Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
In der Tesla-falle
In Weimar stülpt Andrea Moses dem 1933 sensationellen „Silbersee“aktuelle Öko-bezüge über
Weimar. Ein „Wintermärchen“: Inmitten der bittersten Wirtschaftskrise leiden die Menschen Hunger und Not, die Republik steht vor dem radikalen Umsturz. So extrem zugespitzt hat sich die Lage, als am 18. Februar 1933 – zeitgleich in Leipzig, Magdeburg und in Erfurt – „Der Silbersee“uraufgeführt wird. Dieses damals sensationelle Sozialdrama der berühmten, bald von den Nazis verfemten Autoren Kaiser und Weill überträgt Andrea Moses nun am DNT Weimar in unsere Tage und setzt ein antikapitalistisches Öko-fanal obendrauf: Sie hat den Milliardär und Tesla-boss Elon Musk als Feindfigur identifiziert.
Die dreistündige Premiere entfaltet seltsam wenig Drive und Dringlichkeit. Zwar wird die Schauspieloper ganz solide aufgeführt und erntet am Ende viel Beifall, obwohl die Reihen im Saal sich zur Pause sichtlich lichteten. Denn von einer Moses erwartet man mehr, und Thüringern mag das Schicksal des von Verlandung bedrohten Peetzsees in Brandenburg relativ wurscht sein.
Dort in Grünheide ist Georg Kaiser fast 17 Jahre zuhause gewesen, dort spielt „Der Silbersee“und betreibt heute der Tesla-konzern eine womöglich das Grundwasser gefährdende Giga-fabrik für Elektroautomobile. All das organisiert Moses auf drei Ebenen: auf der Bühne, einem diese in ganzer Breite überspannenden Steg und auf der Leinwand mit teils handlungstragenden, pfiffig al fresco gedrehten Videosequenzen (Sarah Derendinger).
Verfolgungsjagd über Rolltreppen in einem Konsumtempel Weimars
Severin (Alexander Günther) haust mit seiner asozialen Bande in einem Abwasserrohr, welches das trotzige Graffito „Freie Republik Silbersee“trägt. Beim – per Video eingespielten – Überfall auf einen Supermarkt (Weimarer Location!), raubt der Ganove aus Not eine Ananas, also ein Luxusgut. In der Tiefgarage kommt’s zum – parodistisch bizarren – Showdown, als ihn einer der beiden trotteligen Dorfpolizisten anschießt. Den Rest seines Lebens wird Severin behindert bleiben.
Ist der Räuber nur ein Opfer sozialer Verhältnisse und der Schütze
Olim (Uwe Schenker-primus) nicht auch nur ein Würstchen? Im Drama erfolgt die Probe aufs Exempel.
Olim glückt ein Lottogewinn, er kauft ein Schloss am See und da Gewissensbisse ihn plagen, nimmt er Severin auf, um ihn zu versorgen. Indes hat die frühere Schlossherrin von Luber (Camilla Ribero-souza) sich samt monarchistischer Entourage getarnt unters Dienstvolk gemischt. Die Intrigantin entzweit die ungleichen Freunde, indem Olim dem Severin als Verursacher seines körperlichen Leids offenbar wird.
In der Angst vor Severins Rache überschreibt Olim der Luber das Schloss – prompt werden die zwei aus dem Haus gejagt. Das exerziert Baron Laur (Jörn Eichler) alias Elon Musk, der als Boss die Sau
rauslässt. So haben sich (alter) Adel und (neuer) Geldadel verbündet.
Ästhetisch setzt Moses auf finsterer, rudimentär ausgestatteter Bühne (Jan Pappelbaum) im Stil des epischen Theaters an. Sie entdeckt zudem komödiantische Elemente und geht in eine Art konventioneller Agitprop-oper über. Das funktioniert gut und hat manch klugen Moment, entbehrt trotz des Spielwitzes (Günther und Schenker-primus voran) aber einer harten Stringenz.
Die klischeehafte Kritik an Musk, der qua Kostüm (Meentje Nielsen) kenntlich wird, verharrt allzu sehr im Oberflächlichen. Auch mag’s das Publikum leid sein, im Theater frontal appliziert zu bekommen, was es eh weiß. Zynisch gewendet das Ende: Denn statt verklärter Apotheose
lassen Severin und Olim sich bei Moses von Tesla korrumpieren.
Im Graben leitet der blutjunge Friedrich Praetorius seine erste Premiere sicher, souverän, ohne Kurt Weills jazzig durchtriebenen, tanzgeilen Zwischenspielen und Songs jene harsche Brachialität anzutun, die sie verdienten. Dazu müsste er der Staatskapelle das Schönspielen austreiben, und wer will das schon?
Weimars „Silbersee“ist sehenswert, aber nicht, wie erhofft, fulminant. Und wer ein Herz für Größen wie Kaiser und Weill hat, lässt sich’s nicht entgehen: In ihrem letzten gemeinsamen Stück erahnen wir sie bereits als zu Unrecht Verbannte…
Weitere Vorstellungen: 29. Jan., 10. u. 23. Feb. nationaltheater-weimar.de