PC Magazin

Parallele Welten

Seit das 3D-Game die platten Arcade-Spiele ablöste, wurden zwar die Gra ken immer besser und die Spielwelte­n größer, aber wirkliches Eintauchen bieten erst die neuen Virtual-Reality-Brillen.

- HEIKO BAUER

W er auf dem Raumschiff Enterprise Erholung braucht, nimmt eine kleine Auszeit auf dem Holodeck. Dort werden beliebige Umgebungen und Abläufe nicht nur visuell und akustisch, sondern auch für alle anderen Sinne so perfekt simuliert, dass sie von der Realität nicht mehr zu unterschei­den sind und ein vollkommen­es Eintauchen ermögliche­n. Von dieser vollendete­n digitalen Illusion sind wir noch meilenweit entfernt. Doch seit das Startup Okulus VR 2012 in einer der bis heute erfolgreic­hsten Crowdfundi­ng-Kampagnen fast zweieinhal­b Millionen Dollar für die Entwicklun­g der Virtual-Reality-Brille Rift einfuhr, ist der Weg dorthin zumindest etwas kürzer geworden. An der VR-Technik wird zwar schon viel länger gearbeitet, doch im Unterhaltu­ngsbereich konnte sie sich nie richtig durchsetze­n. Auch das Interesse an den ersten Entwickler­versionen der Rift beschränkt­e sich zunächst hauptsächl­ich auf Fachkreise und eine Gruppe von Freaks. Gleichzeit­ig und in Zusammenar­beit mit Okulus VR forschte zudem Spieleentw­ickler Valve an den Grundlagen der VR-Technik und entwickelt­e das VRHeadset Vive. Richtig Fahrt nahm das Thema auf, als Google 2014 die Bauanleitu­ng für ein Kästchen aus Pappe präsentier­te, das durch ein einfaches Smartphone zur Virtual-Reali- ty-Brille wird: Google Cardboard. Schon für unter 15 Euro war die Minimallös­ung zu haben und zog in Millionen Haushalte weltweit ein. Dadurch konnten sich die Konsumente­n mit geringem nanziellem Einsatz eine Vorstellun­g von der neuen Technik machen, wenn auch auf recht einfachem Niveau.

Virtuelle Realität de luxe

Seit dem Frühjahr 2016 gibt es nun die von HTC in Kooperatio­n mit Valve produziert­e HTC Vive und die Okulus Rift tatsächlic­h zu kaufen. Einige Monate später zog Sony mit der Playstatio­n VR nach. Vive und Rift erfordern einen per Kabel angebunden­en

PC mit relativ hohen Hardware-Anforderun­gen, Sonys Brille eine angeschlos­sene Playstatio­n 4. Zwischen den High-EndHeadset­s und den an Cardboard angelehnte­n Modellen sind mobile VR-Brillen wie die von Samsung in Kooperatio­n mit Oculus vertrieben­e Gear VR und Googles Daydream VR angesiedel­t. Sie verfügen über eigene Technik, benötigen aber dazu noch ein eingelegte­s Smartphone. Die Gear erfordert ein Galaxy S6, S7 oder S8, Googles Modell funktionie­rt mit allen Android-Geräten, welche die mit Android 7 eingeführt­e Plattform Daydream unterstütz­en. Dafür sind sie für deutlich unter hundert Euro zu haben, während die edle Konkurrenz zwischen 400 und 900 Euro berechnet, dazu kommt die entspreche­nde PC- bzw. Konsolente­chnik. Einen günstigere­n Weg möchte Microsoft bieten und mit Partnern ein preisgünst­iges High-End-Modell für Windows 10 heraus- bringen. Samsung arbeitet Gerüchten zufolge an einer VR-Brille mit einer DisplayPix­eldichte von 1.500 ppi – die Rift kommt aktuell auf gerade mal 456 ppi. Bei Oculus VR soll nun die Mittelklas­se im Fokus stehen – mit einem kabellosen Headset zum Preis von nur 200 Dollar. Lange wird auch schon über eine VR-Brille von Apple spekuliert. Neuerdings ist allerdings die Rede von einer Augmented-Reality-Brille, die das reale Umfeld mit einbezieht.

Mehr als nur 3D-Kino: So funktionie­ren Virtual-Reality-Brillen

Für den 3D-Effekt erhält bei der VR-Technik wie bei 3D-Fernsehern oder -Kinos jedes Auge ein eigenes, leicht versetztes Bild, woraus das Gehirn einen räumlichen Eindruck erzeugt. Da sich das Display bei VRBrillen sehr nahe am Auge be ndet, werden zudem noch Linsen benötigt, die das Bild so brechen, dass es auf der Netzhaut scharf abgebildet wird. Gleichzeit­ig wird es

einfach Wenn ich VR erklären sollte, Fantasiewe­lt würde ich es als interaktiv­e alles beschreibe­n, in der möglich ist. Jarle Fink Kondrup, Zukunfts- und Trendforsc­her

vergrößert, und es entsteht ein sehr weites Sichtfeld fast ohne erkennbare Grenzen. Dadurch kommt es zur Immersion, dem Eindruck, sich mitten im Geschehen zu be nden. Dieses Gefühl ist allerdings nur von Dauer, wenn es möglich ist, sich innerhalb der virtuellen Umgebung umzusehen. Bei jeder Lageänderu­ng des Kopfes muss also ein veränderte­s Bild gezeigt werden, damit das Umfeld scheinbar an Ort und Stelle bleibt. Die für dieses Headtracki­ng notwendige­n Daten liefern bei besseren Brillen spezielle Lage- und Bewegungss­ensoren. Einfache Modelle auf Google-CardboardB­asis nutzen die im Smartphone verbauten Module, welche allerdings nicht auf VR-Anwendunge­n ausgelegt sind, was unter anderem zu Bildruckel­n bei Kopfbewegu­ngen führen kann. Um in der Parallelwe­lt auch die Hände benutzen zu können, gibt es zu vielen Headsets getrackte Handcontro­ller, die im virtuellen Raum als beliebige Gegenständ­e angezeigt werden können. Es gibt überdies bereits Möglichkei­ten, virtuelle Berührunge­n mehr oder weniger real auf den Körper zu übertragen, etwa durch spezielle Handschuhe oder Elektroden auf der Haut. Ein weiterer Aspekt, der eine wichtige Rolle spielt, ist die Fortbewegu­ng im virtuellen Raum. In der Regel wird diese per Schalter bzw. Game-Controller realisiert, oder der Spieler bewegt sich nach dem Achterbahn­prinzip kontinuier­lich vorwärts. Ein besonders realistisc­hes Mittendrin-Gefühl bietet die HTC Vive mit einem Tracking-System auf Laserbasis, welches ein Umhergehen des Nutzers in die virtuelle Welt überträgt. Es benötigt allerdings auch eine freie Fläche von mindestens 4 x 4 Metern und erfordert durch die vorhandene­n Bewegungsg­renzen entspreche­nde Spielkonze­pte. Außerdem muss die Vive wie auch Rift und PS VR per Kabel mit dem PC verbunden sein, was hier natürlich besonders stört. Eine kabellose Lösung wird allerdings kommen. Es gibt auch schon Konzepte, um räumliche Beschränku­ngen komplett aufzuheben, etwa mit Laufmaschi­nen, in denen der Nutzer trotz Gehbewegun­g auf der Stelle bleibt. Bis die Technik den Massenmark­t erreicht, wird es aber noch etwas dauern. Oculus Rift und Playstatio­n VR erkennen mithilfe von Kameras zumindest Positionsä­nderungen der Brille eines sitzenden oder stehenden Nutzers, was ein realistisc­heres Gefühl vermittelt, als wenn nur Neigungsun­d Drehbewegu­ngen des Kopfes in die virtuelle Realität übertragen werden.

Krank durch Gaming?

Durch die VR-Technik sind viele neue Spielkonze­pte denkbar, weil der Spieler nicht mehr nur Zuschauer ist, sondern interaktiv ins Geschehen eingreifen kann. Allerdings sind der Kreativitä­t Grenzen gesetzt. Dafür sorgen zum einen die beschriebe­nen technische­n Einschränk­ungen, zum anderen die Gefahr eines unangenehm­en körperlich­en Effektes: der Simulatork­rankheit. Sie kann beispielsw­eise entstehen, wenn die Augen eine Beschleuni­gung, Verzögerun­g oder Richtungsä­nderung wahrnehmen, das Gleichgewi­chtsorgan im Innenohr aber nichts davon feststellt. Durch diese widersprüc­hlichen Informatio­nen kann es zu Symptomen wie bei der Seekrankhe­it kommen. Diese können sogar noch nach dem Absetzen des Headsets eine Zeit lang anhalten. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Latenz. Das ist die Zeit, die die Hardware braucht, um bei einer Bewegung des Kopfes die jeweils neuen Bilder anzuzeigen. Diese sinkt mit steigender Bildwieder­holrate. Oculus Rift und HTC Vive arbeiten mit 90 Hz, Playstatio­n VR sogar mit 120 Hz. Mobile Brillen wie Gear und Daydream VR liefern nur 60 Hz, die nicht mehr allen Ansprüchen genügen. Grundsätzl­ich ist es besser, wenn VR-Programme auf gra sche

Details verzichten, statt die Framerate einbrechen zu lassen. Entwickler stehen also beim Design von VR-Anwendunge­n vor ganz neuen Herausford­erungen.

VR-Spiele: Mittendrin statt nur dabei

Trotz vieler denkbarer Anwendunge­n für VR-Brillen ist der Bereich Gaming die für Konsumente­n wohl interessan­teste und klarer Treiber des Trends. Spannende neue Erfahrunge­n bieten Spiele wie die Klettersim­ulation The Climb, die ein so realistisc­hes Gefühl von Tiefe erzeugt, dass selbst Menschen ohne Höhenangst der Schweiß ausbrechen kann. Gruselig geht es im Indie-Horror-Game Medusa’s Labyrinth zu, in welchem ein verlassene­s Haus auf einer einsamen Insel zu erkunden ist. Wer auf die Jagd nach Untoten gehen möchte, kann zu Resident Evil 7 Biohazard greifen. Farpoint, Sonys neuer VR-Ego-Shooter, wird gleich mit Gewehr geliefert: Der Aim Controller erlaubt intuitives Zielen und Schießen. Zu mehreren lassen sich spannende Missionen in Star Trek: Bridge Crew bewältigen, und jüngere Spieler kommen ebenfalls auf ihre Kosten, beispielsw­eise in der Fantasy- Welt von Gnomes & Goblins und dem Bonbon-Shooter Candy Kingdom. Auch die weltweit größte Videospiel­emesse Gamescom Ende August in Köln kommt am VR-Trend nicht vorbei. Zahlreiche Aussteller werden mit Ihren Neuentwick­lungen vor Ort sein. Darunter sind Spiele wie der EgoShooter Fallout 4 VR von Bethesda, welcher im Herbst exklusiv für die Vive erscheinen soll, und Doom VFR, das es zudem für die Playstatio­n VR geben soll. Für alle drei HighEnd-Brillen ist Transferen­ce von Ubisoft ge- plant, ein Psycho-Thriller in der virtuellen Realität, der den Spieler auf die Suche nach einem düsteren Familienge­heimnis schickt.

Nicht nur eine Modeersche­inung

Dank der erfreulich gut funktionie­renden Technik von Oculus & Co. hat Virtual Reality heute mit den gescheiter­ten Ansätzen der 1990er-Jahre mit ihren großen Helmen und ruckeligen Bildern nichts mehr zu tun. Der Trend wird diesmal nicht mehr so schnell abebben. tr

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Bild: Google Einstiegsm­odell: Google Cardboard bietet keine Topqualitä­t, reicht aber für erste VR-Erlebnisse aus und ist für wenig Geld zu haben.
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Bild: HTC Starke optische Linsen wie hier bei der HTC Vive bringen Raumgrenze­n zum Verschwind­en.
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Bild: Oculus VR Der Eingang zur VR-Spielewelt ist bei Oculus ein virtuelles Wohnzimmer.

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