Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Kuriose Funde und Ddr-relikte
Müllwerker-alltag im Saale-orla-kreis im Einsatz: Schadstoffmobil-mitarbeiter zwischen Altlasten und Gefahr
Trannroda/herschdorf. Zwischen Sonneberg und Döbeln liegen 200 Kilometer. Und Tausende kleine Dörfer und Städte. Hunderttausende Menschen leben zwischen Mittelsachsen und Südthüringen. Nico Kotzur (50) und Thomas Hangst (55) kennen sie fast alle, zumindest deren Sondermüll und die Geschichten dazu. Die beiden fahren mit einem der vier Lkw von Becker Umweltdienste aus Chemnitz durch die Lande. Von März bis Juni und von August bis November, zweimal pro Jahr, sind die Müllwerker auf zentralen Plätzen anzutreffen. Diesmal stehen auf dem Tourenplan unter anderem Herschdorf und Trannroda. Die Männer nehmen beinahe alles mit, was weder in den Hausmüll, Gelben Sack noch in die Papiertonne gehört.
Uhr, Kotzur wohnt in Chemnitz. Er ist eigentlich Mess- und Regelmechaniker. War nach der Wende Arbeit suchend: „Ich habe dann mal Strumpfhosen mit‘m Transporter gefahren, für Esda.“Seit Februar 1998 fährt er die Müllwagen für Schadstoffe. Verheiratet? „Nö, keine Zeit, bin ja ständig auf Achse, jeden Tag von 8 bis 20 Uhr und samstags.“Von Kuriosem berichtet er, während er wartet. Er gerät in Plauderlaune: „Ein Uranverstärker.“Ein was? „Eine Flasche aus Ddr-zeiten. Eine Aufregung. Telefonate geführt. Wir haben es da gelassen. Es stellte sich heraus, es ist nur schwach radioaktiv gewesen.“Oder in Nordhausen: „Ein Salzsack mit einem Sprengstoffzeichen drauf.“Landratsamt, Polizei und Chemiker kamen. „Ammoniumnitrat. Dünger. Na ja, wenn man es vermischt mit …“
14.50 Trannroda. Farben, Lacke, Leuchten
Oder Patronengurte. Ein Fall für die Polizei, nicht für die Müllwerker. Oder: „Da war mal so eine Frau, das hat ein Kollege erzählt, die hatte zwei Zyankali-kapseln von ihrem Opa, die wollte die loshaben. Das haben wir extra verpackt, wie alle abgelaufenen Medikamente. Das wird dann verbrannt.“
Aber das sind ganz große Ausnahmen, Erzählungen für einen Männerabend. Der Alltag ist das: Behälter mit Wand- und Dispersionsfarbe, Leuchtmittel, Lacke, Putzmittel, Medikamente, seltener Batterien. „Aus Scheunen, vom Dachboden, aus Kellern und Garagen, hauptsächlich von Haushaltsauflösungen. Zeug, das beim Ausmisten auftaucht. Das meiste stammt aus
Ddr-zeiten“, sagt Kotzur. Wie identifizieren sie nicht Erkennbares? „Durch eine Geruchsprobe. Durch Schütteln: Ölhaltiges läuft am Glas glatt herunter, Säure in perlenden Tropfen.“Wo er das Wissen herhat? „Learning by doing. Und jährlich ein Lehrgang, samstags, wieder ein Tag nicht zu Hause.“
Stets ist man zu zweit draußen unterwegs: „Falls mal einer umkippt.“Noch immer gibt keiner was ab, darum wieder eine Anekdote: „Da schleppten mal ein paar Jungs Sofa und Sessel an. Das nehmen wir freilich nicht mit. Die haben sich fast gerauft, weil der eine zum anderen sagte, ‚Ich hab’s dir doch gesagt!‘“, sagt Kotzur lachend.
Manchmal kommt keiner, manchmal drei, manchmal 15, wenn das Schadstoffmobil im Dorf ist. „Um Pößneck, wo die Zaso einen festen Standort hat, eher weniger“, hakt der zweite Mann an Bord, Hangst, kurz ein. Er bleibt weitestgehend ruhig, im Hintergrund. Was ist ein typischer Satz der Leute? Kotzur: „Wenn ich frage, was das für‘n Zeug ist. Dann kommt stets: ‚Weiß nicht‘. Wie oft ich den Satz schon gehört habe … Wenn ich jedes Mal einen Euro dafür bekäme, wäre ich reich.“Und das Zweithäufigste? „Viele rechtfertigen sich für das, was sie bringen. Erzählen die
Geschichte darum. Will ich gar nicht wissen. Ich mache nur meinen Job, verpacke das Zeug ordentlich, fahr’s ab.“
Seit 30 Jahren auf den Dörfern
Jährlich kommen rund 200 Tonnen auf den Touren zusammen. Sondermüll-entsorgung anzubieten, gehört zur kommunalen Pflichtaufgabe, übertragen an den Zaso in den beiden Landkreisen Saale-orla und Saalfeld-rudolstadt. Sie beauftragen wiederum Becker Umweltdienste. Seit Anfang der 1990er fahren die Schadstoff-lkw umher. An Bord sind Fässer für zwanzig Müllsorten.
15.15 Uhr, Trannroda. Volker, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, kommt jedes Jahr. Wie lange? „Seit der Lkw kommt“, antwortet der 66-Jährige. Leuchtstoffröhren mit Quecksilberdampf hat er heute dabei. Alte Farbeimer. Als naturverbunden bezeichnet sich der Rentner, es würde ihm wehtun, es in der Umgebung zu entsorgen. „Wenn ich Müll im Wald sehe, kann ich nicht anders, nehme es mit.“Er könne nicht verstehen, wie man das illegal wegwerfen kann, schließlich gebe es für alles Mülltonnen: „Die kommen sogar zur Haustür, nehmen alles mit, kostenlos. Selbst Sondermüll.“
Dann: Ein anderer kommt aus seiner Hofeinfahrt, hat Altölflaschen dabei. Vom Rasenmäher, Moped, Traktor, denn er tauscht es selbst. „Klar, warum nicht? Für‘n Ölwechsel fährt man doch mit Rasenmäher nicht extra in die Werkstatt“, kommentiert Volker wie selbstverständlich. „Los geht‘s, wir müssen weiter“, sagt Kotzur.
Nächster Halt: Herschdorf. 15.40 Uhr. Kurze Erklärung zu den Schildern am Lkw: Gase. Brennbare Gase. Brennbare Flüssigkeiten. Lösungsmittel. Farben, Lacke. Batterien. Oxidantien. Giftstoffe. Azetat. Ein junger Bursche taucht auf. Benjamin Schmidt (20) ist das erste Mal da: „Der Opa hat zufällig gesehen, dass der Schadstoff-lkw da ist: ‚Geh mal schnell hin.‘“Ein Farbeimer vom Gartenzaunstreichen ist übrig. Etwas Beize, Altöl. Probe aufs Exempel; Kotzur: „Hey, was würdest du mit Sprengstoff machen?“Rasche Antwort: „Der Polizei melden.“Kotzur grinst, nickt bestens gelaunt.
Der eine oder andere kommt noch mit dem üblichen Sondermüll. Routiniert packen es die beiden Fahrer in den Lkw. In Herschdorf ist es jetzt 16 Uhr. Nächster Halt: 16.40 Uhr in Molbitz.