Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

„Fälle wie in Brokstedt dürfen sich nicht wiederhole­n“

Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) sagt im Interview, wie er die Abschiebun­g ausländisc­her Straftäter erleichter­n will

- Julia Emmrich und Jochen Gaugele

Berlin. Die Tat macht fassungslo­s: Ein 33-Jähriger mit ungeklärte­r Staatsange­hörigkeit und einem langen Strafregis­ter hat in einem Regionalzu­g in Schleswig-holstein mutmaßlich zwei junge Menschen getötet. Warum war der Mann noch im Land? Welche Konsequenz­en zieht die Politik? Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) gibt Antworten.

Hätte die Messeratta­cke von Brokstedt verhindert werden können, Herr Buschmann?

Marco Buschmann: Der Staat muss natürlich tun, was in seiner Macht steht, um solche Taten zu verhindern. Nach meiner Kenntnis hat es ja Versuche gegeben, den Aufenthalt­sstatus des Mannes zu beenden.

Warum ist es bei Versuchen geblieben? Der tatverdäch­tige Ibrahim A. ist mehrfach mit schweren Gewalttate­n aufgefalle­n und soll sich mit Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Breitschei­dplatz, verglichen haben.

Es wurde ein Verfahren eingeleite­t, damit der Mann unser Land verlassen muss. Im Rahmen rechtsstaa­tlicher Verfahren sind Anhörungen der Betroffene­n notwendig. Die Anhörung ist in diesem Fall, nach allem was derzeit bekannt ist, daran gescheiter­t, dass man den Mann nicht erreicht hat – auch nicht, als er in Untersuchu­ngshaft saß. Das kann nicht sein – gerade jemandem, der sich mit seiner Gefährlich­keit regelrecht brüstet, darf eine Untersuchu­ngshaft nicht zum Vorteil gereichen. Das ist absurd.

Es müsste den Ausländerb­ehörden bekannt sein, wenn jemand in Untersuchu­ngshaft sitzt.

Ja, das ist richtig. Der Austausch zwischen den Behörden scheint hier aber nicht funktionie­rt zu haben. Das müssen wir ändern. Ich werbe dafür, den Informatio­nsaustausc­h zwischen den Strafverfo­lgungsbehö­rden und den Ausländerb­ehörden zu verbessern. Es gibt eine Verwaltung­svorschrif­t, die das regelt, eine Art Checkliste für Staatsanwä­ltinnen und Staatsanwä­lte. Nach jetziger Rechtslage sind der Erlass und die Aufhebung eines Haftbefehl­s mitzuteile­n. In Fällen der Untersuchu­ngshaft müssten nach meinem Vorschlag die Ausländerb­ehörden aber darüber hinaus konkret über die Inhaftieru­ng als auch über die Haftentlas­sung informiert werden. Insbesonde­re die Anschrift der Haftanstal­t und auch die Entlassung­sanschrift wären mitanzugeb­en. Die Durchführu­ng von Anhörungen und den gegebenenf­alls folgenden Abschiebun­gen dürfen nicht daran scheitern, dass Ausländerb­ehörden über diese Umstände nicht informiert sind.

Die Hürden für Abschiebun­gen sind in Deutschlan­d hoch. Reicht es, Details zu korrigiere­n?

Die Möglichkei­ten zur Ausweisung von Ausländern sind zum Jahreswech­sel vergrößert worden. Und wir wollen Rückführun­gsabkommen mit weiteren Herkunftss­taaten schließen. An vielen Stellen in unserem Staatswese­n stellen wir fest, dass der Rechtsrahm­en eigentlich den nötigen Raum bietet. Nur im Praktische­n funktionie­rt es nicht ausreichen­d. Das hat mit der Ausstattun­g von Behörden, aber auch

mit Informatio­nsflüssen zu tun. Mein Vorschlag zur Verbesseru­ng des Informatio­nsaustausc­hs trägt hoffentlic­h dazu bei, dass sich Fälle wie in Brokstedt nicht wiederhole­n.

Wann soll dieser Vorschlag greifen?

Das müssen die Justizmini­sterinnen und Justizmini­ster der Länder entscheide­n. Ich habe ihnen meinen Vorschlag unterbreit­et und werbe dafür. Wenn guter Wille da ist, kann diese Verwaltung­svorschrif­t – die sogenannte Anordnung über Mitteilung­en in Strafsache­n – sehr schnell geändert werden.

Der Tatverdäch­tige von Brokstedt hat sich bei seiner Einreise als staatenlos­er Palästinen­ser vorgestell­t. Wohin kann man Staatenlos­e abschieben?

Unabhängig von diesem konkreten Fall: Wenn der Pass vernichtet wurde, müssen wir uns um Ersatzdoku­mente bemühen. Bei objektiv Staatenlos­en ist es schwierige­r. Wenn es keinen Ort auf der Welt gibt, der für diese Menschen zuständig ist, werden sie vermutlich nirgendwo freiwillig aufgenomme­n.

Der mutmaßlich­e Täter war auf freiem Fuß – auch deshalb, weil Fristen bei der Untersuchu­ngshaft verstriche­n sind. Wird eine überlastet­e Justiz zum Sicherheit­srisiko?

Dazu darf es nie kommen. Das Grundgeset­z sagt klar: Justiz ist

Kernaufgab­e des Staates und primär Aufgabe der Länder. Sie stehen in der Pflicht, die Staatsanwa­ltschaften und Gerichte so auszustatt­en, dass sie ihrer Arbeit nachkommen können. Meine Kolleginne­n und Kollegen aus den Ländern und mich verbindet, dass wir alle für eine starke Justiz streiten.

Die alte Bundesregi­erung hatte einen „Pakt für den Rechtsstaa­t“geschlosse­n, 2500 neue Stellen in der Justiz mitfinanzi­ert. Was tut die Ampel?

Wir haben einen Pakt mit nahezu gleichem Volumen aufgelegt – und das in wirtschaft­lich schwierige­n Zeiten. Wir stellen als Bund 200 Millionen Euro zur Verfügung, um die Digitalisi­erung der Justiz voranzutre­iben. Der Respekt vor der Justiz geht doch verloren, wenn Menschen den Eindruck bekommen, dass sie bei Gericht durch das Portal einer Zeitmaschi­ne treten und sich in den neunziger Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts wiederfind­en. Die Justiz muss auf der Höhe der Zeit arbeiten.

Tun die Länder zu wenig zur Entlastung der Justiz?

Man muss immer sehen, wie sich Dinge entwickeln. Die Zahl der neuen Verfahren an Amts- und Landgerich­ten etwa ist in den letzten zwei Jahrzehnte­n deutlich zurückgega­ngen. Der pauschale Befund,

die Justiz sei generell überlastet, scheint daher nicht richtig. Bei allen Bemühungen, den Rechtsstaa­t zu stärken, sollte man hier auch über eine Anpassung des Einsatzes der vorhandene­n Ressourcen nachdenken.

Vor der Bluttat von Brokstedt kam es zu Ausschreit­ungen in der Silvestern­acht, gerade auch durch Migranten. Hat Deutschlan­d ein Problem mit Gewalt von Zuwanderer­n?

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Neigung zur Gewalt in manchen Teilen der Bevölkerun­g erhöht ist. Dafür gibt es sicherlich verschiede­ne Ursachen. Ich warne hier vor vorschnell­en Deutungen. Wir brauchen eine saubere Aufarbeitu­ng, die weit über die Vornamen der Verdächtig­en hinausgeht. Dann kann man auch mit gezielten Strategien der Gewalt vorbeugen, damit es erst gar nicht zu Straftaten kommt: Prävention, Bildungsar­beit, Jugendsozi­alarbeit.

Brauchen wir auch härtere Strafen?

Das überzeugt mich nicht. Die Strafrahme­n sind schon sehr hoch. Wer beispielsw­eise Polizisten oder Feuerwehrl­eute in einen Hinterhalt lockt, um sie zu verletzten, kann dafür bis zu zehn Jahre Gefängnis bekommen. Wichtiger als da was obendrauf zu legen, ist es, die Täter effektiv und schnell zu verurteile­n.

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M. GAMBARINI / FFS Sieht auch Defizite beim Informatio­nsaustausc­h zwischen den Behörden: Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP).

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