Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
So tickt Nancy Faeser
Die Spd-politikerin will Ministerin bleiben – und gleichzeitig einen Wahlkampf gewinnen. Ein Porträt
Berlin. Es gibt verschiedene Typen von Politikerinnen und Politikern. Den „Aktenfresser“zum Beispiel, der zu einem Vorgang alles selbst liest. Der lieber bis spät in der Nacht im Büro sitzt als beim Stammtisch oder am Infostand. Der frühere Innenminister Thomas de Maizière ist so ein Typ. Es gibt den „Parteisoldat“, der bestens vernetzt ist in seinem politischen Umfeld, in den Gremien, im Machtapparat Ministerium. Annalena Baerbock ist bei den Grünen so ein Typ. Und da ist der Typ Politiker, der sich gerne „unter die Leute mischt“, oft unterwegs sein will, „draußen“. Nancy Faeser, 52 Jahre alt, verheiratet, ein Sohn, ist so eine.
Dieses Bild von sich bekräftigt sie immer wieder. Auch jetzt, wo sie ihre Kandidatur für den hessischen Landtagswahlkampf bekannt gibt. Sie erzählt, wie sie als Politikerin auch schon im Supermarkt geholfen hat, wie sie Pflegekräfte begleitet hat. Jemand, der Faeser gut kennt und schätzt, sagt: „Wahrscheinlich gibt es keine Innenministerin, die öfter auf Streife mit der Polizei war.“
März 2022, wenige Wochen nach Ausbruch des Krieges, ist Faeser wieder unterwegs. Mit dem Regierungsflieger in Richtung Polen, Grenzgebiet zur Ukraine. Seit Wochen fliehen Hunderttausende vor Russlands Angriffen, Europa ist im Ausnahmezustand. Am Grenzübergang sind Zelte aufgebaut, Frauen mit Kindern, bepackt nur mit einem Rucksack oder einem Koffer, warten auf den Weitertransport. Faeser geht zu den Flüchtlingen, zu den Helfern, schüttelt Hände, wechselt ein paar Worte, nickt interessiert. Dann aber muss sie weiter. Für ein echtes Gespräch bleibt keine Zeit, der Terminplan ist eng, der Bus zur Weiterfahrt wartet. Faeser war an diesem Tag bei den Menschen vor Ort, richtig nah war sie ihnen nicht.
Wer oft draußen ist, ist viel bei den Wählerinnen und Wählern. Wer viel unterwegs ist, ist aber auch seltener im Ministerium, seltener in den Runden mit den Abteilungsleitungen und Fachreferaten. Der Politiker „Typ Faeser“baut Energie von der Kommandobrücke vor Ort auf – und hat doch Risiken im Maschinenraum. Das erste Jahr im Amt der Innenministerin hat Faesers Potenzial, aber auch ihre Wagnisse offengelegt.
Noch vor gut einem Jahr, als Kanzler Scholz sein Ampel-team vorstellte, kannten nur wenige abseits von Wiesbaden Nancy Faeser.
Dort betrieb sie 30 Jahre Politik in Kommune und Landtag, war Innenexpertin der SPD, Fraktionschefin, bis heute ist sie dort Landesvorsitzende. In die Bundespolitik kam sie neu. Als erste Frau überhaupt an der Spitze des Innenministeriums.
Scholz gab ihr das „Go“für Hessen – und ein Rückfahrt-ticket
Ein gutes Jahr führt sie nun eines der wichtigsten Regierungsressorts durch einen Ausnahmezustand in den nächsten: Krieg, Massenflucht und Energiekrise. Und deshalb stellt sich für den Faeser-typ des Politikers vor allem eine Frage: Lässt der Terminplan noch mehr zu? Von der Spitzenkandidatin in Hessen erwarten die Wähler jetzt genauso viel Leidenschaft für den öffentlichen Nahverkehr, die Grundschulpolitik und fehlende Bademeister.
Über Weihnachten hat Faeser dann offenbar ihren Plan geschmiedet. Erst Mitte dieser Woche soll es das entscheidende Gespräch zwischen ihr und dem Kanzler gegeben haben. Scholz gab ihr offenbar das „Go“für Hessen – und ein Rückfahrt-ticket: Wenn sie nicht Ministerpräsidentin in Hessen wird, darf
sie Innenministerin in Berlin bleiben. Stand jetzt. Doch bis Herbst ist noch viel Zeit.
Faesers Kandidatur hallen Lob, aber auch Fragen und Kritik nach. Sogar von einzelnen Abgeordneten aus der Ampel. Laut einem Bericht soll es auch Spd-intern hier und da rumoren. Öffentlich aber schießt kein Sozialdemokrat dieser Tage gegen Faeser. Im Gegenteil.
Kritik kommt vor allem von der Opposition. Der rechtspolitische Sprecher der Union im Bundestag, Günter Krings, sieht drei Baustellen für Faeser: „Zum einen stellt sich schon die Frage, wie gut sie aufgrund der Belastung das ohnehin anspruchsvolle Amt der Innenministerin ausfüllen kann“, sagt Krings unserer Redaktion. Zum anderen sei das Signal an die Wählerinnen und Wähler in Hessen „kein gutes, wenn sie den Wahlkampf über die meiste Zeit in Berlin im Ministerium ist“. Und drittens beschädige es „politisches Vertrauen, wenn eine Spitzenkandidatin im Fall einer Niederlage nicht im Landtag in die Opposition gehen will“.
Schon jetzt pendelt Faeser. Ihr Mann und der Sohn, der 2015 geboren ist, leben in Hessen. Am Wochenende sei sie oft zuhause in der Heimat, heißt es in ihrem Umfeld. Sie lässt gerne ihre Fußball-expertise einfließen, ist Fan der Frankfurter Eintracht, Hessen sei ihr eine „Herzensangelegenheit“.
Ein Jahr ist sie nun in Berlin im Amt. Ein Jahr, in dem sie sich entwickelt hat, sagen einige, die sie kennen. Am Anfang war viel Misstrauen. Nicht weil Faeser die erste Frau im Amt ist. Vielmehr weil das Innenministerium als „schwarz“und „konservativ“gilt, viele Legislaturperioden in CDU-HAND war, und Faeser mit einer klaren Agenda
kam: dem Kampf gegen Rechtsextremismus.
Zugleich sendete der Koalitionsvertrag für viele Beamte in den Sicherheitsbehörden anfangs nicht unbedingt Vertrauen aus. Viel steht dort von „Evaluierung“der Arbeit von Polizei und Nachrichtendiensten, von Überprüfung und Kontrolle der Befugnisse. „Als würde die Polizei aus Prinzip gegen Unschuldige vorgehen“, sagt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Dirk Peglow. Er kennt Faeser gut, Peglow ist auch hessischer BDK-CHEF. Auch aus ihrem Ministerium ist zu hören, dass die Ministerin sehr sympathisch sei, sehr informiert und interessiert, wenn sie „denn mal zu packen“sei. Dass sie weniger oft die Expertise aus der Fachebene suche wie manch ein Vorgänger, ist auch zu hören. Dass sie vorbildhaft versuche, Familie und Karriere zu vereinbaren. Aber eben auch: dass sie
„viel unterwegs“ist.