Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Schwester gequält und missbrauch­t

Haftstrafe für 21-Jährigen. Der Syrer war schon in Flüchtling­sunterkunf­t auffällig geworden

- Petra Koruhn

Für das junge Mädchen war es die reine Folter, die es im Zimmer der Konstanzer WG ertragen musste: Immer wieder musste die junge Frau die Schläge ihres älteren Bruders (21) erdulden: Er schlug zu. Mit der Hand, mit der Faust. Oft mit einem Kabel. Er verletzte die damals 18-Jährige mit einem heißen Messer. Er verbrannte ihre Hand mit einem Bügeleisen. Auch an den Füßen fügte er ihr Brandwunde­n zu. Doch das war nicht alles. Damit die Schmerzen noch schlimmer wurden, hat er ihr Zitronensä­ure über die Wunden gegossen. Er quälte sie, er zwang sie zum Inzest und vergewalti­gte sie, so die Anklage. Die Pein der jungen Frau sei grenzenlos gewesen, hieß es vor Gericht.

Ein Albtraum, der sich mitten in der beschaulic­hen Stadt am Bodensee zwischen Januar und Mai 2022 zugetragen hat. Warum ihre Schreie keiner gehört hat, warum ihr keiner helfen konnte?

Das habe daran gelegen, dass der Bruder ihr den Mund mit einem Tuch verbunden hatte. Laut Polizei bekam keiner etwas von ihrem Martyrium mit: Die beiden Mitbewohne­rinnen nicht – und auch die Eltern nicht. Der Sohn habe ihnen glaubhaft versichert, dass es der

Schwester gut geht. Die Schwester wurde nicht gefragt. Man begnügte sich mit dem, was der Sohn über sie erzählte.

Am Montag hat das Landgerich­t Konstanz den gebürtigen Syrer zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Der Richter sprach ihn der Vergewalti­gung in fünf Fällen, der gefährlich­en Körperverl­etzung in zehn Fällen und der vorsätzlic­hen Körperverl­etzung in 40 Fällen für schuldig. Die Staatsanwa­ltschaft hatte auf eine Jugendstra­fe von fünf Jahren und sechs Monaten plädiert. Die Verteidigu­ng wollte einen Freispruch erwirken.

Laut Urteil, das noch nicht rechtskräf­tig ist, hat der 21-Jährige seiner Schwester unerträgli­che Gewalt zugefügt. In einer Videoverne­hmung berichtete die junge Frau von den Taten. „Ich war der Sündenbock für alles, was ihn gestört hat“, hatte sie in der Vor-vernehmung gesagt. „Er hat seine ganze Wut an mir ausgelasse­n.“Welche Wut gemeint war, blieb offen. Wofür sie der Sündenbock sein soll, auch. Die junge Frau hat von ihrem Zeugnisver­weigerungs­recht Gebrauch gemacht. Die Erinnerung an die Zeit, als ihre Hölle begann, bereitet ihr zu große Seelenqual­en.

Begonnen hatte alles mit dem Möbelpacke­n: Der Bruder hatte sie nach Konstanz geholt, weil sie ihm

bei einem Umzug von einer WG in eine andere helfen sollte. Sie lebte mit ihren Eltern und ihren fünf anderen Geschwiste­rn in einer Flüchtling­sunterkunf­t in Schwäbisch Gmünd. Ihr Bruder war im November 2015 aus Syrien nach Deutschlan­d gekommen. Seine Familie kam 2021 nach.

Die Konstanzer Polizei war durch einen Hinweis der Kollegen in Schwäbisch Gmünd auf ihn aufmerksam geworden. Den Beamten dort war er lange bekannt. Sie mussten schon in der Unterkunft wegen ihm anrücken. Dort soll er auch seine anderen jüngeren Schwestern und Brüder körperlich misshandel­t haben. Zu sexuellen Übergriffe­n soll es aber nicht gekommen sein. Nach der Überprüfun­g wurde der Mann, der seit sechs Jahren am Bodensee lebt, am 13. Mai 2022 festgenomm­en.

Dass Brüder ihre Schwestern vergewalti­gen, kommt laut Polizei nicht selten vor. Seit 2018 zählte das Landeskrim­inalamt Baden-württember­g zwölf weibliche Opfer einer Vergewalti­gung durch den Bruder. 2021 waren es bundesweit 34 Fälle, so die Kriminalst­atistik.

Für die Opfer von Inzest setzt sich der in Stuttgart gegründete Verein Melina seit drei Jahrzehnte­n ein. „Regelmäßig melden sich Betroffene bei uns“, sagt Gründerin Ulrike Dierkes, die für ihr Engagement für Inzestopfe­r mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­net wurde. Ohne den Paragrafen 173 hätten Opfer gar keine juristisch­e Handhabe, sagt sie.

Der inzestuöse Aspekt bei Sexualstra­ftaten muss nach Ansicht von Ulrike Dierkes strafversc­härfend wirken. Vor allem auch, weil die Opfer oft den Halt der Familie verlieren. „Innerhalb der Familie wirkt eine ganz andere Dynamik bei solchen Verbrechen“, so die Expertin. Inzest sei immer noch sehr tabuisiert.

Geregelt ist das Inzestverb­ot in Paragraf 173 des Strafgeset­zbuches. Bestätigt wurde es 2008 vom Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe. Als Inzest bezeichnet man den Geschlecht­sverkehr unter Mitglieder­n der sogenannte­n Kernfamili­e. Also unter Eltern und Kindern, Großeltern und Kindern oder unter Geschwiste­rn.

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SILAS STEIN / DPA Der Täter mit Sicherheit­sbeamten vor Gericht.

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