Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
So jung, so gut, so weise
Das Erfurter Jugendtheater „Die Schotte“riskiert und gewinnt Lessings „Nathan“. Regie hat ein gutes Gefühl für die Möglichkeiten der Darsteller
Was ‘ne Zicke, die Recha. Weiß alles und weiß es besser als der Alte. Klar war das ein Engel, der sie aus dem Feuer trug, was sonst. Und das Kindermädchen, die Daja, ist im Zicken auch nicht übel, da mag der Alte sehen wo er bleibt mit seiner Weisheit. Ja, wo bleibt der weise Alte, die ehrwürdige Herzkammer der deutschen Aufklärung, wenn er von lauter Jungen in 90 Minuten zur heiteren Aufführung gebracht wird?
Er bleibt, wenn diese Truppe die Erfurter „Schotte“ist, dort, wo er hingehört, auf der Bühne, wo er sich behauptet mit aller Ehre, die ihm gebührt: als Kunst, als Haltung.
Matthias Thieme und Uta Wanitschke haben Lessings erhabenes Plädoyer zusammengeschnitten auf eine Geschichte, die wohl sinnlicher und lustiger ist, als das, was in der Schule zum Thema begegnet, aber nicht dümmer. Und die Regisseure haben ein Podest gebaut mit schmalen Wegen, die genau gezirkelte Gänge erzwingen, mit einer heiteren Möglichkeit, nach unten ab- oder von dort aufzutauchen.
Kurz befürchtete der Berichterstatter, es sei ein wenig schwierig mit diesem Nathan: Pius Nagel hat weder den klassischen Bart des jüdischen Weisen, das wäre auch eine Albernheit, noch die Stimme des orientalischen Märchenerzählers.
Doch wenn er später tatsächlich das vermaledeite Märchen erzählen muss – „Vor grauen Jahren lebt‘ ein Mann im Osten…“– ist das längst vergessen.
Dann ist der junge Kerl längst der, nun ja: vielleicht nicht weise, aber kluge, offene Mann, der sich leise lächelnd wegdreht, wenn er den Knaben an der Angel hat, dem wir mit Interesse lauschen und Respekt. Der befindet sich bei Wigo Petersohn in den späten Zuckungen der pubertären Menschwerdung, was den jungen Nathan gleich ein wenig älter scheinen lässt.
Saladin (Daniel Sons) bestaunt Nathans Märchen, als wär er der erste Germanist, liegt beim Schachspiel
mit der flippigen Schwester (Edda Buchspieß) wie eine gemalte Parodie, und wie eine Marionette versenken und erheben sie den armen Schatzmeister (Esra Dominik Frank); was Wunder, dass der in die Wüste will. Und Mara Seidl (die bei Bedarf katzig schleichende Daja), Isaak Hartig (der huschelige Klosterbruder) und Cora Atresia Uxa (der ölige Patriarch) – sie alle tragen diesen Abend und niemand in diesem Ensemble ist ein Ausfall.
Das ist die Leistung einer Regie, die ein Gefühl hat für die Möglichkeiten ihrer Darsteller, für das, was ihnen an Situationen, an Vorgängen zu bauen ist, damit sie sie tragen, damit sie gut sein können.