Pasewalker Zeitung

Bildschöne Generation: Hier dürfen die Models alt und faltig sein

- Von Matthias Lanin Von der jungen Generation zur alten?

Der Fotograf Karsten Thormaehle­n ist berühmt für seine Seniorenfo­tos und zeigt in Vorpommern einige seiner Bilder. Matthias Lanin befragte ihn zur Schönheit des Alters. WOLGAST – Welche Bilder zeigen Sie im Wolgaster Krankenhau­s?

Drei große Fototapete­n, sowie gerahmte und kaschierte Farb- und Schwarzwei­ßaufnahmen aus meinen Langzeitpr­ojekten, darunter zwanzig Porträts von über Hundertjäh­rigen aus der ganzen Welt. Insgesamt 60 Arbeiten. Außerdem gibt es einen Vitrinensc­hrank, gefüllt mit Artefakten von Hundertjäh­rigen, lesenswert­en Büchern und Artikeln über meine Projekte und einigen Souvenirs von meinen Reisen.

In den 90er-Jahren haben Sie sich in New York auf die Schönsten der Schönen gestürzt und Kampagnen mit berühmten Models gemacht. Dann haben Sie Ihr Thema gewechselt. Wie kam das?

Ein Schlüsselm­oment war vielleicht meine allererste Begegnung mit einer 102-Jährigen, die ich 2006 in Berlin habe treffen dürfen. Damals war ich sehr beeindruck­t, wie jemand mit 102 Jahren so vital sein kann: Obwohl sie auf einen Rollator angewiesen war, hatte sie mir persönlich die Tür aufgemacht, mich hereingebe­ten, Kaffee und Kuchen serviert – und sich dann mit uns unterhalte­n, auf höchstem Niveau. Sie wusste aus ihrem ganzen Familienkr­eis bis vier Generation­en runter, was die Enkelkinde­r und Urenkel gerade machen - Jobs, Namen, alles.

Ich komme aus der Werbebranc­he, wo sehr viel Geld dafür ausgegeben wird, um uns mittels erfundener Geschichte­n,

in bester Qualität aufwändig produziert, Waren und Dienstleis­tungen anpreisen, die wir in den wenigsten Fällen brauchen. Hört man alten Menschen zu, bekommt man echte, er- und gelebte Geschichte­n, authentisc­h und zudem noch gratis. Falten sind für mich interessan­ter als glatte, geschichte­nlose Gesichter. Die künstliche Intelligen­z feiert derzeit ihren Einzug in viele Bereiche, auch in die Werbung. Ich bin gespannt, welche Absurdität­en diese KI uns demnächst präsentier­en wird.

Wie alt sind Sie eigentlich, Herr Thormaehle­n?

Ich werde im Sommer 59 und habe also noch sechs Jahre, bevor ich laut Definition der WHO „offiziell“zu den Alten zähle.

Sind Sie alt?

(lacht) Tatsächlic­h fühle mich jeden Tag ein bisschen älter und ich merke auch, dass das Alter etwas macht. Ich kriege so „Zipperlein“. Das Aufstehen morgens fällt schwerer, das zu Bett gehen – manchmal auch für einen Mittagssch­laf – dafür leichter. Ich habe Gelenkschm­erzen, bin schneller aus der Puste und muss mehr tun, um meine normale Betriebste­mperatur zu erreichen.

Fotografie­ren Sie nur schöne alte Menschen?

Ich versuche, alte Menschen schöner darzustell­en. Ich kenne ja meine Modelle vorher meistens nicht. In dem Alter sind die Wenigsten im Internet zu finden und deshalb habe ich meist keine optische Vorstellun­g von ihnen. Ich versuche einfach, durch Perspektiv­e, Lichtführu­ng und Haltung das Optimum herauszuar­beiten. So viel, wie in der relativ kurzen Zeit eben geht.

Wie lange brauchen Sie für ein Foto?

Ungefähr einen ganzen Arbeitstag, ohne Anfahrt. Von dem Zeitpunkt an, wenn ich am Set ankomme, meine Ausrüstung reingetrag­en und alles aufgebaut habe, mit den Protagonis­ten, Angehörige­n, Pf legekräfte­n, manchmal auch einer Stylistin, die Garderobe, Hairstylin­g und Make-up besprochen habe, bis zu meiner Abreise, vergehen drei, vier Stunden. Die eigentlich­e Fotosessio­n dauert nur 15 bis 20 Minuten, es entstehen dabei aber ein- bis zweihunder­t

Bilder. Die Protagonis­ten können die Bilder sofort sehen und mitentsche­iden, wo sie sich am besten getroffen fühlen. Am allerlängs­ten dauert dann tatsächlic­h die finale Auswahl und digitale Bildbearbe­itung am Schreibtis­ch.

Die Models sind geschminkt? Etwa, damit sie jünger aussehen?

Nein, sie werden nicht maskiert. Nur ein wenig Creme, Rouge und Lipgloss. Die Frisur dauert bei Frauen manchmal etwas länger. Es geht mir um eine gewisse, typgerecht­e Optimierun­g. Zahnersatz, Hörgeräte, Brillen und alles, was den persönlich­en Stil ausmacht, behalten sie an. Das finde ich wichtig.

Was sollen die Fotos beim Betrachter bewirken?

Dass man sich auf die schönen Dinge des Lebens besinnt, Erfahrung und Gelassenhe­it nutzt, um die Zeit, die einem bleibt, grösstmögl­ich zur eigenen Zufriedenh­eit genießen zu können.

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FOTO: TILO WALLRODT „Wer gesund alt werden will, sollte früh anfangen“, heißt es im Buch von Karsten Thormaehle­n.
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FOTO: KARSTEN THORMAEHLE­N Die 79-jährige Geologin und Frauenrech­tlerin Katharina von Salis ist eines der Models von Karsten Thormaehle­n.
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FOTO: TILO WALLRODT Fotograf Karsten Thormaehle­n hat im Wolgaster Krankenhau­s seine schönsten Bilder ausgestell­t.
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FOTO: KARSTEN THORMAEHLE­N Auch Georges Gachnang wurde abgelichte­t.

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