Treffen auf den Spuren der Vorfahren
Was verbindet einen gebürtigen Kolumbianer, der weltweit als Investmentbanker arbeitet, mit Brüssow? Antwort: Die Likörmanufaktur von Apotheker Stephan Becker. Dort war er jetzt zu Besuch.
BRÜSSOW – Die Likörmanufaktur Alrich von Stephan Becker, seine Sammlung antiker Likörf laschen und sein Expertenwissen über die Likörfabriken sind bekannt nicht nur in der Uckermark und der Uecker-Randow-Region, sondern offenbar auch international. Denn der Mann, der bei dem Brüssower Apotheker anrief, war Donald Kantorowicz-Toro aus London.
War da tatsächlich ein Erbe der weltgrößten Likörfabrik Kantorowicz aus Posen am Telefon? Ja, tatsächlich. Donald Kantorowicz-Toro, geboren und aufgewachsen in Kolumbien, Studium an der Wirtschaftsuniversität in Wien und der Sorbonne in Paris, Investmentbanker in London und New York, stammt aus der Familie Kantorowicz aus Posen.
Der 76-Jährige war bei der Recherche zu einem Buch über die Familiengeschichte auf die Internetseite der Alrich Likör-Manufaktur gestoßen. Dort sind die Geschichten der Kräuterlikörfabriken, die es jemals in Deutschland oder seinen Vorgängerstaaten gab, von Stephan Becker zusammengetragen und veröffentlicht worden. Und eben auch die Geschichte der Likörfabrik Kantorowicz in Posen.
Jetzt hat Donald Kantorowicz-Toro die Alrich LikörManufaktur in Brüssow sogar besucht. Die unterschiedlichen Männer kamen schnell ins Gespräch. Becker hat im Verkaufsraum seiner Manufaktur einen Bilderrahmen alleine mit Fotos der weltgrößten Likörfabrik gefüllt. So kann man auf einem Schwarzweiß-Bild eine Probierstube in Berlin, Ecke Friedrichstraße/Dorotheenstraße, bewundern. Wie in Berlin Probierstuben, so errichtete man bei Gewerbe-Ausstellungen kunstvolle Pavillons, die heute noch schöner anmuten als manch neuzeitlicher Bau - alles, um den Likör unter die Leute zu bringen.
Dabei verschickte man weltweit, hatte zwei eigene Zollinspektoren, die nur für die Fabrik zuständig waren, um die Banderolen auf die Flaschen aufzubringen. Ebenso hatte man am Hamburger Hafen einen Laden eingerichtet, um die Naturalien, die aus den deutschen Kolonien eintrafen, gleich gegen Geld zu verkaufen.
Begeistert hörte Donald Kantorowicz den Erzählungen Beckers über die Fabrik seiner Vorfahren zu. Dabei erfuhr er, dass das Unternehmen 1870 schon eigene Werbegrafiker beschäftigte, jeder Likör sein eigenes Flaschenformat hatte und der von Kantorowicz gefertigte Litauer Magenbitter zwischen 1850 und 1900 der weltweit bekannteste Likör war.
Kantorowicz erzählte unterdessen, wie die Familiengeschichte nach dem Verkauf weiterging. So ist er über den spanischen Zweig der Familie mit einer Linie der Hohenzollern verwandt, während sein Vater sich in der Hamburger Zeit mit der Familie Bismarck anfreundete.
Als Stephan Becker schließlich einen Umschlag öffnete, in dem er Bilder und Unterlagen zur Unternehmensund Familiengeschichte
zusammengestellt hatte, und darüber berichteter, war Donald Kantorowicz sehr berührt.
Im Verlauf des Gesprächs wurde klar: Das wird nicht der einzige Besuch von Donald Kantorowicz in Brüssow bleiben. Die beiden Männer haben noch viel vor, und vielleicht entsteht in der Manufaktur der Litauer Magenbitter wieder oder auch der berühmte Reiterlikör, von dem die größte Flasche hinter dem Tresen einen Ehrenplatz in der Sammlung von Stephan Becker hat.