Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Von Art déco bis Ddr-design
Das Museum für Angewandte Kunst in Gera feiert mit großer Sonderausstellung 40-Jähriges
Gera. Am 6. Oktober 1984 wurde in der Greizer Straße 37-39 in Gera das Museum für Kunsthandwerk, heute Museum für Angewandte Kunst, eröffnet. Mit der Neugründung sollte das neue Wohnquartier kulturell aufgewertet und obendrein das Gebäude aus dem
18. Jahrhundert, benannt nach seinem Vorbesitzer Dr. Moritz Rudolph Ferber, öffentlich zugänglich gemacht werden. Bereits die zweite Sonderausstellung, „Kunst um 1900“, war richtungsweisend für das künftige Sammlungsprofil.
Leihgaben und Ankäufe aus der Sammlung des Chemnitzers Georg Brühl führten dazu, dass fortan das
20. Jahrhundert in den Fokus rückte – mit Möbeln, Kleidung, Schmuck und Alltagsgegenständen aus der Zeit von Jugendstil und Art déco. In den 1980ern zählte auch bereits die Ddr-gebrauchsgrafik zum Sammlungsschwerpunkt. Weitere Ankäufe und Schenkungen prägten in den vier Jahrzehnten das Profil. So kamen beispielsweise 2004 über die Sammlung von Hermann Götting aus Köln ausgewählte Exponate aus den 1920ern bis 1960ern nach Gera. Und über einen Ankauf aus dem Erbe von Björn Schoder kamen Möbel des Architekten Thilo Schoder ins Museum, der von 1916 bis 1932 das architektonische Stadtbild mitbestimmte.
Eine besondere Bedeutung für die heutige Prägung hatte auch der langjährige Museumsdirektor Hans-peter Jakobson, der eine Sammlung mit Bauhaus-keramik sowie nationaler wie internationaler Studiokeramik aufbaute. Dazu kam die Schenkung der Sammlung Welle aus Paderborn 2004 und 2011 und schließlich auch ihrer japanischen Keramik im Jahr 2014, wie die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anne-kathrin Segler erklärt. Sie verweist zudem auf den umfangreichen Bestand des Hauses von Arbeiten Aenne Biermanns, aber auch auf Künstlerplakate, Werbemittel und Verpackungen. „Und das Ende der DDR stellte das Museum vor eine weitere Herausforderung. Denn viele Bürgerinnen und Bürger stifteten plötzlich Objekte aus dem Alltagsbereich, die Zeichen der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR sind, aber auch für die handwerklichen Qualitäten ihrer Entwerfer stehen.“
Ein riesiges Portfolio also, das nun, zum 40-jährigen Jubiläum des Museums, in der Sonderausstellung „Von Art déco bis Ddr-design“beispielhaft umrissen werden soll. Mode, Möbel, Alltagsgegenstände und Fotografien bis hin zu Gebrauchsgrafik und Keramik aus dem eigenen Bestand sollen die Strömungen des Zeitgeistes im 20. Jahrhunderts zeigen, und Kuratorin Anne-kathrin Segler stand in der Vorbereitung entsprechend vor der Herausforderung, auszuwählen, was sie zeigen möchte. Die Ausstellung, vom 12. Mai bis 6. Oktober in Gera zu sehen, spannt den Bogen vom glamourösen Stil des Art déco über das moderne Design des Bauhauses bis hin zur funktionalen Formgestaltung von Ddr-produkten – chronologisch und stilistisch geordnet.
Schon das Foyer zu den Ausstellungsräumen gibt einen Überblick über die Menge, die in den Depots schlummert. „Wir zeigen hier unter anderem eine Auswahl an Aschenbechern, stellvertretend für Hunderte weitere im Depot“, erklärt die Kuratorin. Mitunter sind weder Einlieferer noch Gestalter bekannt, was Recherchearbeit und das Befragen von Zeitzeugen nach sich zieht.
Kabinett-schränkchen, Radio und Armlehnstuhl
Der erste Raum stimmt mit Porzellanarbeiten auf die folgenden Schmuckstücke und Raritäten ein. Ein Kabinett-schränkchen mit Einlegearbeiten von 1922 beispielsweise, wie es in hochwertig ausgestatteten Zügen jener Zeit verbaut wurde. Oder auch ein Art-déco-radio aus Wallnussholz aus dem Jahr 1930. Der Armlehnstuhl von Bruno Paul von 1924 bezeichnet den Übergang von verspielten Einrichtungsstücken hin zu vereinfachten industriellen Normen. Dem gegenüber stehen die aus Stahlrohr gefertigten Satztische B9 von Marcel Breuer, die er für die Bauhauskantine in Dessau entworfen hat und die eine Hinwendung zum preiswerten und widerstandsfähigen Material Stahlrohr darstellen.
Als Hingucker der Ausstellung sind zweifelsohne auch Thilo Schoders Entwurf der Frankfurter Küche, der funktionale Schreibtisch des niederländischen Designers Mart Stam von 1948-1950, die gläserne Sintrax-kaffeemaschine Gerhard Marcks von 1925 oder die großen Stoffbahnen zu sehen, ebenso wie der Ventilator Calor aus Frankreich, Stoffbahnen – einerseits mit streng geometrischen Mustern von Lies Krämer und gegenüberliegend mit floralem Design von Tea Ernst aus der gleichen Zeit.
Einen großen Raum in der Ausstellung nehmen auch Verpackungen ein, kunstvolle Blechdosen, wie sie für die Cakesfabrik H. Bahlsen um 1913/1914 gefertigt wurden. Ab 1900 setzten aufstrebende Firmen vermehrt darauf, mit Künstlern ein Markenbild zu kreieren. Darüber hinaus finden auch Fotografien Aenne Biermanns Eingang in die Ausstellung, ebenso wie Werke des Geraer Gebrauchsgrafikers Günter Kerzig und des Grafikdesigners Rolf F. Müller. Dahinter viele Geschichten, die es zu erzählen gibt, und Erinnerungen, die der eine oder andere Gast mit den zahlreichen Objekten verbindet. Die Vernissage findet am Sonntag, 12. Mai, um 11 Uhr statt. Es folgen zahlreiche weitere Begleitveranstaltungen.
Zur Ausstellung, die dienstags bis sonntags und an Feiertagen von 11 bis
17 Uhr geöffnet hat, erscheint ein Katalog im Hirmer Verlag, München.