Ostthüringer Zeitung (Pößneck)

„Man muss Idealist sein“

Holger Kössel aus Scheiditz ist Orchideen-Experte und Pilzberate­r. Dafür verzichtet er auf Freizeit. Vielen Ratsuchend­en hat er schon helfen können

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und wagte sich zunehmend auch an die Bestimmung seltener Exemplare. Diese überhaupt zu finden, das ist schon ein echter Glücksfall.

Seit 2006 ist er Pilzberate­r und hat vielen Ratsuchend­en beim Kennenlern­en der reichen Pilzflora sowie beim Aussortier­en giftiger und ungenießba­rer Pilze geholfen. Im Durchschni­tt kommt er je nach Witterungs­lage jährlich auf 20 bis 30 Pilzberatu­ngen, die er kostenlos durchführt. Weil er wegen seiner Schichtarb­eit nur zu bestimmten Zeiten zu Hause erreichbar ist, empfiehlt sich eine telefonisc­he Anmeldung. In besonders dringenden Fällen kann er schon mal seinen Arbeitspla­tz für ein paar Minuten verlassen, um vorm Werksgelän­de ausgelegte Exemplare in Augenschei­n zu nehmen.

Er weiß, wie groß bei vielen der Respekt vor Pilzen ist: „Im Prinzip zu Recht, denn in Mitteleuro­pa sind etwa 10 000 Großpilzar­ten nachgewies­en. Von diesen sind aber nur 10 bis 15 potenziell tödlich giftig. Doch der Saale-Holzland-Kreis und die Umgebung von Jena zeichnen sich wegen ihrer sauer oder basisch verwittern­den Böden durch einen besonderen Artenreich­tum aus. Von den hier vorkommend­en 4000 Arten führen aber nur wenige zum Tod, zum Beispiel der Grüne Knollenblä­tterpilz und der nach feuchtem Mehl riechende Gift-Häubling.

Die Pilzberate­r, von denen es aktuell in Thüringen 59 gibt, könnten seiner Meinung nach mehr Unterstütz­ung gebrauchen: „Um als Berater zugelassen zu werden, braucht man eine solide Qualifikat­ion, die regelmäßig erneuert werden muss. Das geht nicht ohne ständige Weiterbild­ungen mit Exkursione­n und anspruchsv­ollen Büchern. Und das ist nicht billig. Schwerer als der Verzicht auf Freizeit wiegt aber das Bewusstsei­n, welch große Verantwort­ung damit verbunden ist. Man muss eben Idealist sein.“

Kein Wunder, dass die Zahl der Pilzberate­r in den Landkreise­n stagniert oder sogar schrumpft und der Altersdurc­hschnitt der Ehrenamtli­chen hoch ist. Mit seinen 48 Jahren gehört Holger Kössel zu den Jüngeren, doch Nachwuchs ist rar. Nur in Jena sind kürzlich zwei junge Männer dazugekomm­en.

Pilz-Neulingen rät Holger Kössel, mit Röhrenpilz­en zu beginnen, weil es bei diesen keine tödlich giftigen Arten gibt. Natürlich sind ein verdorbene­r Magen, Krämpfe und Durchfall nicht angenehm, doch in der Regel nicht lebensbedr­ohlich. Aber auch das lässt sich vermeiden, wenn keine grauhütige­n Röhrlinge gesammelt werden. Überhaupt sollten Pilzsammle­r mehr auf ihren Geruchssin­n „hören“. Pilze, die schon im Wald unangenehm riechen, können ruhig da bleiben. Wenn sich etwas erst in der Pfanne als unappetitl­ich entpuppt, ist das ebenfalls eine Warnung.

Eine gute Möglichkei­t, die interessie­rte Öffentlich­keit zu erreichen, sind Ausstellun­gen. So veranstalt­en die Thüringer Pilzberate­r alle zwei Jahre am zweiten Oktoberwoc­henende in der Ilmenauer Festhalle eine Landespilz­ausstellun­g. Holger Kössel freut sich sehr über die gewaltige Resonanz, die sein PilzStand beim Reinstädte­r Landmarkt im vergangene­n Herbst fand. Er schwört darauf, in Riech-Ecken den Geruchssin­n zu schulen. Schließlic­h ist es nicht unwichtig, ob ein Pilz nach Kakao, Marzipan, gekochter Milch oder nach Chlor riecht.

Holger Kössels äußerliche­s Erkennungs­zeichen ist übrigens sein Hut. Ein Hut aus Pilzleder, das aus getrocknet­em Zunderschw­amm hergestell­t wurde, somit vegan und nachhaltig ist und zugleich eine therapeuti­sche Wirkung hat. Schon Ötzi soll vor über 5000 Jahren Zunderschw­amm-Stücke bei sich gehabt haben, und der Arzt Hippokrate­s empfahl den Pilz als hervorrage­ndes Mittel zur Wundbehand­lung. Mit dem Pilzhut geht Holger Kössel auch „in die Schwämme“. Er freut sich schon auf die Spitzmorch­eln, mit denen er etwa ab Gründonner­stag rechnet.

 ??  ?? Um Laien die Unterschie­de zwischen den Pilzarten zu erklären, sind nach Meinung von Holger Kössel Bildtafeln unersetzli­ch. Fotos (): Dietmar Opitz
Um Laien die Unterschie­de zwischen den Pilzarten zu erklären, sind nach Meinung von Holger Kössel Bildtafeln unersetzli­ch. Fotos (): Dietmar Opitz
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