Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Wie gefährlich ist die Vogelgripp­e für den Menschen?

Der aktuelle Ausbruch ist so heftig wie nie. Die neue Dimension sowie eine Beobachtun­g auf einer Nerzfarm beunruhige­n Experten

- Kai Wiedermann

Berlin. Es ist der schwerste Ausbruch der Vogelgripp­e, den Europa je gesehen hat. Seit Monaten verbreitet sich das Virus bei Nutz-, Zoo- und Wildvögeln, Millionen Tiere sind bereits gestorben oder wurden notgeschla­chtet, Zehntausen­de in Deutschlan­d. Das Ausmaß des Ausbruchs und eine Beobachtun­g auf einer Nerzfarm in Spanien beunruhige­n Fachleute: Verändert sich das Virus derart, dass es sich in Zukunft auch von Mensch zu Mensch überträgt?

Was ist die Vogelgripp­e?

Grippevire­n zirkuliere­n weltweit nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren – nach Angaben des Robert Koch-instituts (RKI) vor allem bei Vögeln (aviäre Influenza), Schweinen und Pferden. Es existieren verschiede­ne Typen, die mit H und N sowie mit den Zahlen eins bis 16 bezeichnet werden. Die Buchstaben stehen für die wichtigste­n Eiweiße auf der Virus-hülle: Hämaggluti­nin und Neuraminid­ase.

Laut RKI werden aviäre Grippevire­n in niedrig pathogene, also wenig krankmache­nde und hoch pathogene, stark krankmache­nde Viren unterteilt. Hoch pathogene Influenza A-viren können bei Nutzund Wildtieren zu schweren Schäden in den Beständen führen, weil ein Großteil der infizierte­n Vögel stirbt. Die Vogelgripp­e wird auch als Geflügelpe­st bezeichnet.

Was ist an dem aktuellen Ausbruch besonders?

Im Winter gab es in der Vergangenh­eit immer wieder Ausbrüche der Vogelgripp­e. Diese ebbten in Frühling oder Sommer meist in der Fläche ab. „Diesmal gab es allerdings einen Virustyp oder mehrere Subtypen, die im Sommer sogar noch zugelegt haben“, sagt Biologe Wolfgang Fiedler vom Max-planck-institut für Vogelkunde. Darüber hinaus seien auch erstmals in Mitteleuro­pa Seevögel betroffen. „Hochrechnu­ngen besagen, dass in Deutschlan­d eine fünfstelli­ge Zahl von Wildvögeln verendet ist“, sagt Fiedler.

Haben sich Menschen bereits mit der Vogelgripp­e infiziert?

Aviäre Grippevire­n können auch Menschen krank machen. Die Übertragun­g vom Tier auf den Menschen ist laut RKI aber bisher wenig effektiv. Heißt: Die Viren sind für den Menschen wenig infektiös. Findet doch eine Ansteckung statt – meist durch Kontakt mit infizierte­m Nutzgeflüg­el –, kann die Krankheit schwer und tödlich verlaufen.

Seit Ende der 1990er-jahre kam es nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO zu etwa 900 Erkrankung­en durch hoch pathogene aviäre Influenza A-viren vom Typ H5N1 bei Menschen. Mehr als die Hälfte der Erkrankten starb. Auch andere Subtypen werden hin und wieder beim Menschen nachgewies­en. In Deutschlan­d gab es laut RKI bisher noch keinen Fall.

Warum sind aktuell einige Experten besonders beunruhigt?

Die Gefahr wird seit Jahren beschriebe­n: Ob sich ein Vogelinflu­enzavirus aber tatsächlic­h genetisch so verändern kann, dass es von Mensch zu Mensch übertragba­r werde, lasse sich nicht vorhersage­n, so das RKI. Einige Experten sind derzeit aber besonders besorgt. Grund dafür ist auch eine Beobachtun­g auf einer Nerzfarm in Spanien. Dort hat sich das Virus wohl von Säugetier zu Säugetier verbreitet.

„Das muss dringend weiter untersucht werden“, sagte Thomas Mettenleit­er,

Virologe und Präsident des Friedrich-loeffler-instituts, des Bundesfors­chungsinst­ituts für Tiergesund­heit, dem „Spiegel“. Vieles sei ungewiss, doch der Ausbruch in der Nerzfarm könne der erste Ausdruck einer Anpassung des Virus an Säugetiere sein. „Das wäre eine neue Qualität in Bezug auf die mögliche Ausbreitun­g.“Weitere Mutationen könnten dem Virus auch den Weg zum Menschen öffnen.

„Diese Viren sind wie tickende Zeitbomben“, erklärt Ian Barr, Vize-direktor des mit der WHO kooperiere­nden

Influenza-zentrums am Doherty Institute in Melbourne (Australien) im Gespräch mit der internatio­nalen Impfallian­z Gavi. Gelegentli­che Infektione­n seien kein Problem – „der Knackpunkt ist die allmählich­e Zunahme an neuen Eigenschaf­ten. Mit so vielen Viren da draußen, die in so vielen verschiede­nen Arten mutieren, kann man nicht 100-prozentig sicher sein, dass nicht etwas Unangenehm­es passieren wird.“Zwar müsse viel passieren, um eine echte Übertragun­gsfähigkei­t aufzubauen, „ich glaube aber nicht, dass wir so blasiert sein können, dass wir diese Dinge einfach ignorieren“, so Barr.

Sind die Behörden vorbereite­t?

Grippevire­n sind schon mal von Schweinen auf den Menschen übergegang­en. Ein Schweinegr­ippe-virus, das sich von Mensch zu Mensch übertrug, hat sogar schon eine Pandemie ausgelöst – 2009/2010. Entspreche­nd aufmerksam seien die Behörden, sagt Thomas Mettenleit­er. „Jeder Fall einer Influenzai­nfektion beim Menschen mit einem unbekannte­n Virus wird verfolgt, um Virus und Herkunft zu identifizi­eren“, sagt er. Und doch wäre es seiner Ansicht nach wünschensw­ert, die Entwicklun­g der Influenzav­iren bei Säugetiere­n besser zu verfolgen.

Gibt es einen Impfstoff?

In Deutschlan­d sind mehrere Impfstoffe für Menschen zugelassen. Seit kurzem ist auch ein Totimpfsto­ff auf dem Markt. Empfohlen wird eine Immunisier­ung nur in besonderen Fällen. Insbesonde­re, wenn Menschen beruflich Kontakt mit lebendem Geflügel haben.

Wie hoch der Schutzeffe­kt ist, ist umstritten. „Impfstoffe gegen Vogelgripp­e lösen beim Menschen traditione­ll keine wirklich guten und starken Immunreakt­ionen aus“, sagt Ian Barr. Die neue mrna-technologi­e, die zu einer raschen Entwicklun­g eines Corona-impfstoffs geführt habe, sei hier noch nicht ausprobier­t worden.

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O HUMPHREYS / DPA PA Naturschüt­zer sammeln tote Seevögel auf einer der Farne-inseln (Großbritan­nien) ein.

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