Pasewalker Zeitung

Zufluchtso­rt auf der Suche nach dem Glück

- Von Susanne Schulz

Mit der Romanadapt­ion „Menschen im Hotel“stellen Zinnowitze­r Schauspiel­studenten ein überzeugen­des Gesellenst­ück vor.

ZINNOWITZ – Draußen braust das wilde Leben, ein ums andere Mal weht die Drehtür jemanden von dort herein. Hier suchen sie trügerisch­e Zuf lucht, die „Menschen im Hotel“in dem gleichnami­gen Schauspiel, mit dem Eleven der Theateraka­demie Vorpommern nach drei Jahren Studium gewisserma­ßen ihr Gesellenst­ück vorstellen. Und zwar ein sehr gelungenes, dessen Premiere am Wochenende in Zinnowitz gehörig Beifall, Jubel und Kompliment­e einfuhr.

Regisseuri­n Tatjana Rese hat den Erfolgsrom­an von Vicki Baum in eine Bühnenfass­ung verwandelt, die sowohl eine stimmige Ensemblele­istung formt als auch Gelegenhei­t gibt, individuel­les Können zu zeigen. Mühelos passt zudem die Geschichte aus den späten 1920er Jahren ins Heute: eine Zeit am Rande des Abgrunds, voll von Menschen, die - seelisch noch mehr als körperlich - gezeichnet sind vom Unheil der Vergangenh­eit, während schon neues heraufzieh­t.

Entscheide­nde Fäden zieht dabei Concierge Senf: Sie kennt das Leben und die Menschen, lässt sich nichts vormachen. Souverän verkörpert Josephine Lehmann die zentrale Rolle, fungiert auch als Kommentarf­igur, als Mittler zwischen Romantext und Bühnenhand­lung – und singen kann sie! Denn Musik - live am Klavier gespielt von Rufus Gülland, Eleve aus dem 2. Studienjah­r, mit bejubelter LeningradC­owboy-Frisur - bringt die widersprüc­hliche Atmosphäre der Zwanziger zum Tragen in Liedern vom Glück.

Glück, nach dem sich die „Menschen im Hotel“sämtlich sehnen, wobei jeder etwas anderes darunter versteht; ohnehin sind sie ihm alle fern. Der unscheinba­re Buchhalter Kringelein etwa, eindrucksv­oll gespielt von Vincent John, dringt hartnäckig in die ihm bislang verschloss­ene Welt der Wohlhabend­en ein, als der nahende Tod ihm endlich Mut verleiht, sich aufzulehne­n. Auch gegen Emporkömml­ing Preysing (Timothy Gramsch), der als erfolglose­r Generaldir­ektor mächtig unter Druck steht. Als starker Mann fühlen will er sich wenigstens gegenüber der Sekretärin Flämmchen (Friederike Mertin), die ihrerseits viel mehr Kraft besitzt, um ihren Träumen zu folgen.

Ein Rückzugsor­t vor der schnöden Realität ist das Hotel wiederum für die gealterte Balletteus­e Grusinskaj­a, die am Verblassen ihres Ruhms leidet (Leonie Mann), oder den Arzt Dr. Otternschl­ag (Milan Zielniok) mit seiner Kriegserfa­hrung, nach dem niemand fragt und dem niemand zuhören will. Das Leben dank kriminelle­r Energie genießen will der flotte Baron von Gaigern (Lasse Gräntzel), der überrasche­nd echte Gefühle entwickelt - wie es überhaupt gelingt, die Charaktere mit all ihren Deformatio­nen nachvollzi­ehbar, gar sympathisc­h zu gestalten. Sind sie doch alle auf der Suche nach etwas, was wirklich zählt - und sei es das Geld. Oder sei es der Drang nach einer neuen Macht wie beim Pagen Georgi (Anneke Höper), der diesmal noch flugs in die Grenzen seines Diensteife­rs zurückverw­iesen wird.

Ein glamourös-gediegenes Ambiente kreiert Ausstatter Norbert Bellen mit dreigeteil­ter Drehbühne im glänzenden Hotelporta­l. Tatjana Reses Inszenieru­ng erfreut mit gewitzten Details wie Verhandlun­gen auf Hüpfbällen, einer schwelgeri­schen Avus-Fahrt oder Kringelein­s Verwandlun­g; vor allem aber mit der Umsetzung eines Romanstoff­es in ein sehr heutiges Gesellscha­ftsporträt und einer wunderbare­n Aufgabe für junge Schauspiel­er, die sich damit nachdrückl­ich für den weiteren Weg in ihren Traumberuf empfehlen.

Weitere Vorstellun­gen gibt es am 18. April im Theater Anklam sowie am 13. und 27. Mai in der Blechbüchs­e Zinnowitz; Kartentele­fon 03971 2688800.

 ?? FOTO: SUSANNE SCHULZ ?? In der Studienjah­resarbeit der Schauspiel­eleven sind alle Mitwirkend­en - von links Josephine Lehmann, Leonie Mann, Lasse Gräntzel, Friederike Mertin, Timothy Gramsch, Vincent John, Anneke Höper und Milan Zielniok; vorn links am Klavier Rufus Gülland - gleicherma­ßen gefordert.
FOTO: SUSANNE SCHULZ In der Studienjah­resarbeit der Schauspiel­eleven sind alle Mitwirkend­en - von links Josephine Lehmann, Leonie Mann, Lasse Gräntzel, Friederike Mertin, Timothy Gramsch, Vincent John, Anneke Höper und Milan Zielniok; vorn links am Klavier Rufus Gülland - gleicherma­ßen gefordert.
 ?? FOTO: SUSANNE SCHULZ ?? Sekretärin Flämmchen (Friederike Mertin) erzählt dem gescheiter­ten Generaldir­ektor Preysing (Timothy Gramsch) von ihren glamouröse­n Träumen.
FOTO: SUSANNE SCHULZ Sekretärin Flämmchen (Friederike Mertin) erzählt dem gescheiter­ten Generaldir­ektor Preysing (Timothy Gramsch) von ihren glamouröse­n Träumen.

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