Schluss mit Internetnervereien
Im Internet herrscht nach wie vor eine Gratis- Mentalität, auch deshalb wird Onlinewerbung immer aufdringlicher. Unterdrücken allein hilft nicht, dann sind gute Webinhalte bald weg. Ein Blick hinter die Kulissen.
Onlinewerbung wird immer aufdringlicher. Unterdrücken allein hilft nicht
WERBUNG IM INTERNET kann manchmal richtig nerven. Da werden Teile von Bildern durch Einblendungen überlagert, da möchte man auf einen Link klicken, doch just in dem Augenblick fährt eine Werbung darüber. Oder der Blick auf das eigentlich Gesuchte wird grundsätzlich erst nach einer bestimmten Zeitspanne freigegeben. Das kann nerven, manchmal zugegebenermaßen auch auf PCWELT.de. „Warum machen die das?“, mag sich da mancher fragen. Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie einleuchtend: Weil sie Geld einnehmen müssen, um die angebotenen Inhalte kostenfrei zur Verfügung stellen zu können. Das gilt sowohl für redaktionelle Webseiten als auch für andere Dienstleistungen im Netz, trifft im Prinzip jedoch auch auf kostenlose Software zu. Denn obwohl in vielen Freewaretools eine PaypalOption zum Spenden an die Entwickler existiert, kommt nur ein Bruchteil der Benutzer dieser Aufforderung auch nach. In der Folge greifen die Programmierer dann als Notbehelf zu Huckepacksoftware, bei der dem Anwender über Optionen wie „Empfohlen“oder „Einfache Installation“unwissentlich weitere Utilities untergeschoben werden. Dass die Anbieter dieser meist unerwünschten Tools
„Wirklich gratis ist im Web nur wenig: Den Preis zahlt man mit persönlichen Daten und nerviger Werbung.“
den Urheber des eigentlichen Programms bezahlen, versteht sich von selbst. Aber was soll der denn ansonsten machen, wenn er sein Programm gratis zur Verfügung stellt, weiterentwickelt und sogar noch Support leistet?
Der Spagat zwischen Tracking, Werbung und Gratis-Mentalität
In diesem Ratgeber erklären wir einerseits, wie Sie sich gegen die schlimmsten Auswüchse der Nervereien, Werbung und Tracking im Web zur Wehr setzen können, und beleuchten andererseits auch die wirtschaftlichen Hintergründe der aktuellen Entwicklungen. Denn genauso wenig wie ein xbeliebiges Geschäft seine Waren verschenkt, ist dies ohne Gegenleistung online möglich – schließlich muss das Geld für das Erstellen einer Leistung ja irgendwie aufgebracht und erwirtschaftet werden. „Für ein Web ohne nervige Werbung!“versprechen die Anbieter des erfolgreichen Werbeblockers Adblock Plus. Installiert als BrowserAddon unterbindet die Anwendung am PC „unerwünschte“Einblendungen. Für Android sowie iOS existieren spezielle BrowserApps, die das Mobilgerät werbefrei halten sollen. So weit, so gut, doch die Firma hinter Adblock Plus steckt – Ironie der Geschichte – im gleichen Dilemma: Sie muss Geld einnehmen. Aus diesem Grund können sich Firmen mit „akzeptabler Werbung“in eine Ausnahmeliste aufnehmen lassen, um auf ihren Webseiten doch wieder Werbung auszuspielen. Dass die Unternehmen für diesen „Filter“bezahlen, gibt die AdblockFirma Eyeo GmbH auch unumwunden zu: „Jedoch fordert die kontinuierliche Betreuung dieser Listen erheblichen Aufwand unsererseits und diese Aufgabe kann nicht vollständig von Freiwilligen übernommen werden…“, heißt es dort ( www.pcwelt.de/ZpcXEu). Kritiker sprechen angesichts der Marktmacht von Adblock Plus von digitaler Schutzgelderpressung. Selbst die ganz großen Firmen der ITBranche wie etwa Amazon, Ebay, Google und Microsoft kaufen sich in die Whitelist ein und können so ihre Werbung ausspielen. Nach einer Untersuchung USamerikanischer Forscher finden sich mehr als 3500 Domains in der Filterliste des Unternehmens ( www.pcwelt.de/yokV4c). Allerdings wird dabei längst nicht nur „wenig aufdringliche“Werbung durchgeleitet. Denn trotz aktiviertem Adblock Plus bekommt man über geparkte und zwischenzeitlich anderweitig genutzte Domains unter anderem auch Anzeigen für Porno und Gewinnspielwebseiten angezeigt, wie der Technikblog Mobilgeeks dokumentiert ( www.pcwelt.de/M79HXy) – so viel also zum Anspruch „für ein Web ohne nervige Werbung“.
Medienbranche und Adblock Plus kämpfen mit harten Bandagen
Besonders Verlagen und Fernsehsendern sind diese Geschäftspraktiken ein Dorn im Auge. Sie versuchen daher, juristisch gegen Adblock Plus vorzugehen, handelten sich vor Gericht bisher jedoch Niederlagen ein. Am Landgericht Hamburg urteilten die Richter 2015, dass Werbeblocker für Internetbrowser keine wettbewerbswidrige Behinderung von Onlineangeboten darstellen, die sich durch geblockte Werbung finanzieren – weitere Klagen laufen. Weil also rechtlich nichts daran auszusetzen war, sperrt der Hamburger SpringerVerlag Benutzer von Adblock Plus seit dem vergangenen Herbst vom Onlineportal Bild.de aus. Anstatt neuestem Klatsch ist nur noch der Hinweis „Mit aktiviertem Adblocker können Sie Bild.de nicht mehr besuchen“zu lesen, gefolgt von einer Anleitung zum Deaktivieren von Adblock Plus. Zumindest die Bild.deLeser mit eingeschaltetem Adblocker dürften genervt sein. Das gleiche Ergebnis sehen FirefoxUser, die mit der aktuellen Browserversion im privaten Modus unterwegs sind. Der im November erschienene Firefox 42 beinhaltet einen TrackingSchutz gegen das Datensammeln, der in der Praxis teilweise auch Werbung blockiert. Kurze Zeit nach Bild.de zog Gruner und Jahr nach: „Das Angebot von Geo.de wird mit Werbung finanziert. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass unsere Artikel bei aktiviertem Werbefilter nicht kostenfrei zugänglich sind“, heißt es auf der GeoWebseite. Alternativ zum Abschalten des Adblockers bekommt der Internetnutzer die OnlineInhalte über den Kauf eines Tages oder Wochenzugangs für knapp einen respektive knapp fünf Euro wieder zu Gesicht. Gekämpft wird also mit harten Bandagen, und zwar auf beiden Seiten. Denn Springer hat seinerseits einen Youtuber abgemahnt, der auf der Videoplattform erklärte, wie sich die Anzeigensperre von Bild.de umgehen lässt. Als positiver Nebeneffekt dieser Auseinandersetzung könnte beim Leser mehr Verständnis beziehungsweise die Erkenntnis reifen, dass qualitativ hochwertige Webinhalte und Software eben „nicht aus dem Paradies“kommen, sondern langfristig finanziert sein müssen. Ansonsten gibt es sie irgendwann nicht mehr.
Internet-Tracking durch Cookies, IP-Adressen und Fingerprinting
Werbeanzeigen stellen im Internet also eine harte Währung dar. Je gezielter sie auf den Benutzer passen, desto mehr sind sie wert. Dazu werden seit ehedem vom Browser Cookies eingesetzt und an die gerade aufgerufene Webseite geschickt, die den Rechner und damit meist eine Person wiedererkennen. Weil in den Cookies auch die bereits besuchten Webseiten aufgelistet sind, weiß der Seitenbetreiber recht genau, wofür sich eine Person interessiert, und präsentiert dieser dazu passende Werbung. Da sich Cookies jedoch leicht deaktivieren lassen und immer mehr PCAnwender ein VPNProgramm zum Verschleiern der eigenen IPAdresse einsetzen, verwenden die Vermarkter zunehmend ausgefeiltere Techniken für die Wiedererkennung. Dazu zählt auch das Fingerprinting, also ein eindeutiger Fingerabdruck. Im Hintergrund eingebettete CanvasElemente erzeugen mittels Javascript Grafikmuster, die sich bei jedem benutzten PC und Browser geringfügig unterscheiden. Mit bloßem Auge sind die Abweichungen zwar nicht erkennbar, umgewandelt in eine systemspezifische DatenURL oder einen HashWert allerdings schon. Auf diese Weise lässt sich ein PC ziemlich gut identifizieren, selbst wenn die Cookies deaktiviert sind und die IPAdresse verschleiert wird. Mehr über die Hintergründe zu den Fingerprints und – jenseits des radikalen Abschaltens von Javascript im Browser – zu differenziertem Schutz mitsamt den richtigen Tools haben wir für Sie in unserem Onlineratgeber ( www.pc welt.de/2004702) zusammengestellt.
Affiliate-Marketing und Google als Gatekeeper ins Internet
Was bleibt Webseitenbetreibern jenseits von Werbung und Bezahlschranken (Paywall), um ihre Inhalte zu monetarisieren? Eine zunehmend wichtige Einnahmequelle für Blogger und journalistische Webinhalte ist das sogenannte Affiliate-Marketing. Das bedeutet, dass eine Webseite (mit)verdient, sobald ein Kunde über einen Produkt-Link etwas in einem Onlineshop kauft. Konkret: Wenn PC-WELT.de ein Gerät testet und dazu einen Link zu Amazon setzt, erhält der Verlag im Falle eines Kaufs auf diese Weise eine Provision. So lange dabei die Unabhängigkeit der redaktionellen Inhalte gewahrt bleibt, ist das nicht nur unbedenklich, es stellt sogar eine Hilfe für die Leser dar. Warum sollten Sie sich – wie bei IT und anderer Elektronik üblich – unter etlichen Produktvarianten das Richtige heraussuchen müssen? Nervig werden solche AffiliateLinks immer dann, wenn sie getreu dem Motto „Kauf das jetzt!“im Vordergrund stehen. Erfolgreiches Affiliate-Marketing steht und fällt mit dem Vertrauen in die redaktionellen Inhalte und der Verlinkung auf Shops, die gute Preise und guten Service bieten. Dass sich besonders für Google als InternetGatekeeper wie auch durch die vielfältige Benutzung mobiler Geräte noch weitergehende Möglichkeiten zur Überwachung ergeben, wird vor allem in der Zukunft Auswirkungen zeigen. Noch nervt das nicht wirklich, vieles erscheint sogar als „praktischer Service“. Doch die Unternehmen sammeln auf diese Weise eine Vielzahl persönlicher Informationen, die sie natürlich vermarkten wollen. Manch einer wird sich später noch wundern, was über ihn gespeichert wurde und welche Schlüsse daraus folgen.
Smartphones, Assistenten und Tracker: Lästig oder nützlich?
Apple hat vor Jahren mit seinem Speech Interpretation and Recognition Interface – besser bekannt als „Siri“– den Anfang gemacht, inzwischen setzen auch Google und Microsoft solche persönlichen Assistenten auf dem PC sowie auf mobilen Geräten ein. Siri, Cortana und Google Now sind aber weit mehr als hilfreiche Sprachassistenten, sie analysieren auch unsere Nachrichten, Termine, Kontakte und Adressen, den Such- und Browserverlauf, den Aufenthaltsort und vieles mehr. In Kombination mit zusätzlichen, insbesondere durch das Internet of Things erhobenen Daten lassen sich durch mathematische Analysen weitreichende Vorhersagen machen: Die Aufforderung, unter Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage bitte pünktlich zum nächsten Termin am Ort x loszufahren, ist ein praktisches und gern zitiertes Beispiel dafür. Ja, das ist durchaus nützlich, doch längst nicht alles. Denn damit analysieren Google und Co unser Verhalten im wahrsten Sinne auf Schritt und Tritt. Wie bei nerviger Onlinewerbung erbringt man eine Gegenleistung, und zwar in Form seiner persönlichen Daten. Besonders sichtbar wird der Spagat zwischen Nutzen und Gefahr bei den Fitness-Trackern. Mit Ausnahme der deutschen Firma Beurer erzwingen alle Geräte ein Konto in der Cloud der Hersteller. Die persönlichsten (!) Daten liegen also bei Unternehmen, die daraus sogar herauslesen können, wann man auf der Toilette ist – für manchen sicherlich eine Vorstellung, die nervt! Doch im Augenblick solcher „Services“sehen viele Menschen nur das Positive und die unter Umständen erst später zutage tretenden negativen Begleiterscheinungen blenden sie aus.
Big Data, Ausblick auf die kommenden Jahre und Fazit
Smartphone, Fitness-Tracker, ständige Onlineverbindung, vernetztes Zuhause und Clouddienste für dies und das: Was auf den ersten Blick vor allem Bequemlichkeit, Nutzen sowie coole Funktionen verspricht, hat auch seine Schattenseiten – die Preisgabe von persönlichen Daten. So werden die Autoversicherer in diesem Jahr verstärkt mit Telematik-Tarifen werben, und dabei geht es nicht nur darum, die Kunden zum defensiven Fahren oder gar zu „besseren Menschen“zu erziehen. Quasi nebenbei fallen hier Unmengen an Daten an, die in der Cloud gespeichert, ausgewertet und verkauft werden können. Das nervt vielleicht noch nicht gleich, aber möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt. Genau hier liegen die Parallelen zur Internetnutzung am PC und Smartphone: Ein paar Euro Ersparnis erkauft man sich dadurch, dass man an anderer Stelle beträchtliche Freiheiten aufgibt. Damit am Schluss nicht alle genervt sind, weil Onlinewerbung zusehends aggressiver sein muss, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden, schreit das geradezu nach einem fairen Interessenausgleich und damit nach einem fairen Bezahlmodell. Selbst Google hat das erkannt und bietet seit dem Herbst mit Youtube Red vorerst nur in den USA ein Abo, bei dem man gegen Zahlung von monatlich knapp zehn US-Dollar von Werbung verschont bleibt. Der Nutzer hat also die Wahl!