Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Das kalte Kalkül von Microsoft
Us-konzern steckt Milliarden Dollar in Sprachprogramm – und Tausende verlieren ihre Jobs
Entlassungen im fünfstelligen Bereich – bei gleichzeitiger Milliardeninvestition in den „letzten Schrei“auf dem wachsenden Markt für künstliche Intelligenz (KI)? Für den Internetriesen Microsoft, der mit Windows das global dominante Betriebssystem herstellt, ist das kein Widerspruch. Sondern Programm.
Um dem Konkurrenten Google nachhaltig Terrain streitig zu machen, hat sich Microsoft-ceo Satya Nadella an das vor zwei Monaten mit weltweit sensationellem Erfolg gestartete Sprachprogramm CHATGPT des kalifornischen Startups Openai angedockt.
Zehn Milliarden Dollar sollen in den kommenden Jahren in das Projekt investiert werden, das nach Einschätzungen von Experten die Internetsuche revolutionieren wird. „Ganze Branchen bis hin zum Bildungssystem sind zu fundamentalen Umwälzungen gezwungen“, heißt es unter Experten an der Washingtoner Georgetown-universität, „weil ‚CHATGPT‘ früher oder später eine Automatisierung der Wissensarbeit auslösen wird.”
CHATGPT, das bislang noch kostenlos getestet werden kann und künftig auch in einer Abobezahlversion für circa 40 Dollar im Monat zu haben sein soll, versteht menschliche Sprache und kann binnen Sekunden auf Kommando komplexe Texte jeder Art erstellen, Wissensfragen mit beliebig langen Antworten retournieren, Businesspläne ausarbeiten und sogar Computercodes generieren. Die dazu nötige Software ist in der Lage, von Menschen geschriebene Texte teilweise beeindruckend gut zu imitieren, Nachfragen zu beantworten, Fehler einzuräumen, falsche Prämissen zu revidieren und unangemessene, etwa rassistische oder gewaltverherrlichende Anfragen, zurückweisen.
Zwar macht das System noch viele Fehler, allerdings könnte bereits, wie das Branchenmagazin „Techcrunch“berichtet, in wenigen Monaten bei der Vorstellung der neuesten Version GPT-4 ein weiterer Quantensprung erreicht werden.
Wie Nadella beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos vorschwärmte, sieht Microsoft in dem Tool eine epochale Entwicklung und einen Wachstumstreiber, vergleichbar vielleicht mit dem ersten iphone von Apple. Nur ein Indiz: CHATGPT hat neulich bei einem Examen der prestigeträchtigen Wharton Business School mit
der Note „gut“abgeschlossen. Ein deutscher Professor hatte den Sprach-bot mit den entsprechenden Fragen bombardiert.
Microsoft hat sich nach Unternehmensangaben rund 50 Prozent von Openai gesichert. 75 Prozent der dort erzielten Gewinne fließen perspektivisch an Microsoft. So soll sich das Investment amortisieren. Bereits in naher Zukunft will Microsoft, das bisher eher dafür bekannt war, informationstechnologische Rohdiamanten zu übersehen, CHATGPT in seine Suchmaschine Bing integrieren. Auch beim E-mailprogramm Outlook, dem Videokonferenzsystem Teams oder im Schreibprogramm Word könne das Ki-modell sinnvoll eingesetzt werden, etwa bei der Suche nach präziseren Formulierungen oder Übersetzungen. Auch E-mails und Internetpräsentationen könnten auf menschliche Sprachaufforderung künftig im Handumdrehen erstellt werden.
Bing läuft mit einem Marktanteil von knapp drei Prozent Branchenprimus Google (über 90 Prozent) derzeit meilenweit hinterher. Durch CHATGPT könne Microsoft die für Werbetreiwinn
bende relevante Suche nach Informationen im Netz so verändern, dass der bisherige Auswurf von Hunderten Links auf eine Frage unnötig wird, sagen Fachleute. Stattdessen stellt der Nutzer dem System wie in einer Konversation mit einem Menschen eine Frage und wird individuell mit einer maßgeschneiderten Antwort bedient. Diese Perspektive, sagen Experten im kalifornischen Silicon Valley, könne Googles Suchmaschine bald schon überflüssig machen.
Für Microsoft ist der Erfolg im Bereich KI (das amerikanische Kürzel ist „AI“für „artificial intelligence“) von hoher Bedeutung. Der Umsatz wuchs im letzten Quartal 2022 nur noch um zwei Prozent – auf knapp 53 Milliarden Dollar. Der Nettoge
fiel um zwölf Prozent auf rund 16,5 Milliarden Dollar. Ein Grund: Das Pc-geschäft, lange ein Eckpfeiler des Unternehmens, ist zum Ausklang der Corona-pandemie massiv eingebrochen.
Microsoft strich zuletzt 10.000 Stellen, knapp fünf Prozent der Gesamtbelegschaft. Der Abbau wird mit 1,2 Milliarden Dollar veranschlagt, 800 Millionen davon sind für Abfindungen vorgesehen. Die Chatbot-kreativen von Openai, das vor acht Jahren ursprünglich nicht gewinnorientiert gegründet wurde, unterstützte Microsoft bereits 2019 mit einer Milliarde Dollar, um einen Fuß in die KI-TÜR zu bekommen. Die Firma wird von Sam Altman geleitet, in der Frühphase war Tesla-boss Elon Musk Mitgründer.
Ob Microsoft im Kräftemessen mit Google tatsächlich reüssieren wird, ist allerdings offen. Der große Konkurrent arbeitet seit Langem im Bereich KI an dem Konkurrenzprodukt LAMDA. Von dem behaupten Insider, dass es schon heute leistungsfähiger sei als CHATGPT. An diesem Mittwoch will Google Details verraten. Bei Microsoft wird man diese Präsentation sehr aufmerksam verfolgen.