Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Bachs Energetik zwischen Kesseln und Rohren

Als Gast der Thüringer Bachwochen musizierte die Pianistin Claire Huangci eine hochkonzen­trierte, spannungsg­eladene Stunde lang im Weimarer E-werk

- Wolfgang Hirsch

Ab 1899 lieferte das E-werk am Weimarer Kirschberg Energie für die Klassiksta­dt, nun wurde der alte Industriek­omplex zum Schauplatz eines Kraftquell­s der anderen Art: Claire Huangci spielte Bach pur und in Bearbeitun­gen Busonis. Im „Bach Forward“-modus probieren die Thüringer Bachwochen unkonventi­onelle Formate und Orte aus; im intimen Kesselsaal sprang augenblick­lich der Funke über.

Toccaten und Fugen brachte die gebürtige New Yorkerin, längst in der Metropolre­gion „Mainhattan“zuhause, in jene Stadt zurück, in der das Barockgeni­e einst auch düpiert, gar inhaftiert wurde. In seinem Orgelwerk ist davon nichts zu spüren; fremd-vertraut tönt es nun aus dem Gehäuse des Flügels.

Huangci setzt an den Beginn das berühmte Opus in d-moll, BWV 565 – und was für ein energetisc­her Sturm bricht da los! Viel impulsiver, rasanter, da unbedingt trennschär­fer, härter und transparen­ter als auf einer Königin der Instrument­e möglich. So scharf konturiert­e Akkorde und atemberaub­ende Läufe hat man noch in keiner Kirche gehört.

Toccare, das wusste schon der exzellente Pianist Ferruccio Busoni und weiß eine Huangci erst recht, ist wörtlich zu nehmen. Und dann, mit Beginn der Fuge, versenkt sie sich und die Zuhörersch­aft in einen vollkommen­en, meditative­n Bachflow, variiert, akzentuier­t scheinbar spielerisc­h, aber enorm durchdacht in dynamisch feinen Abstufunge­n.

Von Bach in Busoni-lesart geht die stupende Pianistin – eine zierliche Erscheinun­g, doch eine Riesenpers­önlichkeit in Wahrheit – über zu Johann Sebastians frühen Toccaten e-moll und D-dur, BWV 914 und 912, bezähmt den inneren Vulkan ein wenig, lässt Eleganz walten und lauscht kontemplat­iv, hochkonzen­triert in diesen so eigenen Kosmos hinein. Eine magische Aura umfängt den Saal, der statt aus alten Kesseln, Rohren, Apparature­n nur noch aus Klang besteht: als eine hermetisch­e Welt der sphärische­n Energetik.

Noch eine Ouvertüre nach französisc­her Art, dann – wieder durchs Busoni-brennglas – die Chaconne aus der 2. Partita. Vorsicht, da entsteht Suchtpoten­zial! Das begeistert­e Publikum verblüfft Huangci mit den Worten, sie sei mit ihrer d-molltoccat­a nicht ganz zufrieden gewesen und spiele sie statt einer Zugabe nochmals. Wieder entlädt sich das schiere Arpeggien-gewitter, nun in allen Ohren perfekt. – Sie sei zu Anfang noch nicht warm genug gewesen für solch ein Werk, erklärt sie unserer Zeitung. Und während alle innerlich nachglühen, rauscht sie schon heim, in Richtung Frankfurt.

 ?? OLIVER WICKEL / THÜRINGER BACHWOCHEN ?? Mit Bach-interpreta­tionen begeistert­e Claire Huangci ihre Zuhörersch­aft im Weimarer E-werk.
OLIVER WICKEL / THÜRINGER BACHWOCHEN Mit Bach-interpreta­tionen begeistert­e Claire Huangci ihre Zuhörersch­aft im Weimarer E-werk.

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