Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Scholz und Baerbock im Fernduell
Wer gibt in der Ukraine-politik den Ton an? Zwischen Kanzler und Außenministerin knirscht es
Berlin/santiago de Chile. Zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) findet derzeit ein rhetorisches Schattenboxen statt. Man attackiert sich nicht direkt, aber indirekt. Derlei Fernduelle funktionieren auch über weitere Strecken, zum Beispiel über den Atlantik.
Das passierte jetzt mit Baerbocks Satz vor dem Europarat am Dienstag in Straßburg: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“, mahnte die Außenministerin vor den Abgeordneten an. Baerbock ging es hier zwar in erster Linie um den Zusammenhalt des Westens. Aber es klang, als wollte sie dem Kanzler widersprechen. Der hatte zuvor immer wieder mantraartig betont: Deutschland sei nach den Leopardlieferungen in die Ukraine genauso wenig „Kriegspartei“wie die Nato.
Die „Krieg gegen Russland“-äußerung hallt nun nach, bis nach Argentinien. Kaum war Scholz in Buenos Aires als erster Station seiner Südamerikareise gelandet, platzte es aus ihm heraus: Es werde nicht zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland kommen. „Das ist für uns ausgeschlossen. Wir werden alles tun, dass es nicht passiert.“
Ein Basta-wort aus der Distanz. So spricht einer, der wichtige Fragen der Außenpolitik zur Chefsache machen will. Baerbocks Vorpreschaktionen missfallen ihm, heißt es aus seinem Umfeld. Vor anderthalb Wochen hatte die Außenministerin in Paris erklärt, die Bundesregierung würde den Export von Leopard-panzern aus Drittstaaten an die Ukraine nicht blockieren. Der Kanzler bastelte da gerade fieberhaft an der großen Panzerkoalition zwischen Europa und den USA. Der Druck aus der Ampel kam für ihn zur Unzeit.
Bereits im September hatte Baerbock in Kiew eine schnelle Panzerentscheidung angemahnt. Der in der Frage der Waffenlieferungen eher tastend vorgehende Scholz empfand das als „Friendly Fire“. Wieder mal. Danach soll es ein ernstes Gespräch mit dem Kanzleramt gegeben haben – bei den nächsten Tv-interviews drehte die Ministerin wieder bei.
Auch beim Thema China liegen der Kanzler und seine Chefdiplomatin immer wieder über Kreuz. Kurz bevor Scholz im November nach Peking reiste, gab ihm Baerbock
per Pressekonferenz mit auf den Weg, dass er dort offene Kritik am Regime zu üben habe. Und sie machte deutlich, dass sie den Zeitpunkt der Reise für falsch halte.
Staatschef Xi Jinping hatte sich beim Kongress der Kommunistischen Partei Chinas in einer gigantischen Krönungsmesse die Alleinherrschaft sichern lassen. Scholz ging nicht auf die Querschüsse ein, flog wie geplant und rang Putinfreund Xi eine Verurteilung von Russlands Atomdrohungen ab. Allein dies habe die Visite gerechtfertigt, betonte er immer wieder voller Stolz.
Scholz kritisiert Baerbock nicht
öffentlich. Er begreift sich als Moderator einer durchaus komplizierten Ampelkoalition. In der SPD gibt es jedoch Missmut über ihre Amtsführung. Die Außenministerin tue zu wenig, um diplomatische Allianzen gegen Putin außerhalb Europas zu schmieden, heißt es. Stattdessen müsse der Kanzler dies erledigen.
Scholz macht das nach dem innenund außenpolitischen Dauerfeuer der letzten Wochen mit Genuss. Er ist seit Samstag auf Südamerika-tour. Scholz will sicherstellen, dass die großen Demokratien des lateinamerikanischen Kontinents an der Seite der Ukraine und des Westens bleiben, obwohl auch sie unter höheren Preisen für Energie und Nahrungsmittel durch den anhaltenden Krieg leiden.
Baerbock und Scholz: Das sind zwei unterschiedliche politische Temperamente, die Reibung erzeugen. Hier die Vertreterin einer wertegeleiteten grünen Außenpolitik, die gegenüber den Autokraten dieser
Welt kein Blatt vor den Mund nimmt. Dort der bedächtige Kanzler, der eine Eskalation im Ukrainekrieg um jeden Preis vermeiden will. Man könnte auch sagen: Idealismus versus Pragmatismus.
In der Zeit vor der Panzerwende machte die Außenministerin als Klartextrednerin häufig Punkte. Sie wirkte frischer und direkter als der weniger forsche und zuweilen zögerliche Kanzler. Scholz hingegen sagt oft immer wieder das Gleiche, anstatt durch unbedachte Formulierungen eine Debatte auszulösen. Er holt dann Sätze aus seinem Baukasten und setzt diese in nur geringen Variationen aneinander. Es ist die Scholzomat-taktik.
Mit dem fortschreitenden Krieg und vor allem nach der Panzerwende des Kanzlers haben sich die Machtverhältnisse in der Regierung verschoben. Über die Lieferung von Waffen entscheidet Scholz allein. Das Verteidigungsministerium muss schauen, wo es das Gerät herbekommt, wenn Bestände
der ausgezehrten betroffen sind.
Bundeswehr
Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander. Annalena Baerbock
Wer soll den „Nationalen Sicherheitsrat“nach Us-vorbild leiten?
Verliert nun auch das Auswärtige Amt an Macht und Einfluss? Auch bei der Formulierung einer nationalen Sicherheitsstrategie, bei der das Auswärtige Amt die Federführung hat, geht es um Kompetenzen. Nach Us-vorbild soll ein „Nationaler Sicherheitsrat“gebildet werden – in Zeiten des Krieges ist der Abstimmungsbedarf zwischen Kanzleramt und Ministerien besonders hoch. Scholz’ Haus beansprucht die Leitung für sich. Das Auswärtige Amt will nicht noch mehr Zuständigkeiten abtreten, nachdem das Kanzleramt wichtige Themen wie die Europapolitik oder das Krisenmanagement in der Ukrainekrise an sich gezogen hat. Gegen eine zusätzliche Gewichtsverlagerung dürfte sich Baerbock mit aller Macht wehren. Weiteres Schattenboxen garantiert.