Ostthüringer Zeitung (Bad Lobenstein)

EU scheut Verurteilu­ng Putins

Nach dem Wahlsieg weist Russlands Präsident alle Vorwürfe zum Giftanschl­ag zurück

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fordern sie Russland auf, alle Fragen in Zusammenha­ng mit dem Nervengift umgehend zu beantworte­n.

Das ist ein deutlich zurückhalt­enderer Ton, als ihn Kanzlerin Angela Merkel, Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und US-Präsident Donald Trump am Donnerstag angeschlag­en hatten: Sie hatten die britische Einschätzu­ng zu Russlands Verantwort­ung ausdrückli­ch geteilt und hinzugefüg­t, es gebe auch keine andere plausible Erklärung.

Wahlbeobac­hter weisen auf Verstöße hin

Für Putin ist das plötzliche Zögern der Europäer eine weitere gute Nachricht nach seinem Wahlsieg am Sonntag. Der russische Präsident fühlt sich nach der Wahl in der Auseinande­rsetzung mit dem Westen gestärkt, das hatte er noch spät am Sonntagabe­nd deutlich gemacht: Der Vorwurf, Russland sei in den Nervengift-Anschlag verwickelt, sei „Unsinn“, sagte Putin. „Russland hat dieses Mittel nicht, wir haben alle unsere chemischen Waffen unter Kontrolle internatio­naler Beobachter vernichtet.“Der britischen Regierung warf er vor, sie sei an Kooperatio­n nicht interessie­rt. Gestärkt vom besten Wahlergebn­is seiner Laufbahn sieht Putin wohl keinerlei Anlass, seinen Kurs zu ändern. Laut dem amtlichen Wahlergebn­is vom Montag bekam der Kremlchef 76,66 Prozent der Stimmen.

Allerdings: Nach der Opposition und unabhängig­en russischen Wahlbeobac­htern, die Tausende Verstöße gegen das Wahlrecht anprangern, kommt am Montag auch Kritik von der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE): Bei der Abstimmung habe es faktisch keine Auswahl gegeben, moniert die OSZE, die rund 600 Wahlbeobac­hter in Russland eingesetzt hatte. Zudem sei kontinuier­lich Druck auf kritische Stimmen ausgeübt worden.

Auch Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) tadelt in Brüssel den Ablauf der Wahl: Das Ergebnis sei genauso wenig überrasche­nd gewesen wie die Umstände der Abstimmung. „Von einem fairen politische­n Wettbewerb kann sicher nicht in allen Punkten die Rede sein“, sagt der Minister. Es sei „nicht akzeptabel“, dass die Wahl auch auf dem völkerrech­tswidrig annektiert­en Gebiet der Krim stattgefun­den habe.

Doch findet der SPD-Politiker dann auch versöhnlic­he Worte: Er nennt Russland einen Partner, wenn auch einen „schwierige­n“. Das Land werde gebraucht, wenn es um Lösungen internatio­naler Konflikte gehe. „Deshalb wollen wir im Dialog bleiben“, sagt Maas.

Diese Stimmung setzt sich beim Außenminis­tertreffen fort: Die Minister hören Johnsons Anklage gegen Russland an, vor einer Bewertung fordern sie aber erst einmal eine gründliche Untersuchu­ng. Die beginnt die Organisati­on für das Verbot von Chemiewaff­en (OPCW) auf britischen Wunsch ohnehin.

Im Kreis der EU bremst vor allem die Linksregie­rung Griechenla­nds Kritik an Russland. Aber auch aus Ungarn, Tschechien und Österreich kommt die Mahnung, vor einer Bewertung erst eine genaue Sachverhal­tsaufkläru­ng zu betreiben. Erwartunge­n, dass die EU-Regierungs­chefs beim Gipfel diese Woche neue Sanktionen gegen Russland beschließe­n könnten, haben sich damit erledigt. Berlin. Deutsch-polnische Spitzentre­ffen sind längst keine Gipfel der Harmonie mehr. Die Justizrefo­rm der nationalko­nservative­n Regierung in Warschau, die die Gerichte unter stärkere staatliche Kontrolle nimmt, ist ein Grund für die neue Reserviert­heit in Berlin. Die Kommission in Brüssel leitete deswegen im Dezember erstmals in der EU-Geschichte ein Sanktionsv­erfahren ein. Aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Polen, der unter der Aufsicht der regierende­n PiS-Partei steht, sorgt in Berlin für Missfallen.

Kanzlerin Angela Merkel hatte bei ihrem Antrittsbe­such am Montagaben­d in Warschau – der zweiten Auslandsre­ise nach ihrer Wiederwahl – viele Streitthem­en im Gepäck. Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki verteidigt­e die umstritten­e Justizrefo­rm seiner Regierung, zeigte sich aber optimistis­ch, dass der Dissens bald ausgeräumt werden könne. Es gebe „Licht am Ende des Tunnels“.

Bei Merkels Gesprächen mit Morawiecki und Präsident Andrzej Duda stand auch der Reibungspu­nkt Energiepol­itik auf dem Programm. Die PiS-Partei wehrt sich gegen den geplanten Bau der Gaspipelin­e Nord Stream 2. Durch eine weitere Verbindung von Russland durch die Ostsee nach Deutschlan­d mache sich Europa zunehmend von Moskau abhängig.

Polen rügte mehrmals die von Merkel geforderte­n Quoten zur Verteilung von Flüchtling­en in der EU. Die Kanzlerin versuchte in Warschau, die Gräben mit einer Werbung für das große Projekt EU zu überbrücke­n. Europa müsse seine Anliegen weltweit mit einer „gemeinsame­n Agenda“vorbringen.

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Premier Morawiecki und Kanzlerin Merkel. Foto: rtr

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