*Name von der Redaktion geändert