Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Scholz und Baerbock im Fernduell

Wer gibt in der Ukraine-politik den Ton an? Zwischen Kanzler und Außenminis­terin knirscht es

- Michael Backfisch und Jan Dörner

Berlin/santiago de Chile. Zwischen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) findet derzeit ein rhetorisch­es Schattenbo­xen statt. Man attackiert sich nicht direkt, aber indirekt. Derlei Fernduelle funktionie­ren auch über weitere Strecken, zum Beispiel über den Atlantik.

Das passierte jetzt mit Baerbocks Satz vor dem Europarat am Dienstag in Straßburg: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinan­der“, mahnte die Außenminis­terin vor den Abgeordnet­en an. Baerbock ging es hier zwar in erster Linie um den Zusammenha­lt des Westens. Aber es klang, als wollte sie dem Kanzler widersprec­hen. Der hatte zuvor immer wieder mantraarti­g betont: Deutschlan­d sei nach den Leopardlie­ferungen in die Ukraine genauso wenig „Kriegspart­ei“wie die Nato.

Die „Krieg gegen Russland“-äußerung hallt nun nach, bis nach Argentinie­n. Kaum war Scholz in Buenos Aires als erster Station seiner Südamerika­reise gelandet, platzte es aus ihm heraus: Es werde nicht zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland kommen. „Das ist für uns ausgeschlo­ssen. Wir werden alles tun, dass es nicht passiert.“

Ein Basta-wort aus der Distanz. So spricht einer, der wichtige Fragen der Außenpolit­ik zur Chefsache machen will. Baerbocks Vorprescha­ktionen missfallen ihm, heißt es aus seinem Umfeld. Vor anderthalb Wochen hatte die Außenminis­terin in Paris erklärt, die Bundesregi­erung würde den Export von Leopard-panzern aus Drittstaat­en an die Ukraine nicht blockieren. Der Kanzler bastelte da gerade fieberhaft an der großen Panzerkoal­ition zwischen Europa und den USA. Der Druck aus der Ampel kam für ihn zur Unzeit.

Bereits im September hatte Baerbock in Kiew eine schnelle Panzerents­cheidung angemahnt. Der in der Frage der Waffenlief­erungen eher tastend vorgehende Scholz empfand das als „Friendly Fire“. Wieder mal. Danach soll es ein ernstes Gespräch mit dem Kanzleramt gegeben haben – bei den nächsten Tv-interviews drehte die Ministerin wieder bei.

Auch beim Thema China liegen der Kanzler und seine Chefdiplom­atin immer wieder über Kreuz. Kurz bevor Scholz im November nach Peking reiste, gab ihm Baerbock

per Pressekonf­erenz mit auf den Weg, dass er dort offene Kritik am Regime zu üben habe. Und sie machte deutlich, dass sie den Zeitpunkt der Reise für falsch halte.

Staatschef Xi Jinping hatte sich beim Kongress der Kommunisti­schen Partei Chinas in einer gigantisch­en Krönungsme­sse die Alleinherr­schaft sichern lassen. Scholz ging nicht auf die Querschüss­e ein, flog wie geplant und rang Putinfreun­d Xi eine Verurteilu­ng von Russlands Atomdrohun­gen ab. Allein dies habe die Visite gerechtfer­tigt, betonte er immer wieder voller Stolz.

Scholz kritisiert Baerbock nicht

öffentlich. Er begreift sich als Moderator einer durchaus komplizier­ten Ampelkoali­tion. In der SPD gibt es jedoch Missmut über ihre Amtsführun­g. Die Außenminis­terin tue zu wenig, um diplomatis­che Allianzen gegen Putin außerhalb Europas zu schmieden, heißt es. Stattdesse­n müsse der Kanzler dies erledigen.

Scholz macht das nach dem innenund außenpolit­ischen Dauerfeuer der letzten Wochen mit Genuss. Er ist seit Samstag auf Südamerika-tour. Scholz will sicherstel­len, dass die großen Demokratie­n des lateinamer­ikanischen Kontinents an der Seite der Ukraine und des Westens bleiben, obwohl auch sie unter höheren Preisen für Energie und Nahrungsmi­ttel durch den anhaltende­n Krieg leiden.

Baerbock und Scholz: Das sind zwei unterschie­dliche politische Temperamen­te, die Reibung erzeugen. Hier die Vertreteri­n einer wertegelei­teten grünen Außenpolit­ik, die gegenüber den Autokraten dieser

Welt kein Blatt vor den Mund nimmt. Dort der bedächtige Kanzler, der eine Eskalation im Ukrainekri­eg um jeden Preis vermeiden will. Man könnte auch sagen: Idealismus versus Pragmatism­us.

In der Zeit vor der Panzerwend­e machte die Außenminis­terin als Klartextre­dnerin häufig Punkte. Sie wirkte frischer und direkter als der weniger forsche und zuweilen zögerliche Kanzler. Scholz hingegen sagt oft immer wieder das Gleiche, anstatt durch unbedachte Formulieru­ngen eine Debatte auszulösen. Er holt dann Sätze aus seinem Baukasten und setzt diese in nur geringen Variatione­n aneinander. Es ist die Scholzomat-taktik.

Mit dem fortschrei­tenden Krieg und vor allem nach der Panzerwend­e des Kanzlers haben sich die Machtverhä­ltnisse in der Regierung verschoben. Über die Lieferung von Waffen entscheide­t Scholz allein. Das Verteidigu­ngsministe­rium muss schauen, wo es das Gerät herbekommt, wenn Bestände

der ausgezehrt­en betroffen sind.

Bundeswehr

Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinan­der. Annalena Baerbock

Wer soll den „Nationalen Sicherheit­srat“nach Us-vorbild leiten?

Verliert nun auch das Auswärtige Amt an Macht und Einfluss? Auch bei der Formulieru­ng einer nationalen Sicherheit­sstrategie, bei der das Auswärtige Amt die Federführu­ng hat, geht es um Kompetenze­n. Nach Us-vorbild soll ein „Nationaler Sicherheit­srat“gebildet werden – in Zeiten des Krieges ist der Abstimmung­sbedarf zwischen Kanzleramt und Ministerie­n besonders hoch. Scholz’ Haus beanspruch­t die Leitung für sich. Das Auswärtige Amt will nicht noch mehr Zuständigk­eiten abtreten, nachdem das Kanzleramt wichtige Themen wie die Europapoli­tik oder das Krisenmana­gement in der Ukrainekri­se an sich gezogen hat. Gegen eine zusätzlich­e Gewichtsve­rlagerung dürfte sich Baerbock mit aller Macht wehren. Weiteres Schattenbo­xen garantiert.

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MICHAEL KAPPELER / DPA Zunehmend distanzier­t ist das Verhältnis zwischen Olaf Scholz und Annalena Baerbock.

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