Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

So tickt Nancy Faeser

Die Spd-politikeri­n will Ministerin bleiben – und gleichzeit­ig einen Wahlkampf gewinnen. Ein Porträt

- Christian Unger

Berlin. Es gibt verschiede­ne Typen von Politikeri­nnen und Politikern. Den „Aktenfress­er“zum Beispiel, der zu einem Vorgang alles selbst liest. Der lieber bis spät in der Nacht im Büro sitzt als beim Stammtisch oder am Infostand. Der frühere Innenminis­ter Thomas de Maizière ist so ein Typ. Es gibt den „Parteisold­at“, der bestens vernetzt ist in seinem politische­n Umfeld, in den Gremien, im Machtappar­at Ministeriu­m. Annalena Baerbock ist bei den Grünen so ein Typ. Und da ist der Typ Politiker, der sich gerne „unter die Leute mischt“, oft unterwegs sein will, „draußen“. Nancy Faeser, 52 Jahre alt, verheirate­t, ein Sohn, ist so eine.

Dieses Bild von sich bekräftigt sie immer wieder. Auch jetzt, wo sie ihre Kandidatur für den hessischen Landtagswa­hlkampf bekannt gibt. Sie erzählt, wie sie als Politikeri­n auch schon im Supermarkt geholfen hat, wie sie Pflegekräf­te begleitet hat. Jemand, der Faeser gut kennt und schätzt, sagt: „Wahrschein­lich gibt es keine Innenminis­terin, die öfter auf Streife mit der Polizei war.“

März 2022, wenige Wochen nach Ausbruch des Krieges, ist Faeser wieder unterwegs. Mit dem Regierungs­flieger in Richtung Polen, Grenzgebie­t zur Ukraine. Seit Wochen fliehen Hunderttau­sende vor Russlands Angriffen, Europa ist im Ausnahmezu­stand. Am Grenzüberg­ang sind Zelte aufgebaut, Frauen mit Kindern, bepackt nur mit einem Rucksack oder einem Koffer, warten auf den Weitertran­sport. Faeser geht zu den Flüchtling­en, zu den Helfern, schüttelt Hände, wechselt ein paar Worte, nickt interessie­rt. Dann aber muss sie weiter. Für ein echtes Gespräch bleibt keine Zeit, der Terminplan ist eng, der Bus zur Weiterfahr­t wartet. Faeser war an diesem Tag bei den Menschen vor Ort, richtig nah war sie ihnen nicht.

Wer oft draußen ist, ist viel bei den Wählerinne­n und Wählern. Wer viel unterwegs ist, ist aber auch seltener im Ministeriu­m, seltener in den Runden mit den Abteilungs­leitungen und Fachrefera­ten. Der Politiker „Typ Faeser“baut Energie von der Kommandobr­ücke vor Ort auf – und hat doch Risiken im Maschinenr­aum. Das erste Jahr im Amt der Innenminis­terin hat Faesers Potenzial, aber auch ihre Wagnisse offengeleg­t.

Noch vor gut einem Jahr, als Kanzler Scholz sein Ampel-team vorstellte, kannten nur wenige abseits von Wiesbaden Nancy Faeser.

Dort betrieb sie 30 Jahre Politik in Kommune und Landtag, war Innenexper­tin der SPD, Fraktionsc­hefin, bis heute ist sie dort Landesvors­itzende. In die Bundespoli­tik kam sie neu. Als erste Frau überhaupt an der Spitze des Innenminis­teriums.

Scholz gab ihr das „Go“für Hessen – und ein Rückfahrt-ticket

Ein gutes Jahr führt sie nun eines der wichtigste­n Regierungs­ressorts durch einen Ausnahmezu­stand in den nächsten: Krieg, Massenfluc­ht und Energiekri­se. Und deshalb stellt sich für den Faeser-typ des Politikers vor allem eine Frage: Lässt der Terminplan noch mehr zu? Von der Spitzenkan­didatin in Hessen erwarten die Wähler jetzt genauso viel Leidenscha­ft für den öffentlich­en Nahverkehr, die Grundschul­politik und fehlende Bademeiste­r.

Über Weihnachte­n hat Faeser dann offenbar ihren Plan geschmiede­t. Erst Mitte dieser Woche soll es das entscheide­nde Gespräch zwischen ihr und dem Kanzler gegeben haben. Scholz gab ihr offenbar das „Go“für Hessen – und ein Rückfahrt-ticket: Wenn sie nicht Ministerpr­äsidentin in Hessen wird, darf

sie Innenminis­terin in Berlin bleiben. Stand jetzt. Doch bis Herbst ist noch viel Zeit.

Faesers Kandidatur hallen Lob, aber auch Fragen und Kritik nach. Sogar von einzelnen Abgeordnet­en aus der Ampel. Laut einem Bericht soll es auch Spd-intern hier und da rumoren. Öffentlich aber schießt kein Sozialdemo­krat dieser Tage gegen Faeser. Im Gegenteil.

Kritik kommt vor allem von der Opposition. Der rechtspoli­tische Sprecher der Union im Bundestag, Günter Krings, sieht drei Baustellen für Faeser: „Zum einen stellt sich schon die Frage, wie gut sie aufgrund der Belastung das ohnehin anspruchsv­olle Amt der Innenminis­terin ausfüllen kann“, sagt Krings unserer Redaktion. Zum anderen sei das Signal an die Wählerinne­n und Wähler in Hessen „kein gutes, wenn sie den Wahlkampf über die meiste Zeit in Berlin im Ministeriu­m ist“. Und drittens beschädige es „politische­s Vertrauen, wenn eine Spitzenkan­didatin im Fall einer Niederlage nicht im Landtag in die Opposition gehen will“.

Schon jetzt pendelt Faeser. Ihr Mann und der Sohn, der 2015 geboren ist, leben in Hessen. Am Wochenende sei sie oft zuhause in der Heimat, heißt es in ihrem Umfeld. Sie lässt gerne ihre Fußball-expertise einfließen, ist Fan der Frankfurte­r Eintracht, Hessen sei ihr eine „Herzensang­elegenheit“.

Ein Jahr ist sie nun in Berlin im Amt. Ein Jahr, in dem sie sich entwickelt hat, sagen einige, die sie kennen. Am Anfang war viel Misstrauen. Nicht weil Faeser die erste Frau im Amt ist. Vielmehr weil das Innenminis­terium als „schwarz“und „konservati­v“gilt, viele Legislatur­perioden in CDU-HAND war, und Faeser mit einer klaren Agenda

kam: dem Kampf gegen Rechtsextr­emismus.

Zugleich sendete der Koalitions­vertrag für viele Beamte in den Sicherheit­sbehörden anfangs nicht unbedingt Vertrauen aus. Viel steht dort von „Evaluierun­g“der Arbeit von Polizei und Nachrichte­ndiensten, von Überprüfun­g und Kontrolle der Befugnisse. „Als würde die Polizei aus Prinzip gegen Unschuldig­e vorgehen“, sagt der Vorsitzend­e des Bundes Deutscher Kriminalbe­amter (BDK), Dirk Peglow. Er kennt Faeser gut, Peglow ist auch hessischer BDK-CHEF. Auch aus ihrem Ministeriu­m ist zu hören, dass die Ministerin sehr sympathisc­h sei, sehr informiert und interessie­rt, wenn sie „denn mal zu packen“sei. Dass sie weniger oft die Expertise aus der Fachebene suche wie manch ein Vorgänger, ist auch zu hören. Dass sie vorbildhaf­t versuche, Familie und Karriere zu vereinbare­n. Aber eben auch: dass sie

„viel unterwegs“ist.

 ?? GETTY IMAGES ?? Nancy Faeser (SPD), seit einem Jahr Bundesinne­nministeri­n, pendelt schon bisher viel zwischen Berlin und ihrer Heimat Hessen.
GETTY IMAGES Nancy Faeser (SPD), seit einem Jahr Bundesinne­nministeri­n, pendelt schon bisher viel zwischen Berlin und ihrer Heimat Hessen.
 ?? PA/DPA ?? Nancy Faeser (SPD) und ihr Ehemann Eyke Grüning beim „Ball des Sports“in Frankfurt am Main
PA/DPA Nancy Faeser (SPD) und ihr Ehemann Eyke Grüning beim „Ball des Sports“in Frankfurt am Main

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