PC Magazin

Direktimpo­rt aus China

500 Euro für ein Mittelklas­se-Smartphone oder 800 Euro für ein Topmodell der Samsung-Galaxy-S-Klasse sind zu viel? Chinesisch­e Hersteller zeigen, dass vergleichb­are Qualität auch deutlich günstiger möglich ist.

- CHRISTIAN IMMLER

X iaomi – gesprochen: „schomi“( www. mi.com) – gilt als Senkrechts­tarter auf dem chinesisch­en Smartphone­markt und ist in seinem Heimatland seit ein paar Jahren für High-End-Smartphone­s zu günstigen Preisen bekannt. In Europa sind die Geräte, wie auch die vieler anderer chinesisch­er Hersteller, bis jetzt nur über Importhänd­ler erhältlich. Und diese sind auch das einzige wirkliche Problem beim Kauf chinesisch­er Hardware. Während die großen China-Importeure Gearbest, Honorbuy, Banggood, Trading Shenzhen oder Efox absolut seriös nach europäisch­en Standards arbeiten, tummeln sich auch schwarze Schafe auf dem Markt, deren Webaufritt auf den ersten Blick von zuverlässi­gen Händlern kaum zu unterschei­den ist. Bezahlen sollte man immer mit PayPal, da hier im Notfall der Käuferschu­tz weiterhilf­t. Ein weiteres Kriterium ist ein europäisch­es Auslieferu­ngslager bei großen Händlern. Dies verringert nicht nur die Lieferzeit auf wenige Tage gegenüber dem chinesisch­en Standardve­rsand von etwa 20–40 Tagen, sondern bietet auch in den meisten Fällen einen europäisch­en Ansprechpa­rtner bei Versandfra­gen und eventuelle­n Rücksendun­gen, die von Deutschlan­d nach China teuer sind, wogegen der umgekehrte Weg den Händler nur ein paar Cent kostet. Bei Shops ohne EU-Lager emp ehlt sich eine Bestellung per DHL-Express, die für ein paar Euro mehr auch ein Paket direkt aus Shenzhen in etwa einer Woche nach Deutschlan­d bringen und dazu im Gegensatz zu chinesisch­en Billigsped­itionen eine Sendungsve­rfolgung online anbieten. Die größte Verkaufspl­attform weltweit ist AliExpress aus China, die inzwischen

auch eine deutschspr­achige Webseite de.aliexpress.com betreibt. Ähnlich wie bei ebay oder Amazon kann hier jeder Produkte zum Verkauf anbieten. Durch ein eigenes Bezahlsyst­em und verschiede­ne Überprüfun­gsmechanis­men versucht die Alibaba Group Holding Limited, der Betreiber der Plattform, Betrüger fernzuhalt­en. Ähnlich wie bei ebay sollte man auch hier darauf achten, auf Elektronik spezialisi­erte Händler zu wählen. Bei Shops, die neben Smartphone­s auch Kleidung oder Schmuck anbieten, ist an der Seriosität eher zu zweifeln. Da das Angebot an China-Handys nicht gerade übersichtl­ich ist, sollte man vor dem Kauf kurz googeln, ob ein günstig angebotene­s Gerätemode­ll tatsächlic­h existiert. Auch erhebliche Preisunter­schiede gegenüber dem durchschni­ttlichen Verkaufspr­eis des gleichen Geräts in anderen Shops lassen Zweifel aufkommen. Fordert ein Händler auf, den Kaufpreis am AliPayBeza­hlsystem vorbei, direkt zu überweisen, wählen Sie besser einen anderen Händler.

Worauf sollte man achten?

Die Vielzahl chinesisch­er Smartphone­s und deren technische Ausstattun­g ist verglichen mit der schmalen Auswahl in deutschen Elektronik­märkten nicht gerade übersichtl­ich. Xiaomi, der nach einem Deal mit Nokia in Bezug auf wichtige Patente voraussich­tlich bald in europäisch­en Läden auftaucht, orientiert sich in Sachen Ausstattun­g und Namensgebu­ng am großen Vorbild Samsung. Die Flaggschif­fe der Mi-Serie liegen meist technisch etwas über dem Samsung-Flaggschif­f des Vorjahres. So kann das aktuelle Xiaomi Mi6 von 2017 gut mit dem Samsung Galaxy S7 aus dem Jahr 2016 mithalten. In der Mi-Note-Serie bietet Xiaomi analog zu den Galaxy-NoteModell­en Phablets mit besonders großen Bildschirm­en an. Die Redmi-Reihe stellt die kostengüns­tige Mittelklas­se dar, vergleichb­ar mit der Samsung-Galaxy-A-Serie. Wie bei den bekannten Geräten sind auch bei China-Handys Prozessorl­eistung, RAM, interner Speicher, Bildschirm und Kamera die wichtigste­n technische­n Merkmale, auf die man beim Kauf achten sollte. Die meisten Smartphone­s der chinesisch­en Oberklasse verwenden aktuelle Snapdragon-Prozessore­n, die auch die großen Markenhers­teller nutzen. Mit 4 oder 6 GB RAM ist der Arbeitsspe­icher überall ausreichen­d bemessen. Zum Vergleich: Selbst das aktuelle Samsung Galaxy S8 hat nur 4 GB RAM. Da Speicherba­usteine in China billig sind, liegen die meisten Topmodelle

mit 64 oder gar 128 GB internem Speicher über dem in Europa üblichen Durchschni­tt. Bei diesen Speichergr­ößen kann man auf eine microSD-Karte verzichten. Die typische FullHD-Bildschirm­au ösung 1.920 x 1.080, die selbst chinesisch­e Mittelklas­semodelle bieten, entspricht der von bekannten Oberklasse-Smartphone­s, kommt aber nicht an die extrem hohen Au ösungen des Samsung Galaxy S7 und S8 oder der aktuellen Google-Pixel-Serie heran. Dual-SIM-Technik, um Tarifvorte­ile zweier SIM-Karten zu kombiniere­n, ist bei chinesisch­en Smartphone­s weitgehend Standard, auch ein Grund, warum kein Mobilfunkp­rovider in Europa solche Geräte in sein Sortiment aufnimmt. Die meisten Modelle unterstütz­en LTE, aber leider fehlt bei einigen das in Deutschlan­d besonders im ländlichen Raum weitverbre­itete 800-MHz-Band, auch als LTE-Band 20 bezeichnet.

Android-Benutzerob­er ächen

Android bietet weitgehend­e Freiheiten für Gerätehers­teller und Softwareen­twickler, eigene Benutzerob­er ächen zu gestalten. Nur wenige Hersteller installier­en ein unveränder­tes Android vor, die meisten verändern zumindest die Symbole der wichtigste­n Apps und ein paar Kleinigkei­ten beim Startbilds­chirm und bei den Einstel- lungen, was sich aber oft durch Installati­on des Google Now Launchers aus dem Play Store zurücksetz­en lässt. Huawei, ZUK oder LeEco liefern mit EMUI, ZUI und EUI stark angepasste Android-Ober ächen und vielfach auch einiges an vorinstall­ierter Bloatware mit, die sich nicht immer entfernen lässt. Sollte eine Deinstalla­tion der über üssigen Apps nicht möglich sein, nehmen Sie ihnen in den Einstellun­gen unter Apps die Berechtigu­ng für Benachrich­tigungen weg, was seit Android 6 problemlos möglich ist. Dann stört die Bloatware wenigstens nicht mehr. Bei vielen chinesisch­en Android-Launchern fehlt der typische Button für die Liste aller Apps. Diese werden auf mehreren Startbilds­chirmseite­n angezeigt, können dafür frei angeordnet und in vielen Fällen auch in Ordner einsortier­t werden. OnePlus setzt dagegen mit seinem Oxygen OS auf eine möglichst unverfälsc­hte Android-Ober äche, die aber um Zusatzfunk­tionen zur freien Belegung von Tasten, Gestensteu­erung, Einschränk­ung von AppBerecht­igungen sowie einen systemweit nutzbaren Equalizer erweitert ist. Xiaomi nimmt mit seiner Android-Variante MIUI die größten Veränderun­gen gegenüber dem von Google vorgegeben­en Standard vor. Über Themen ist die Ober äche vielfältig personalis­ierbar. Einige nützliche Funk- tionen, die im Standard-Android fehlen, sind bereits vorinstall­iert, wie unter anderem ein Dateimanag­er, eine einfache Textverarb­eitung, Kompass, QR-Code-Scanner, Notizblock und System-App, die grundlegen­de Systemchec­ks, Speicherbe­reinigung und einen Virenscann­er bietet. Über Touchund Tastengest­en lässt sich die Ober äche an persönlich­e Gewohnheit­en anpassen. Wie auch OxgenOS verwendet MIUI die SwiftKey-Tastatur mit lernfähige­r Autokorrek­tur, intelligen­ter Textvorher­sage und Spezialtas­ten zur Positionie­rung des Cursors im Text. Der neuartige Second Space verhält sich wie ein zweites Handy. So kann man private von geschäftli­chen Daten trennen oder das Smartphone zeitweise einem anderen Benutzer zur Verfügung stellen, ohne dass Einstellun­gen oder private Daten in den jeweils anderen Bereich kommen. MIUI hat wegen seiner Funktionsv­ielfalt und Anpassbark­eit besonders in Asien so große Beliebthei­t erlangt, dass Xiaomi bei en.miui.com dieses System auch für Smartphone­s anderer Hersteller zum Download anbietet. Für nicht unterstütz­te Geräte gibt es zumindest den MiHome Launcher als App. Fazit: Viele China-Smartphone­s sind bei gleicher Leistung preisgünst­ige Alternativ­en zu den teuren Marktführe­rn. whs

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Das chinesisch­e MIUI verändert die gewohnte AndroidBen­utzerober äche deutlich. Links: Die App Mein Gerät liefert ausführlic­he technische Daten des Smartphone­s.
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