Zufluchtsort auf der Suche nach dem Glück
Mit der Romanadaption „Menschen im Hotel“stellen Zinnowitzer Schauspielstudenten ein überzeugendes Gesellenstück vor.
ZINNOWITZ – Draußen braust das wilde Leben, ein ums andere Mal weht die Drehtür jemanden von dort herein. Hier suchen sie trügerische Zuf lucht, die „Menschen im Hotel“in dem gleichnamigen Schauspiel, mit dem Eleven der Theaterakademie Vorpommern nach drei Jahren Studium gewissermaßen ihr Gesellenstück vorstellen. Und zwar ein sehr gelungenes, dessen Premiere am Wochenende in Zinnowitz gehörig Beifall, Jubel und Komplimente einfuhr.
Regisseurin Tatjana Rese hat den Erfolgsroman von Vicki Baum in eine Bühnenfassung verwandelt, die sowohl eine stimmige Ensembleleistung formt als auch Gelegenheit gibt, individuelles Können zu zeigen. Mühelos passt zudem die Geschichte aus den späten 1920er Jahren ins Heute: eine Zeit am Rande des Abgrunds, voll von Menschen, die - seelisch noch mehr als körperlich - gezeichnet sind vom Unheil der Vergangenheit, während schon neues heraufzieht.
Entscheidende Fäden zieht dabei Concierge Senf: Sie kennt das Leben und die Menschen, lässt sich nichts vormachen. Souverän verkörpert Josephine Lehmann die zentrale Rolle, fungiert auch als Kommentarfigur, als Mittler zwischen Romantext und Bühnenhandlung – und singen kann sie! Denn Musik - live am Klavier gespielt von Rufus Gülland, Eleve aus dem 2. Studienjahr, mit bejubelter LeningradCowboy-Frisur - bringt die widersprüchliche Atmosphäre der Zwanziger zum Tragen in Liedern vom Glück.
Glück, nach dem sich die „Menschen im Hotel“sämtlich sehnen, wobei jeder etwas anderes darunter versteht; ohnehin sind sie ihm alle fern. Der unscheinbare Buchhalter Kringelein etwa, eindrucksvoll gespielt von Vincent John, dringt hartnäckig in die ihm bislang verschlossene Welt der Wohlhabenden ein, als der nahende Tod ihm endlich Mut verleiht, sich aufzulehnen. Auch gegen Emporkömmling Preysing (Timothy Gramsch), der als erfolgloser Generaldirektor mächtig unter Druck steht. Als starker Mann fühlen will er sich wenigstens gegenüber der Sekretärin Flämmchen (Friederike Mertin), die ihrerseits viel mehr Kraft besitzt, um ihren Träumen zu folgen.
Ein Rückzugsort vor der schnöden Realität ist das Hotel wiederum für die gealterte Balletteuse Grusinskaja, die am Verblassen ihres Ruhms leidet (Leonie Mann), oder den Arzt Dr. Otternschlag (Milan Zielniok) mit seiner Kriegserfahrung, nach dem niemand fragt und dem niemand zuhören will. Das Leben dank krimineller Energie genießen will der flotte Baron von Gaigern (Lasse Gräntzel), der überraschend echte Gefühle entwickelt - wie es überhaupt gelingt, die Charaktere mit all ihren Deformationen nachvollziehbar, gar sympathisch zu gestalten. Sind sie doch alle auf der Suche nach etwas, was wirklich zählt - und sei es das Geld. Oder sei es der Drang nach einer neuen Macht wie beim Pagen Georgi (Anneke Höper), der diesmal noch flugs in die Grenzen seines Diensteifers zurückverwiesen wird.
Ein glamourös-gediegenes Ambiente kreiert Ausstatter Norbert Bellen mit dreigeteilter Drehbühne im glänzenden Hotelportal. Tatjana Reses Inszenierung erfreut mit gewitzten Details wie Verhandlungen auf Hüpfbällen, einer schwelgerischen Avus-Fahrt oder Kringeleins Verwandlung; vor allem aber mit der Umsetzung eines Romanstoffes in ein sehr heutiges Gesellschaftsporträt und einer wunderbaren Aufgabe für junge Schauspieler, die sich damit nachdrücklich für den weiteren Weg in ihren Traumberuf empfehlen.
Weitere Vorstellungen gibt es am 18. April im Theater Anklam sowie am 13. und 27. Mai in der Blechbüchse Zinnowitz; Kartentelefon 03971 2688800.