Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
„Gnadenlos populistisch und inhaltlich kompletter Unsinn“
Aussagen von Ex-bildungsstaatssekretär zu Gründen von Unterrichtsausfall stoßen auf Widerspruch
Dass er sich mit dieser Analyse bei der betroffenen Berufsgruppe keine Freunde machen werde, war Roland Merten klar. Das Fazit seiner Expertise lautet: Lehrkräfte entledigen sich „mit teilweise windigen Begründungen“und „in einem nicht mehr zu begründenden Umfang“ihrer Kernaufgabe: dem Unterrichten. „Das wird viel Widerstand aus den Reihen der Lehrkräfte hervorrufen“, so der Hochschullehrer und einstige Staatssekretär im Thüringer Bildungsministerium. Und er behält Recht.
Nicht nur Bildungsminister Helmut Holter (Linke) sieht sachlich grobe Fehler in den Schlussfolgerungen und lässt mit Blick auf das von Merten zugrunde gelegte Basisjahr ausrichten: „Wer Schule wie 1992 organisieren will, organisiert pädagogischen Stillstand und Rückschritt.“Auch der Thüringer Lehrerverband weist die Aussagen zurück. „Sie sind nicht nur gnadenlos populistisch, sondern auch inhaltlich kompletter Unsinn“, sagt dessen Sprecher Tim Reukauf. Mertens Einschätzung, dass man die zusätzliche Arbeit für die Betreuung von Lehramtsanwärtern und die Klassenleiterfunktion locker-flockig nebenbei ableisten könne, zeuge von hochgradiger Unkenntnis der Realität in den Schulen.
Sozialdemokrat Merten war unter Bildungsminister Christoph Matschie (SPD) von 2009 bis 2014 als Staatssekretär für Schulen zuständig, aktuell hat er den Lehrstuhl für Sozialpädagogik und außerschulische Bildung an der Friedrich-schiller-universität Jena inne. „Jede fünfte Stelle wird für irgendwelche anderen Aktivitäten zweckwidrig vernutzt“, bilanziert er in seiner mehr mehr als 70-seitigen Ausarbeitung. Der Freistaat wende in jedem Jahr einen Betrag von mehr als 176 Millionen Euro auf, um damit Unterrichtsausfall zu finanzieren.
Der Philologenverband, die Gewerkschaft der Gymnasiallehrer, kann derlei Kalkulationen nicht nachvollziehen. Die Schlussfolgerungen könne man nur so interpretieren, dass der Verfasser einen „akuten Lehrerhass“entwickelt habe, sagt die Vorsitzende Heike Schimke dieser Zeitung.
Der bildungspolitische Sprecher der Spd-landtagsfraktion, Thomas Hartung, sagt dieser Zeitung, zwar erkenne sein Parteifreund Merten durchaus ein Problem – und zwar das der Belastung der Lehrerinnen und Lehrer mit unterrichtsfremden Aufgaben. Aber während seiner Zeit als Staatssekretär habe auch er selbst diese Entwicklung keinesfalls gebremst hat. „Eher im Gegenteil“, so Hartung.
Merten habe durchaus Verdienste um das Thüringer Bildungswesen, sagt der Linke-abgeordnete Torsten Wolf. Aber dass das ganze System personell unter enormen Druck stehe, daran sei der ehemalige Staatssekretär nicht ganz unschuldig. „Während Mertens Amtszeit sind 900 Lehrer zu wenig eingestellt worden“, kritisiert Wolf.