Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Manchmal „stur wie ein Ochse“

Bahn-betriebsra­t Dietmar Ernst engagiert sich über das normale Maß hinaus. Nun wird er 60

- Sibylle Göbel

Dietmar Ernst ist aus exakt dem Holz geschnitzt, aus dem Betriebsrä­te geschnitzt sein sollten: Er besitzt neben einer großen Klappe (die er sich selbst attestiert) Verhandlun­gsgeschick, er ist durchsetzu­ngsstark, dabei bodenständ­ig und emphatisch.

Genau deshalb wünschen ihm zu seinem 60. Geburtstag an diesem Donnerstag nicht nur seine Mitstreite­r im Betriebsra­t des Erfurter Betriebes der Deutsche Bahn Netz AG noch viele Jahre voller Gesundheit und Tatkraft. Sondern auch jene, deren Interessen er vertritt: die Beschäftig­ten, die für den Betrieb und die Instandhal­tung des Schienenne­tzes in fast ganz Thüringen, im Raum Naumburg und in einem Zipfel von Hessen zuständig sind.

Im Laufe der Jahre hat sich der Saalfelder für viele dieser insgesamt fast 900 Bahner eingesetzt. Zuletzt konnte beispielsw­eise dank seines Vetos die Schließung des Bahnstützp­unktes in Gerstungen abgewendet werden. Davon wäre nur eine Handvoll Mitarbeite­r betroffen gewesen, die künftig von Eisenach aus arbeiten sollten. Aber das Argument, dass die Techniker bei einer Havarie der Kali-bahn im hessischen Heringen/werra deutlich schneller von Gerstungen als von Eisenach aus zur Stelle wären, hat auch die Chefetage überzeugt.

„Damit war das erst mal vom Tisch“, sagt Dietmar Ernst erleichter­t. Genauso konnte er schon vielfach Höhergrupp­ierungen von Kollegen durchsetze­n – beispielsw­eise von Technikern, die aus gesundheit­lichen Gründen ihren Job nicht mehr ausüben durften und auf eine Stelle mit geringerem Lohn versetzt wurden. „Da muss man dann schon mal ein bisschen kreativ werden“, nennt Ernst das. Dabei klärt er die Dinge nie nur am Telefon oder vom Schreibtis­ch in Erfurt aus, sondern fährt zu den Kollegen, spricht mit ihnen vor Ort über ihre Sorgen und

kennt deshalb sowohl die Menschen, für die er im Einsatz ist, als auch ihre Arbeitsbed­ingungen.

Wenn es darum geht, für die Kollegen bessere Konditione­n herauszusc­hlagen oder als ungerecht empfundene Entscheidu­ngen zu entschärfe­n, sei Dietmar Ernst oft „stur wie ein Ochse“, sagen seine beiden Mitstreite­r Birgit Boddin und Matthias Altmann über ihn. Eine durchaus liebevoll gemeinte Charakteri­sierung: Der Saalfelder, der mit 16 den Beruf des Elektrosig­nalmechani­kers erlernt hat, lasse einfach

nicht locker, ohne dabei aber mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Denn zum guten Verhandeln gehöre für Dietmar Ernst, die Argumente beider Seiten zu hören und gegeneinan­der abzuwägen, nicht nur kompromiss­los auf den eigenen Maximalfor­derungen zu beharren.

Das habe ihm auch bei den Führungskr­äften, die ihn immer wieder als unbequemen Streiter erleben, Anerkennun­g eingebrach­t. „Trotzdem musste ich gerade am Anfang lernen, nicht immer gleich wie ein Neandertal­er die Keule auszupacke­n“, sagt der Betriebsra­t rückblicke­nd. Dass er es 2006 nach seiner Wahl zunächst strikt ablehnte, als Praktiker in die Freistellu­ng zu gehen, spricht für ihn und seine Arbeitsmor­al. Aber auch ein Dietmar Ernst musste erkennen, dass sich eine solche Aufgabe nicht eben in der Freizeit bewältigen lässt.

Wer Dietmar Ernst kennt, weiß auch um seine Fotoleiden­schaft: Anstatt sich aber wie viele andere Bahn-fans mit Klapphocke­r auf dem „Affenfelse­n“zu postieren, einer Straßenbrü­cke nördlich des Saalfelder Bahnhofs, die den Blick auf das Bahnbetrie­bswerk mit dem Ringloksch­uppen eröffnet, lichtete er lieber ab, unter welchen Bedingunge­n die Techniker arbeiteten: vor der Wende zum Beispiel ein von der Post übernommen­es uraltes Montagezel­t. Oder die schwarze Arbeitsklu­ft, die – anders als die neonfarben­en Jacken und Westen von heute – keine gute Sichtbarke­it derer gewährleis­tete, „bei denen jeder Handgriff sicherheit­srelevant ist“. Längst sind diese Aufnahmen wertvolle Zeitzeugni­sse.

Trotzdem musste ich gerade am Anfang lernen, nicht immer gleich wie ein Neandertal­er die Keule auszupacke­n. Dietmar Ernst, Saalfelder und Betriebsra­t bei der Deutsche Bahn Netz AG in Erfurt

Jana sitzt im Zug nach Könitz auf seinem Stammplatz

Heute gehören auch seine Enkelkinde­r zu seinen bevorzugte­n Fotomotive­n; Dietmar Ernst, seit der Wendezeit in der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft engagiert, ist begeistert­er Großvater. Überhaupt ist er Familienme­nsch durch und durch – und das ist wohl auch einer der Gründe dafür, dass er bodenständ­ig geblieben ist und redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: nie geschwolle­n, nie gekünstelt.

Noch immer lebt der Saalfelder in der Gorndorfer „Platte“, in der er kurz nach der Wende endlich eine annehmbare Wohnung fand, mitten in einem Wohngebiet, „aus dem ich nicht wegwill“. Bis heute ist er passionier­ter Kleingärtn­er, und bis heute ist er mit der Frau verheirate­t, die ihm 1981 erstmals dadurch auffiel, dass sie im sogenannte­n Arbeiterzu­g von Saalfeld nach Könitz justament auf seinem Stammplatz saß.

Doch so richtig gefunkt hat es erst, als beide sich wenig später bei einem Bahnfest im Grenzort Probstzell­a erneut über den Weg liefen: Dietmar Ernst war dort aufgewachs­en, seine spätere Frau oft bei ihren Probstzell­aer Großeltern zu Besuch. Ohne seine Jana, findet Dietmar Ernst, wäre er nicht da, wo er ist, und auch nicht der, der er ist. Dass sie am selben Tag wie er 60 wird, muss der Himmel – oder wer auch immer – so gefügt haben.

 ?? SIBYLLE GÖBEL ?? Dietmar Ernst aus Saalfeld setzt sich als Bahn-betriebsra­t besonders für seine Kollegen ein. Nun wird er 60.
SIBYLLE GÖBEL Dietmar Ernst aus Saalfeld setzt sich als Bahn-betriebsra­t besonders für seine Kollegen ein. Nun wird er 60.

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