Ostthüringer Zeitung (Zeulenroda-Triebes)
Messen mit Nadeln, die so lang sind wie Haare dick
Ein Ilmenauer Forscherteam kalibriert Messgeräte im winzigkleinen Nano-Newton-Bereich
Ilmenau. Wann haben Sie zuletzt Ihre Hände über eine Fläche gleiten lassen, die Rauheit einer Mauer oder die Glätte Ihres Autolacks gefühlt? Würde man dies allerdings mit den Oberflächen machen, für die Forscher des Ilmenauer Institutes für Prozessmess- und Sensortechnik ihre besonders sensiblen Messgeräte entwickeln, wären diese wohl zerstört, sagt Michael Kühnel.
Kühnel gehört zum Forscherteam um den Ilmenauer Professor Thomas Fröhlich. Mit ihrem Projekt „Präzises Kalibriersystem für Mikro- und Nanokraftsensoren“sind sie für den Thüringer Forschungspreis 2018 nominiert, der am morgigen Dienstag vergeben wird. Gemeint ist die feinste Justierung von mikroskopischen Messgeräten im Bereich weniger Nano-Newton. Um sich eine Vorstellung davon zu machen, um welche Mikrokräfte es bei den Messungen geht: Ein Nano-Newton ist eine Zahl mit acht Nullen hinter dem Komma, erst dann kommt die Eins. Ein Newton oder eine Milliarde Nano-Newton entsprechen etwa der Gewichtskraft, die auf einen Körper von der Masse einer Tafel Schokolade wirkt.
Entsprechend klein und fein sind die Geräte, mit denen Kühnel und seine Kollegen hantieren. Damit ist es möglich, mikroskopisch kleine Kraftsensoren, wie zum Beispiel Cantilever von Raster-Kraft-Mikroskopen, mit Kräften im Bereich weniger Nano-Newton bei gleichzeitig sehr kleinen Messunsicherheiten zu kalibrieren. Cantilever sind kleine Abtastnadeln, die laut Kühnel nicht länger sind als ein Haar dick ist. Mit dem Auge seien sie gerade noch zu erahnen. Mit den Händen aber könne man wenig ausrichten, schon kleinste Berührungen oder Kräfte würden sie kaputt machen.
In dem man mit diesen Nadeln über die Oberflächen fährt, lassen sich anhand des Ausschlages der feinen Spitze Nanometerstrukturen darstellen. Das System der Ilmenauer verbindet Kraft- und Wegemessung. Will sagen: Durch die Kalibrierung ermöglichen die Forscher auch Aufschluss über Kräfte, die an der Oberfläche wirken. Angewendet wird das unter anderem in der Medizin, der Biologie, der Biophysik und den Materialwissenschaften. Untersucht werden könnten so zum Beispiel Kräfte zwischen DNA-Strängen oder die spezifischen nanomechanischen Eigenschaften von Krebszellen. Im Werkstoffbereich ermittle man so die Härte sehr dünner Oberflächenschichten.
Laut Kühnel können sich in den Nanostrukturen ganz neue Eigenschaften zeigen. Sie zu verstehen, sei mit eine Voraussetzung dafür, um beispielsweise Transistoren für Computerchips immer kleiner und leistungsfähiger herstellen zu können. So ein Messgerät aus der Ilmenauer Präzisionsschmiede kostet in der Herstellung schnell einen sechsstelligen Betrag.