Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Darmstadt im Höhenflug
Der Zweitliga-spitzenreiter darf vom Aufstieg träumen. Nun wartet Frankfurt im Dfb-pokal
Torsten Lieberknecht ist ein Musikliebhaber, der gewisse Rituale pflegt. Der 49-Jährige, ein leidenschaftlicher Plattensammler, der selbst Gitarre spielt, hört vor Spielen gerne immer dieselben Songs, um sich einzustimmen. Und einer davon, wie der Fußballlehrer verriet, ist eine Nummer von AC/ DC mit dem Titel: „It’s a long way to the top, if you wanna Rock’n’roll“. Eine Textzeile, die doch recht gut zur Gesamtlage passt, in der sich Lieberknecht aktuell mit dem SV Darmstadt 98 befindet.
Als souveräner Zweitliga-tabellenführer hat der Club in dieser Saison gute Chancen, ins Oberhaus des deutschen Fußballs zu gelangen. Seit langer Zeit, nämlich seit dem 16. Juli 2022, haben die Darmstädter kein Pflichtspiel mehr verloren. Lieberknecht möchte mit seiner Mannschaft aber nicht nur in der Liga, sondern auch im Dfb-pokal weiter rocken. „Wir wollen ein Spiel abliefern, das einem Derby gerecht wird“, sagt er vor dem Achtelfinal-duell beim Europa-league
Sieger Eintracht Frankfurt, einer brisanten Partie, in der Darmstadt vor einer hohen Hürde steht.
Das ist auch Rüdiger Fritsch bewusst, dem Präsidenten des Clubs. „Wenn man das Spiel mit einem 100Meter-lauf vergleicht, haben wir 80 Meter Rückstand. Aber es könnte natürlich passieren, dass kurz vor dem Ziel der Schnürsenkel aufgeht“, sagt Fritsch. Heißt: Der 61Jährige hält es für möglich, dass Frankfurt stolpert – zumal auch Borussia Mönchengladbach gegen Darmstadt in Runde zwei stürzte.
Darmstadt erlebt einen Höhenflug, der mehrere Gründe hat. Eine Spur führt zum gebürtigen Hamburger Carsten Wehlmann, der in Darmstadt mit hanseatischem Understatement vorgeht: Der Sportliche Leiter, 49, früher Zweitliga-torwart beim FC St. Pauli, begriff im Sommer 2021 Abgänge wie von Torschützenkönig
Serdar Dursun (Fenerbahçe Istanbul) oder Abräumer Victor Palsson (Schalke, jetzt D.C. United) und die Daumenschrauben durch die pandemiebedingten Einbußen als Chance, die Mannschaft vornehmlich mit kostengünstigen Lösungen willensstärker zu machen. Heraus kam ein Geist, den der ebenfalls erst 2021 dazugekommene und derzeit verletzte Führungsspieler Klaus Gjasula (33) so beschrieb: „Wenn ich uns mit anderen Mannschaften vergleiche, dann würde ich den Teamspirit als großes Plus nennen.“Trotzdem ragen Profis wie der frühere Jenaer Stürmer Phillip Tietz (25/ablösefrei von Wehen Wiesbaden) heraus, der in der vergangenen Saison 15 Tore und in der laufenden bisher acht erzielte. Ihm hilft die offensive Ausrichtung unter Lieberknecht, den die Darmstädter ja nur holten, weil die Bremer ihren Trainer Markus Anfang weglockten. Die Station Darmstadt scheint für den gebürtigen Pfälzer perfekt zu passen. „Torsten ist ein Hexer“, sagt Mittelfeld-routinier Tobias Kempe (33) mit einem Augenzwinkern. Der Standardspezialist gibt gemeinsam mit dem Defensivallrounder Fabian Holland (32) den einzigen Zeitzeugen an die letzte Bundesliga-episode zwischen 2015 und 2017, als eine No-name-truppe voller schräger Vögel um den unangepassten Mittelstürmer Sandro Wagner bei Darmstadt spielte.
An diesem Dienstag gilt der Fokus nun dem Pokalspiel in Frankfurt. Es ist nicht undenkbar, dass Darmstadt auch im 21. Spiel in Serie ungeschlagen bleibt.