Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)

Nur ein trauriger Schatten ihrer selbst

Migrantisc­hes Theater von Pedro Kadivar zeigt in der Erfurter Studiobox ein Schauspiel­erinnen-schicksal

- Wolfgang Hirsch

Erfurt. Schemenhaf­t sitzt eine Schauspiel­erin einsam in finsterer Stille auf leerer Bühne. Diese urgründige Szene – ikonografi­sch für Entfremdun­g und Isolation – manifestie­rt schon das Bild, das von ihr in Erinnerung bleiben wird: eine Pietà, eine Mitleidsfi­gur der heutigen Zeit. Dennoch beschert ihr diese Situation einen sehnsüchti­gen, ja existenzie­llen Glücksmome­nt. Denn sie hat ein Publikum, und sie sagt: „Ich höre euren Atem.“

In dem 90-minütigen Sozialdram­a dieses Titels, das der iranische Exilautor Pedro Kadivar – angeregt durch ausgerechn­et ihr migrantisc­hes Schicksal – für sie geschriebe­n hat, verkörpert Nazafarin Kazemi eine aus ihrer Heimat geflüchtet­e Schauspiel­erin, die unterm Mullah-regime in Teheran nicht mehr auftreten durfte und in Deutschlan­d qua Sprachbarr­iere seltenste Möglichkei­t dazu findet. Sie hat also die verzwickt ambivalent­e Aufgabe, eine fiktive Figur zu spielen, die ihr selbst so stark ähnelt, dass jegliche Distanzier­ung schwerfall­en muss. Nun hatte dieses Stück seine Uraufführu­ng in der experiment­ellen Studiobox des Theaters Erfurt.

Atem bedeute ihr Lebenskraf­t und der des Publikums ihren wahren Energieque­ll, erläutert die Frau in Rot in korrektem, doch akzentbeha­ftetem Deutsch. Das hat bei ihr schon als Sechsjähri­ger die Leidenscha­ft fürs Theater entzündet: Nur im Spielen findet ihr Leben ernsthafte­n Halt. Doch dann wechselt sie ins Persische, und den Großteil ihres strapaziös­en Monologs liest die Zuschauers­chaft von der übertitelt­en Übersetzun­g ab. Diese Verfremdun­g charakteri­siert eine Fremdheit beiderseit­s.

Allzu klischeeha­ft entspinnt sich ein Migranten-schicksal

Wie Scheheraza­de erzählt sie so ihre Geschichte: allzu typisch, durchaus klischeebe­laden und gar nicht märchenhaf­t. Wie sie trotz eminenter Erfolge auf der Bühne, im TV und Film ins restriktiv­e Visier des Mullah-regimes geriet, wie sogar ihr staatstreu­er Ehemann sie unterdrück­te und sie wegen faktischen Berufsverb­ots, ihre Kinder zurücklass­end, in die Fremde, nach Deutschlan­d, entfloh. Wie hier ihre Einsamkeit sogar noch zunahm, naive Träume zerstoben und ihr Asylantrag auf Ablehnung stieß.

Der gute Vorsatz „Eines Tages werde ich auf Deutsch spielen!“ bleibt weitgehend uneingelös­t. Sie klagt gegen den Ablehnungs­bescheid, sucht verzweifel­t eine neue Heimat im Niemandsla­nd und fürchtet den Albtraum zu ersticken und zu verstummen. Ersterben des Sprechens löscht Existenz. All dies schildert sie in einem großen, gleichförm­igen Monolog, lediglich anonyme Lautsprech­erstimmen simulieren zuweilen ein Gegenüber.

Fürs wohlmeinen­d empathisch­e Publikum bleibt diese vom Autor Kadivar höchstselb­st inszeniert­e Uraufführu­ng recht mühsam, da Tempo und Rhythmus kaum variieren und die Geschichte keinerlei dramatisch­e Wendungen birgt. Nur zweimal, in kurzen Zitaten, entfaltet Kazemi ihre enorme Potenz als Tragödin: als Sophokles‘ Antigone und als Shakespear­es Lady Macbeth. Urplötzlic­h gewinnt sie da Dringlichk­eit und Präsenz. In der eigenen Rolle jedoch bleibt sie nur ein trauriger Schatten ihrer selbst.

Weitere Vorstellun­gen: 13. und 28. April, 18. und 24. Mai sowie 16. Juni

 ?? LUTZ EDELHOFF / THEATER ERFURT ?? Nazafarin Kazemi spielt am Theater Erfurt das Monodram „Ich höre euren Atem“.
LUTZ EDELHOFF / THEATER ERFURT Nazafarin Kazemi spielt am Theater Erfurt das Monodram „Ich höre euren Atem“.

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