Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Gewolltes und Ungewolltes
Das Theater Meiningen tut sich bei der Premiere schwer mit Schillers „Maria Stuart“
Das scheint eine Puppe in einer Ausstellung zu sein. Eine Puppe in dieser gläsernen Vitrine, kalt und grell beleuchtet. Aber dann kommen Männer und reißen sie hinweg. Etwas später, wenn sie wiederkehrt, trägt sie Slip und BH. Der Mann, der sie eine „Mörderin, verjagt von ihrem Volk“nannte, wirft ihr beiläufig ein Kleid hin, er scheint nicht überrascht von ihrem Aufzug. Wer ist diese Frau? Eine Missbrauchte? Eine Schlampe ? Ein Ausstellungsstück?
Die „Maria Stuart“, die Schiller in Weimar schrieb, ist in ihrer Substanz ein Zweipersonenstück. Es sind die beiden Königinnen, die englische Elisabeth und die schottische Maria, ihr Kampf um Macht und Würde. Die Macht und ihr Preis, die Einsamkeit in der die siegreiche Elisabeth erstickt. „Huren“nannte sie Goethe, „Fischweiber“Brecht, beide verweisen so auch darauf, dass das Stück vom Kampf der Frauen lebt, was heißt, von der Konfrontation der Schauspielerinnen. Aber da beide sich nur einmal begegnen, konkurrieren sie gleichsam über Bande. Und der Großteil der sie, pardon, umgebenden Bande ist eigentlich überflüssig, ist dramaturgisches Bindemittel.
Gezirkelte Bewegungen auf festen Bahnen
Frank Behnke, der Regisseur führt uns, inmitten der marmorierten Mauern von Michael Lindner, die beiden Damen vor: Larissa Aimee Breidbach vital, mitunter gar wild, die hat, man mag’s glauben, es einst schon heftig angehen lassen. Drückt, wirft sich gegen das Glas ihres Käfigs, wütet, schreit. Und spricht mit Hall aus ihrer Zelle, was der Verständlichkeit des Textes nicht dienlich ist. Und Anja Lenßen, eingeschlossen in die königliche Robe, eine andere Art von Käfig. Die Bewegungen gezirkelt auf festen Bahnen wie die Rede, das bleiche Gesicht so starr wie die Regeln, die hier gelten. Wenn sie dem Mortimer den Mord anempfiehlt, dann drückt sie sich gegen die Wand, als wollte sie sich verstecken vor sich selbst. Einmal, da hält der junge Mortimer (Leo Goldberg) den Brief der Maria an Lord Leicester (Stefan Willi Wang) in die Höhe, der zögert, wenn er ihn nimmt, spielt er ums Leben. Dann beraten die beiden Männer, der eine schwärmt für sich und die Schottin, der andere für sich und die Macht.
Und hinten liegt die eine Königin in ihrem Käfig, die andere bewegt sich langsam, wie in Zeitlupe, wie zwanghaft darauf auf zu, als zöge es auch sie in den Käfig. Als ahnte sie, mit der Erbärmlichkeit mit der da vorn Politik getrieben wird, ist es ohnehin egal.
Mag sein, aber was hier tatsächlich egal ist, das ist fast die komplette Personage um die beiden Frauen herum. Das mag so gewollt sein: Die Erbärmlichkeit, die Kleinheit, die Charakterlosigkeit. Aber nicht gewollt kann sein: Dass sich die Bewertung der Figuren auf die Ausstrahlung ihrer Darsteller überträgt. Wenn Leicester und Burleigh aneinander geraten, dann ist das wie eine kleine Intrige im Bäckerladen von Morgenröthe-rautenkranz. Und wenn Mortimer sich das Hemd von der bebenden Brust reißt, wenn er hochfahrend pubertär tönt, wenn die Regie ihn so vorführt, dann hat das etwas Nervendes. Paulet (Yannick Fischer) und Talbot (Marcus Chiwaeze), die „Guten“sind von unauffälliger Bravheit und Burleighs (Lukas Umlauft) Gefährlichkeit ist die des besorgten Buchhalters. So lässt die gewollte Vorführung der Mediokrität des politischen Personals den Abend ungewollt weithin uninspiriert erscheinen.
Der Höhepunkt ist dann auch nicht die Konfrontation der beiden Königinnen, bei der Maria endlich lustvoll von der Leine kann. Es ist vielmehr, erstaunlich genug, die szenisch von der Regie sehr gut vorbereitete Konfrontation der Herrscherin
mit ihrem Boten. Pauline Gloger hatte sich schon vordem als französische Brautwerberin filigran in Bild und Ton als Gegenstück der steifen Königin geschlängelt. Nun windet, nun krümmt sie sich, das Todesurteil der Königin in Händen aber ohne Weisung, wie damit zu verfahren sei. Die Königin haucht, barmt in das Mikrofon, die Untergebene fleht „Nimm es zurück“. Hier übersetzt sich der politische Impuls der Regie, hier wird die Verweigerung von Verantwortung zum szenischen Ereignis.
Am Ende betrachtet Elisabeth die Krone, wie zweifelnd, wie fragend: Lohnt es sich? Dafür?