»Qualität, Relevanz und Leidenschaft sind die Zutaten für erfolgreiche Printmagazine«
Jedes Mal, wenn ich im Bahnhofskiosk stehe, frage ich mich, wie jemals jemand Print für tot erklären konnte.
Frances Uckermann: Print lebt tatsächlich. Und nicht mal schlecht: 2001 habe ich zum ersten Mal gehört, dass es mit Print bald vorbei sein wird. Damals erschienen 1178 Publikumszeitschriften in Deutschland. 2018 waren es 1625, bei Vertriebseinnahmen von vier Milliarden Euro. Durch die Verschiebung von Werbehin zu Vertriebseinnahmen wird es für Magazine immer wichtiger, ihr Publikum wirklich eng an sich zu binden.
Wie lässt sich das mit Editorial Design erreichen?
Kreative Umsetzung und redaktionelle Inhalte müssen gemeinsam gedacht werden. Sie funktionieren nicht ohneeinander. Es geht darum, den optimalen Ausdruck und die beste Form für die Vermittlung der Inhalte zu finden. Nur seelenlos irgendwelche Templates und Formate zu füllen – das ist für mich »Empty Design«. Das sieht dann zwar aus wie ein Magazin, ist aber eigentlich keins, weil Form und Inhalt nicht aufeinander abgestimmt sind.
Das war doch aber früher auch nicht anders?
Ja, aber heute sind die Ansprüche des Publikums an visuelle Kommunikation viel höher. Durch die digitalen Medien sind die Leserinnen und Leser geübter im Umgang mit gestalterischen
Codes. Sie haben keine Lust mehr, sich Inhalte zuerst mühsam erschließen zu müssen. Hinzu kommt die Herausforderung, dass aufgrund der verschlechterten ökonomischen Rahmenbedingungen in vielen Verlagen immer weniger Menschen immer mehr produzieren. Eine schwierige Situation für Journalisten und Gestalter.
Trotzdem entstehen ja ständig tolle neue Magazine. Was sind für dich herausragende Beispiele?
In »Anxy« geht es um Psychologie und psychische Krankheiten. Dank seines durchdachten Designs nimmt man es gern in die Hand, selbst wenn einen der Themenschwerpunkt vielleicht gar nicht interessiert. Eine spannende Neugründung ist »News Inside« aus den USA, ein Magazin speziell für Häftlinge. Was wieder mal zeigt, dass es keine Zielgruppe gibt, um die sich nicht ein Zeitschriftenkosmos bilden kann. Das kürzlich beim ADC Festival mit dem Willy Fleckhaus Preis ausgezeichnete »Migrant Journal« finde ich herausragend in Gestaltung und Inhalt. Es befasst sich mit dem Metathema Migration und war von Anfang an auf sechs Ausgaben angelegt. Ein Beispiel dafür, dass Magazine heute nicht mehr für die Ewigkeit gegründet werden müssen.
Du warst in New York und hast die ganz Großen der Branche besucht: darunter Gail Bichler (»The New York Times Magazine«), Tom Alberty (»New York Magazine«) oder Kira Pollack (»Vanity Fair«). Was ist ihr Erfolgsrezept?
Da kommt einiges zusammen: Offenheit. Neugierde. Intelligenz. Das Wissen darum, dass die allerbesten Ideen nicht immer von einem selbst kommen müssen. Fähigkeit zur Selbstkritik. Organisationstalent. Menschenführung. Jede neue Aufgabe und Ausgabe gehen sie an, als wäre es die wichtigste ihres Lebens. Gail Bichler sagte: »We treat every issue as if it’s the last magazine on earth.« Diese Leidenschaft gehört unbedingt dazu.
Ist es ironisch oder ein Beweis für die Relevanz von Print, dass Digitalkonzerne wie Airbnb, Facebook oder Netflix jetzt gedruckte Magazine herausgeben und diese als geeignetes Tool für ihre Kommunikation ansehen?
Eher Letzteres. Sogar Buzzfeed brachte im März einmalig eine Printausgabe auf den Markt, weil die Redaktion auch mal etwas Bleibendes schaffen wollte. Hier zeigt sich das Bedürfnis, der Flüchtigkeit des Digitalen etwas entgegenzusetzen. Mit einer Zeitschrift kurz die Zeit anzuhalten, anfassbar zu sein und einen Wert zu schaffen, wie es das Digitale nicht kann. Kira Pollack von »Vanity Fair« erzählte mir, dass Prominente immer unbedingt in die gedruckte Ausgabe wollen. Für die begrenzte Fläche und den begrenzten Umfang eines Magazins ausgewählt worden zu sein, hat offenbar noch immer einen Wert. Man sagt ja oft, dass sich jedes Unternehmen heute als Technologieunternehmen verstehen muss. Ich denke eher, jedes größere Unternehmen ist heute auch zugleich ein Medienunternehmen. Es ist Teil einer größeren Konversation, muss seine Leistungen und seinen Wert für die Gesellschaft offensiv kommunizieren und ständig den Austausch mit Kunden, Teilhabern und Geschäftspartnern suchen. Bei diesem Kommunikationsmix spielen Magazine immer wieder eine überraschend wichtige Rolle.
Demnächst soll die legendäre Zeitschrift »The Face« wiederauferstehen. Ist das nicht reine Nostalgie?
Dass »The Face« wieder aufgelegt wird, bestätigt nur, dass manche Magazinmarken offenbar eine ungebrochene, gemeinschaftsbildende Faszination ausüben. Ich bin sehr gespannt auf die erste Neuausgabe.
Printmagazine sollen aber nicht nur kultig sein, sondern auch Geld einbringen. Wie kann das funktionieren, wenn die Auflagen immer weiter runtergehen?
Ich glaube, sinkende Auflagen sind kein Naturgesetz. Wir müssen uns immer wieder fragen: Ist das, was wir tun, schon gut genug? Versteht der Leser das? Überraschen wir ihn? Nutzen wir die haptischen und ästhetischen Möglichkeiten von Print wirklich voll aus? Sind wir relevant genug? Diese ganz bestimmte Leidenschaft einer Gail Bichler, die immer wieder wirklich alles in eine Ausgabe hineinlegt und sich als Mittler zwischen Inhalt und Leserschaft begreift, ist da ein sehr gutes Vorbild.