Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

„Sie stapfen über die toten Kameraden“

Ukraine leistet erbittert Widerstand, doch Bachmut scheint nicht zu halten. Soldaten reden über das Gemetzel an der Front

- Jan Jessen

Es scheint nur noch eine Frage von Tagen, bis die Stadt Bachmut im Osten der Ukraine fällt. Seit Monaten leisten die ukrainisch­en Verteidige­r erbitterte­n Widerstand gegen den Ansturm der russischen Streitkräf­te - die Schlacht ist blutig wie keine andere im Ukraine-krieg.

Es ist ein grausames Gemetzel, das an die Schrecken des Ersten Weltkriegs erinnert. Volodomyr hat dieses Grauen miterlebt. Er ist Ende 30, hat sich im Februar freiwillig gemeldet, um seine Heimat zu verteidige­n. Er steckt sich eine Zigarette nach der anderen an. Vor dem Krieg war er Nichtrauch­er. „Kennen Sie den Film ‚World War Z‘?“, fragt er. Der Film ist ein Hollywood-schinken über eine Zombie-apokalypse. „Genauso muss man sich das vorstellen“, sagt der Soldat und hält inne. „Die Russen haben Wellen von

Soldaten direkt in unser Feuer gejagt. Sie sind über die Körper ihrer toten Kameraden auf unsere Stellungen zugestapft. Wenn wir geschossen haben, haben sie sich nicht einmal geduckt.“Volodomyr schüttelt den Kopf. Er vermutet, die Russen seien unter Drogen gesetzt worden.

Volodomyr ist nicht der richtige Name des Soldaten, er möchte anonym bleiben. Im Dezember wurde seine Einheit an die Front nach Bachmut verlegt. Zuvor haben sie bei Cherson gekämpft. In dem 20Mann-trupp, den er führt, hatten sie dort während mehrerer Monate drei Verletzte. Bei Bachmut ist innerhalb von knapp zwei Wochen ein Mann gestorben, zwei gelten als vermisst, acht sind verletzt worden. Aus seinem Bataillon mit ursprüngli­ch 500 Männern sind 70 einsatzfäh­ig. Das hier sei ein völlig anderer Krieg als im Süden, sagt er. Niemand

sei darauf vorbereite­t gewesen: „Es ist die Hölle.“

Volodoymr übt scharfe Kritik an seiner eigenen Militärfüh­rung. Er versteht nicht, warum Bachmut gehalten werden muss, warum es nicht möglich war, Verteidigu­ngslinien auszubauen. „Sie schicken Leute ins Gefecht, die gerade mobilisier­t wurden und kaum Training hatten.“Die Explosione­n, die Schüsse, der Tod setzen diesen frischen Rekruten zu. „Als ich einen toten Kameraden geborgen habe, stand einer der Neuen vor mir. Er hat nur gezittert, konnte sein Gewehr kaum halten.“Volodomyr zündet sich eine neue Zigarette an. „Ich musste ihn schlagen und beschimpfe­n, damit er schießt.“

Neun Tage können Volodymr und seine Leute ihre Position halten. Dann erfolgt der Rückzug. Als der Offizier nach Hause zurückkehr­t, liegt er tagelang im Bett. „Ich war wie betäubt. Meine Familie wollte mich in eine Nervenklin­ik bringen, damit ich nicht wieder an die Front zurückmuss.“

In einem Krankenhau­s 90 Kilometer Luftlinie entfernt erholt sich Oleksandr von Verletzung­en, die er sich bei Kämpfen um Soledar zugezogen hat. „Ich habe viel über die Hölle gelesen“, sagt Oleksandr. Es wirkt, als schaue er durch einen hindurch. „Im Januar habe ich die Hölle auf Erden erlebt.“

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LIBKOS / PA / AP Kurze Pause: ukrainisch­e Soldaten in Bachmut, der umkämpften Stadt in der Region Donezk.

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