Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Mehr zeugungsunfähige Forellen
Industrie setzt für schnelleres Wachstum auf Unterdrückung der Geschlechtsreife
Rudolstadt. André Kranert steht im Bruthaus des Verbandes für Angeln und Naturschutz Thüringen in Rudolstadt-schwarza. Kunststoffbecken füllen den fensterlosen Raum, Neonlicht erhellt ihn. Wenige Meter von dem kleinen Gebäude entfernt fließt die Saale gemächlich vorbei. Das Bruthaus sei quasi Kreißsaal und Kindergarten für unterschiedliche Fischarten, berichtet Kranert. Bis zu einer Million Fische könnten hier jährlich erbrütet werden. Sie werden aufgezogen, um sie dann in den Thüringer Gewässern auszusetzen.
Die Arbeit der Angler im Bruthaus ist zwar rein ehrenamtlich. Das schließe eine genaue Beobachtung der Fischzucht-branche aber nicht aus, sagt Kranert. Was in den großen Industriefarmen zum Teil gemacht wird, findet er durchaus fragwürdig. Vor allem bei den Forellen. „Wir finden immer mehr erwachsene Fische, die nicht fortpflanzungsfähig sind“, berichtet er: „Es sind äußerlich keine der typischen Geschlechtsmerkmale erkennbar. Unsere Untersuchungen haben gezeigt, in den Fischen sind weder Rogen noch Milch vorhanden.“
Das Aussetzen der Fische ist wenig nachhaltig
Der Angler vermutet dabei, die Sterilität der Forellen sei größtenteils ein hausgemachtes Problem. Offenbar würden immer wieder Fische in die Flüsse eingesetzt, deren Rogen zuvor in speziellen Verfahren druckbehandelt wurde, sagt er. Diese druckbehandelten Fischeier sollten eigentlich nur in kommerziell betriebenen Forellenzuchten eingesetzt werden. Durch die Unterdrückung der Geschlechtsreife stecken die Tiere mehr Energie in ihr Wachstum und werden schneller schlachtreif.
Anbieter dieses Rogens gibt es laut Kranert mehrere in Europa. So verspricht etwa ein Unternehmen aus dem französischen Serrance, ihre Fische würden „während der Reproduktionszeit nicht durch die sexuelle Reife gestört“. Das Verfahren sei präzise und streng kontrolliert. 97 von 100 druckbehandelten Eiern brächten sterile Fische hervor.
Solche Fische gehörten nicht in die freie Wildbahn, sagt der Biologe Wolfgang Schmalz von der privaten Fischökologischen und Limnologischen Untersuchungsstelle Südthüringen. Auch Schmalz hat in Thüin
ringer Gewässern bereits große Forellen gefunden, die sich als nicht zeugungsfähig erwiesen, und sie zur lebensmitteltechnischen Untersuchung ins Labor weitergeleitet. „Solche Fische auszusetzen, ist wenig nachhaltig“, kritisiert er.
Zum einen müsse deshalb wiederholt neue Brut in die Flussabschnitte
gesetzt werden. Zum anderen würden die schnell wachsenden Fische ihre natürlichen Artgenossen beim täglichen Kampf um Futter und Ressourcen behindern. Das wiederum behindere den Fortpflanzungserfolg der Forellen, die sich noch natürlich fortpflanzen können.
Gewässern, in denen nicht geangelt wird und auch keine Forellen eingesetzt werden, sei das Phänomen seltener zu beobachten. Schmalz warnt aber vor voreiligen Schlüssen. Er geht davon aus, dass viele Angelverbände nicht wissen, dass die ihnen verkauften Forellen zum Neubesatz von Gewässern im Ei-stadium behandelt wurden.
Zudem könne das Phänomen auch auf den Klimawandel zurückzuführen sein. In Fachkreisen werde diskutiert, ob Forellen durch die Gewässer-erwärmung schneller groß werden, aber dann noch nicht geschlechtsreif sind. Wissenschaftlich sei das noch nicht untersucht worden, sagt Schmalz: „Dies sollte in Angriff genommen werden.“
Das sieht auch das Thüringer Landwirtschaftsministerium so. Dem Ministerium seien „impotente Forellen“mittlerweile auch bekannt, sagt ein Sprecher und ergänzt: „Das ist für uns und andere Regionen ein neues Phänomen.“Deswegen habe das Ministerium gemeinsam mit anderen Ländern und dem Institut für Binnenfischerei in Potsdam ein gemeinsames Forschungsprojekt gestartet. Ergebnisse würden für 2025 erwartet. „Bis dahin sind auch wir ratlos“, sagt der Sprecher.