Direktimport aus China
500 Euro für ein Mittelklasse-Smartphone oder 800 Euro für ein Topmodell der Samsung-Galaxy-S-Klasse sind zu viel? Chinesische Hersteller zeigen, dass vergleichbare Qualität auch deutlich günstiger möglich ist.
X iaomi – gesprochen: „schomi“( www. mi.com) – gilt als Senkrechtstarter auf dem chinesischen Smartphonemarkt und ist in seinem Heimatland seit ein paar Jahren für High-End-Smartphones zu günstigen Preisen bekannt. In Europa sind die Geräte, wie auch die vieler anderer chinesischer Hersteller, bis jetzt nur über Importhändler erhältlich. Und diese sind auch das einzige wirkliche Problem beim Kauf chinesischer Hardware. Während die großen China-Importeure Gearbest, Honorbuy, Banggood, Trading Shenzhen oder Efox absolut seriös nach europäischen Standards arbeiten, tummeln sich auch schwarze Schafe auf dem Markt, deren Webaufritt auf den ersten Blick von zuverlässigen Händlern kaum zu unterscheiden ist. Bezahlen sollte man immer mit PayPal, da hier im Notfall der Käuferschutz weiterhilft. Ein weiteres Kriterium ist ein europäisches Auslieferungslager bei großen Händlern. Dies verringert nicht nur die Lieferzeit auf wenige Tage gegenüber dem chinesischen Standardversand von etwa 20–40 Tagen, sondern bietet auch in den meisten Fällen einen europäischen Ansprechpartner bei Versandfragen und eventuellen Rücksendungen, die von Deutschland nach China teuer sind, wogegen der umgekehrte Weg den Händler nur ein paar Cent kostet. Bei Shops ohne EU-Lager emp ehlt sich eine Bestellung per DHL-Express, die für ein paar Euro mehr auch ein Paket direkt aus Shenzhen in etwa einer Woche nach Deutschland bringen und dazu im Gegensatz zu chinesischen Billigspeditionen eine Sendungsverfolgung online anbieten. Die größte Verkaufsplattform weltweit ist AliExpress aus China, die inzwischen
auch eine deutschsprachige Webseite de.aliexpress.com betreibt. Ähnlich wie bei ebay oder Amazon kann hier jeder Produkte zum Verkauf anbieten. Durch ein eigenes Bezahlsystem und verschiedene Überprüfungsmechanismen versucht die Alibaba Group Holding Limited, der Betreiber der Plattform, Betrüger fernzuhalten. Ähnlich wie bei ebay sollte man auch hier darauf achten, auf Elektronik spezialisierte Händler zu wählen. Bei Shops, die neben Smartphones auch Kleidung oder Schmuck anbieten, ist an der Seriosität eher zu zweifeln. Da das Angebot an China-Handys nicht gerade übersichtlich ist, sollte man vor dem Kauf kurz googeln, ob ein günstig angebotenes Gerätemodell tatsächlich existiert. Auch erhebliche Preisunterschiede gegenüber dem durchschnittlichen Verkaufspreis des gleichen Geräts in anderen Shops lassen Zweifel aufkommen. Fordert ein Händler auf, den Kaufpreis am AliPayBezahlsystem vorbei, direkt zu überweisen, wählen Sie besser einen anderen Händler.
Worauf sollte man achten?
Die Vielzahl chinesischer Smartphones und deren technische Ausstattung ist verglichen mit der schmalen Auswahl in deutschen Elektronikmärkten nicht gerade übersichtlich. Xiaomi, der nach einem Deal mit Nokia in Bezug auf wichtige Patente voraussichtlich bald in europäischen Läden auftaucht, orientiert sich in Sachen Ausstattung und Namensgebung am großen Vorbild Samsung. Die Flaggschiffe der Mi-Serie liegen meist technisch etwas über dem Samsung-Flaggschiff des Vorjahres. So kann das aktuelle Xiaomi Mi6 von 2017 gut mit dem Samsung Galaxy S7 aus dem Jahr 2016 mithalten. In der Mi-Note-Serie bietet Xiaomi analog zu den Galaxy-NoteModellen Phablets mit besonders großen Bildschirmen an. Die Redmi-Reihe stellt die kostengünstige Mittelklasse dar, vergleichbar mit der Samsung-Galaxy-A-Serie. Wie bei den bekannten Geräten sind auch bei China-Handys Prozessorleistung, RAM, interner Speicher, Bildschirm und Kamera die wichtigsten technischen Merkmale, auf die man beim Kauf achten sollte. Die meisten Smartphones der chinesischen Oberklasse verwenden aktuelle Snapdragon-Prozessoren, die auch die großen Markenhersteller nutzen. Mit 4 oder 6 GB RAM ist der Arbeitsspeicher überall ausreichend bemessen. Zum Vergleich: Selbst das aktuelle Samsung Galaxy S8 hat nur 4 GB RAM. Da Speicherbausteine in China billig sind, liegen die meisten Topmodelle
mit 64 oder gar 128 GB internem Speicher über dem in Europa üblichen Durchschnitt. Bei diesen Speichergrößen kann man auf eine microSD-Karte verzichten. Die typische FullHD-Bildschirmau ösung 1.920 x 1.080, die selbst chinesische Mittelklassemodelle bieten, entspricht der von bekannten Oberklasse-Smartphones, kommt aber nicht an die extrem hohen Au ösungen des Samsung Galaxy S7 und S8 oder der aktuellen Google-Pixel-Serie heran. Dual-SIM-Technik, um Tarifvorteile zweier SIM-Karten zu kombinieren, ist bei chinesischen Smartphones weitgehend Standard, auch ein Grund, warum kein Mobilfunkprovider in Europa solche Geräte in sein Sortiment aufnimmt. Die meisten Modelle unterstützen LTE, aber leider fehlt bei einigen das in Deutschland besonders im ländlichen Raum weitverbreitete 800-MHz-Band, auch als LTE-Band 20 bezeichnet.
Android-Benutzerober ächen
Android bietet weitgehende Freiheiten für Gerätehersteller und Softwareentwickler, eigene Benutzerober ächen zu gestalten. Nur wenige Hersteller installieren ein unverändertes Android vor, die meisten verändern zumindest die Symbole der wichtigsten Apps und ein paar Kleinigkeiten beim Startbildschirm und bei den Einstel- lungen, was sich aber oft durch Installation des Google Now Launchers aus dem Play Store zurücksetzen lässt. Huawei, ZUK oder LeEco liefern mit EMUI, ZUI und EUI stark angepasste Android-Ober ächen und vielfach auch einiges an vorinstallierter Bloatware mit, die sich nicht immer entfernen lässt. Sollte eine Deinstallation der über üssigen Apps nicht möglich sein, nehmen Sie ihnen in den Einstellungen unter Apps die Berechtigung für Benachrichtigungen weg, was seit Android 6 problemlos möglich ist. Dann stört die Bloatware wenigstens nicht mehr. Bei vielen chinesischen Android-Launchern fehlt der typische Button für die Liste aller Apps. Diese werden auf mehreren Startbildschirmseiten angezeigt, können dafür frei angeordnet und in vielen Fällen auch in Ordner einsortiert werden. OnePlus setzt dagegen mit seinem Oxygen OS auf eine möglichst unverfälschte Android-Ober äche, die aber um Zusatzfunktionen zur freien Belegung von Tasten, Gestensteuerung, Einschränkung von AppBerechtigungen sowie einen systemweit nutzbaren Equalizer erweitert ist. Xiaomi nimmt mit seiner Android-Variante MIUI die größten Veränderungen gegenüber dem von Google vorgegebenen Standard vor. Über Themen ist die Ober äche vielfältig personalisierbar. Einige nützliche Funk- tionen, die im Standard-Android fehlen, sind bereits vorinstalliert, wie unter anderem ein Dateimanager, eine einfache Textverarbeitung, Kompass, QR-Code-Scanner, Notizblock und System-App, die grundlegende Systemchecks, Speicherbereinigung und einen Virenscanner bietet. Über Touchund Tastengesten lässt sich die Ober äche an persönliche Gewohnheiten anpassen. Wie auch OxgenOS verwendet MIUI die SwiftKey-Tastatur mit lernfähiger Autokorrektur, intelligenter Textvorhersage und Spezialtasten zur Positionierung des Cursors im Text. Der neuartige Second Space verhält sich wie ein zweites Handy. So kann man private von geschäftlichen Daten trennen oder das Smartphone zeitweise einem anderen Benutzer zur Verfügung stellen, ohne dass Einstellungen oder private Daten in den jeweils anderen Bereich kommen. MIUI hat wegen seiner Funktionsvielfalt und Anpassbarkeit besonders in Asien so große Beliebtheit erlangt, dass Xiaomi bei en.miui.com dieses System auch für Smartphones anderer Hersteller zum Download anbietet. Für nicht unterstützte Geräte gibt es zumindest den MiHome Launcher als App. Fazit: Viele China-Smartphones sind bei gleicher Leistung preisgünstige Alternativen zu den teuren Marktführern. whs