Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Absturz auf den Kindergarten
Bei einem Hubschrauberunglück sterben Ukraines Innenminister, sein Stellvertreter und Kita-kinder. Scholz kondoliert
Es sind Bilder, die die ganze Ukraine in Schockstarre versetzen. Aus einem lang gestreckten Gebäude steigen Feuersäulen auf. Auf der Straße liegen Trümmerteile eines Hubschraubers. Feuerwehrautos und Rettungswagen stehen dicht an dicht. Sanitäter telefonieren hektisch mit dem Handy. In der Stadt Browary unweit Kiews ist am Mittwoch ein Helikopter abgestürzt – nur ein paar Schritte von einem Kindergarten entfernt.
Die Nachricht macht blitzschnell die Runde. In dem Hubschrauber befanden sich der ukrainische Innenminister, Denys Monastyrskyj, sein Stellvertreter und ein Staatssekretär des Ministeriums. Insgesamt kommen nach Behördenangaben 14 Menschen ums Leben. Etwa 25 Verletzte würden im Krankenhaus versorgt, heißt es. Auch vier Kinder seien unter den Todesopfern. Die Absturzursache ist zunächst unklar.
Die ukrainische Zeitung „Tribuna-browary“berichtet laut dem Online-medium „Meduza“, dass der Hubschrauber im Nebel abgestürzt sei. Möglicherweise habe der Pilot ein Hochhaus zunächst nicht gesehen, zu steigen begonnen und dann die Kontrolle verloren. Ein Augenzeuge sagt gegenüber ukrainischen Medien, der Hubschrauber habe vor dem Absturz drei Kreise über einem Supermarkt gezogen, habe scharf zu sinken begonnen und sei abgestürzt. Mehrere verhüllte Leichen liegen in einem Hof in der Nähe des beschädigten Kindergartens. Trümmer liegen über einen Spielplatz verstreut.
Denys Monastyrskyj war vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj 2021 zum Innenminister ernannt worden. Er war für die Polizei und die Innere Sicherheit zuständig. Er ist der ranghöchste ukrainische Staatsvertreter, der seit Beginn des Krieges ums Leben gekommen ist. Der Jurist Monastyrskyj galt in Selenskyis Wahlkampfteam bei den Präsidentschaftswahlen 2019 als Experte für die geplante Justizreform.
Inzwischen wurde wegen des Absturzes ein Strafverfahren eingeleitet. Ermittler des Sicherheitsdienstes der Ukraine und des Staatlichen Ermittlungsbüros werden an der Untersuchung beteiligt sein, so Andriy Nebytov, der Leiter der Polizei der Region Kiew. Er forderte Augenzeugen des Absturzes auf, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen.
Bei dem abgestürzten Hubschrauber handelt es sich um den
Typ Airbus H225 Super Puma. Er wurde normalerweise von Rettungsdiensten benutzt. Warum Vertreter des Innenministeriums mit ihm flogen, war zunächst unklar. Nach Angaben des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU werden in einer vorgerichtlichen Untersuchung drei potenzielle Ursachen des Absturzes untersucht: Fehler des Piloten, technischer Fehler am Helikopter und Sabotage – möglicherweise unter russischer Einwirkung.
Laut dem Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, Jurij Ihnat, wird
eine Kommission die Ursachen untersuchen. „Das wird nicht nur ein bis zwei Tage dauern, denn die Untersuchung einer Flugkatastrophe braucht eine gewisse Zeit“, so Ihnat. Die Europäische Agentur für
Flugsicherheit (EASA) hatte 2016 gegen den H225 wegen Sicherheitsbedenken zeitweilig ein vorläufiges Flugverbot verhängt. Dem Verbot war ein Absturz einer Maschine in Norwegen mit 13 Toten vorausgegangen. Schon das Vorgänger-modell AS 332 war in mehrere schwere Flugunfälle verwickelt, die häufig auch tödlich endeten.
Präsident Selenskyj bezeichnete den Absturz als eine „schreckliche Tragödie“, die „unaussprechlichen Schmerz“auslöse. Den Freunden und Familien der Opfer bekundete er sein Beileid.
Auch aus Deutschland kamen erste Beileidsbekundungen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) meldete sich via Twitter zu Wort und sprach von einem „traurigen Tag“für die Ukraine, die einen „immensen Tribut“im Krieg zahlen müsse. Die Gedanken seien bei den Angehörigen der Opfer und Verletzten sowie bei Präsident Selenskyj, „der heute seinen Innenminister verloren hat“, schrieb Scholz. Bundesinnenministerin Nancy Faeser teilte mit, dass sie mit Monastyrskyj einen engen Partner verloren habe, mit dem sie in „gutem, engem Kontakt“gestanden sei. In einem Gespräch mit dem ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev habe sie Unterstützung der Bundesregierung bei der Aufklärung der Absturzursache angekündigt, so Faeser.
Suche nach Überlebenden in Dnipro eingestellt
Kondoliert wurde auch in Brüssel. Eu-kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach den Familien der Opfer, Präsident Selenskyj sowie der gesamten Ukraine ihr tiefes Beileid aus. „Wir trauern mit Ihnen“, schrieb sie auf Twitter. Ähnlich äußerte sich Eu-ratschef Charles Michel. Monastyrskyj sei ein guter Freund der Europäischen Union gewesen. Eu-parlamentspräsidentin Roberta Metsola zeigte sich „untröstlich“. Ihre Gedanken seien bei den Familien und Angehörigen Monastyrskyjs sowie der anderen Opfer. Russland hat sich zum Absturz bislang nicht geäußert.
Derweil stellten nach dem verheerenden Einschlag einer russischen Rakete in ein Hochhaus der ukrainischen Stadt Dnipro am vergangenen Wochenende die Einsatzkräfte die Suche nach Verschütteten ein. Noch immer würden 20 Menschen vermisst, teilte der Zivilschutz mit. „Die Chancen, jemanden zu finden, tendieren leider gegen null“, sagte Bürgermeister Borys Filatow am Mittwoch. Mindestens 45 Menschen wurden in der Großstadt im zentralukrainischen Gebiet Dnipropetrowsk getötet, darunter sechs Kinder. Etwa 80 Menschen wurden verletzt.
In Moskau wurden Bürgerrechtlern zufolge mehrere Menschen beim Versuch festgenommen, Blumen in Gedenken an die Todesopfer des russischen Raketenangriffs auf Dnipro niederzulegen. Insgesamt habe es im Zentrum der russischen Hauptstadt am Dienstagabend vier Festnahmen gegeben, teilte die Bürgerrechtsorganisation OVD-INFO mit.