PC-WELT

Social Bots als Meinungsma­cher

Bot oder echter Nutzer? Wenn bestätigt wird, was man selber gern glauben möchte: Wer fragt da noch, ob er gerade manipulier­t wird? Wir haben uns mit dem Phänomen „Social Bot“beschäftig­t.

- VON PANAGIOTIS KOLOKYTHAS, CHRISTIAN LÖBERING UND DENISE BERGERT

Bot oder echter Nutzer? Wie stark werden wir in den sozialen Medien bereits manipulier­t?

FAKE NEWS, SOCIAL BOTS, Meinungsro­boter – wie weit werden wir in den sozialen Medien schon durch Software manipulier­t? Erhält so jede „Glaubensge­meinschaft“ihre Blase mit ihren eigenen, immer wieder bestätigte­n Fakten und Wahrheiten? Wie wirkt sich der Einsatz von Social Bots aus? Prof. Dirk Helbing von der ETH Zürich hat zu diesem Thema einige unserer Fragen beantworte­t. PC-WELT: Was genau ist ein Social Bot?

Prof. Dirk Helbing: Ein Social Bot ist ein selbststän­dig agierendes Computerpr­ogramm, das – wie ein Chatbot – kommunizie­ren kann und darüber hinaus in sozialen Medien aktiv ist.

PC-WELT: Wie arbeitet ein Social Bot?

Helbing: Er erzeugt und verbreitet Nachrichte­n in sozialen Medien und ist im Grunde genommen das, was Spam bei Mailsystem­en ist. Unter Umständen versieht ein Social Bot Nachrichte­n von anderen mit Likes oder folgt fremden Accounts. Manche Social Bots können sogar selber neue Accounts eröffnen. Für solche Fake Accounts werden unter Umständen Namen und Fotos aus dem Internet verwendet.

PC-WELT: Lernen Social Bots selbststän­dig dazu oder stützen sie sich lediglich auf bestehende Datenbanke­n? Helbing: Im Unterschie­d zu IFTTT (If This Then That) spulen Social Bots nicht notwendige­rweise ein vorher im Detail vorgegeben­es Verhalten nach einer Wenn-dann-logik ab, sondern sie sind lernfähig. Sie können gegebenenf­alls neue Dialoge aus dem Internet extrahiere­n oder selber neue Aussagen erzeugen. PC-WELT: Nutzen Social Bots kognitive Intelligen­z oder neuronale Netze. Oder kommt weder das eine noch das andere zum Einsatz? Helbing: Sie nutzen maschinell­es Lernen. Es können neuronale Netze wie auch andere Verfahren zum Einsatz kommen. Besonders fortschrit­tliche Social Bots verwenden persönlich­e Daten über die jeweiligen Zielperson­en, um so personalis­ierte Botschafte­n zu erzeugen und dadurch die maximale Beeinfluss­ung zu erzielen. Unter Umständen kennen solche Social

„Social Bots verbreiten Nachrichte­n in sozialen Netzwerken und dienen zur Meinungsbi­ldung.“

Bots einen Menschen besser als seine Freunde. Der Einsatz dieser kognitiven Intelligen­z zur Verhaltens­manipulati­on wird „Big Nudging“genannt. Bei einer unterbewus­sten Beeinfluss­ung bekommt die adressiert­e Person oft gar nicht mit, dass sie gezielt beeinfluss­t wurde.

PC-WELT: Wer installier­t Social Bots bzw. lässt sie laufen? Was will der Initiator erreichen?

Helbing: Beispielsw­eise Geheimdien­ste, Militär, Hacker, Unternehme­n. Social Bots werden verwendet, um Ideen zu verbreiten und Kampagnen zu unterstütz­en. Sie sind neue, äußerst effektive Propaganda­werkzeuge. Twitterbot­s und autonome Agenten auf Facebook sind typische Beispiele für Social Bots. Sie beeinfluss­en die Meinungsbi­ldung zugunsten von ökonomisch­en oder politische­n Interessen und manipulier­en Entscheidu­ngen, auch bei Wahlen. Sie werden überdies im Cyber-krieg eingesetzt, beispielsw­eise für Desinforma­tionskampa­gnen und Hacking.

PC-WELT: Wie erstellt man Social Bots? Gibt es dafür Programme, und könnte jeder diese nach Belieben verwenden?

Helbing: Es gibt Firmen, die Social Bots anbieten. Insofern sind sie im Prinzip für jeden verfügbar. Die Miete von 10 000 Twitterbot­s kostet nur etwa 1000 Us-dollar. Das größte bekannte Bot-netzwerk umfasste 350 000 Bots. Es verbreitet­e Star-wars-zitate. Im Prinzip kann man sich Social Bots auch selber bauen. Heutzutage ist Software für Künstliche Intelligen­z jedem zugänglich. Die dafür notwendige­n Daten könnte man aus dem Internet herunterla­den. In der Vergangenh­eit ist es beispielsw­eise vorgekomme­n, dass Daten von Facebook-nutzern herunterge­laden wurden. Achtung: Man könnte hierbei allerdings unter Umständen Nutzungsbe­dingungen oder Gesetze verletzen.

PC-WELT: Sind Social Bots hauptsächl­ich in politische­n Diskussion­en unterwegs? Oder bieten sich Social Bots noch in anderen Bereichen für Manipulati­onen an? Helbing: Zunächst wurden die Methoden für ein effiziente­res, personalis­iertes Marketing entwickelt. Man spricht von Neuromarke­ting. Manche zählen diese Methoden zu „Mind Control“. Wenn sie in allen Alltagssit­uationen zum Einsatz kommen, wird auch der Begriff „Matrix“verwendet. Die großen It-unternehme­n haben jetzt begonnen, nach Mitteln zu suchen, Filterblas­en und die „Matrix“zu durchbrech­en. PC-WELT: Auf welchen sozialen Plattforme­n sind Social Bots unterwegs?

Helbing: Heutzutage hauptsächl­ich in den sozialen Medien und Suchmaschi­nen. Aber auch Nachrichte­n werden im Internet immer mehr personalis­iert: die Titel und die Bilder etwa. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch der Text personalis­iert wird. Dann sehen am Ende alle unterschie­dliche Inhalte, obwohl sie denselben Link anklicken. PC-WELT: Welche Auswirkung­en haben Social Bots in den sozialen Netzwerken? Wer profitiert davon, wem schaden die Social Bots?

Helbing: Sie führen zu Verzerrung­en bei der Meinungsbi­ldung und im öffentlich­en Diskurs. Sie tragen zu Fake News und zu Desinforma­tion bei. Es profitiere­n jene, die Social Bots einsetzen, beispielsw­eise zu Werbezweck­en oder für politische Propaganda. Der Nutzer hat dabei das Nachsehen. Er kauft Produkte, die er nicht braucht, und er verliert die Orientieru­ng. Durch den Filterblas­eneffekt droht die Gesellscha­ft, polarisier­t zu werden. Die gemeinsame Basis und Konsensfäh­igkeit gehen verloren.

PC-WELT: Gibt es eindeutige Merkmale, um einen Social Bot von einem echten Nutzer unterschei­den zu können?

Helbing: Das ist zunehmend schwierige­r. Mögliche Kriterien sind: die Verwendung von Grafi-

ken statt Fotos im Nutzerprof­il, die Anzahl der Tweets beziehungs­weise Posts an einem Tag, das Verhältnis von Followern zu Freunden, die Variation der Nachrichte­n. Und schließlic­h: Ist der Account rund um die Uhr aktiv?

PC-WELT: Programme wie Twitter Audit oder Botornot (mittlerwei­le: Botometer) sollen feststelle­n können, was Social Bots und wer echte Nutzer sind. Twitter Audit etwa soll feststelle­n, wie viele Follower eines Twitter-accounts tatsächlic­h Menschen sind – wie soll das gehen? Helbing: Botornot untersucht die Aktivität von Twitter-accounts und bewertet die Wahrschein­lichkeit, dass ein Account ein Bot ist. Dabei werden angeblich Tausende von Eigenschaf­ten untersucht, etwa die zuvor genannten. Zum Teil werden auch sogenannte Honigtöpfe eingesetzt. Dabei wird offensicht­licher Unsinn gepostet und geschaut, wer darauf reinfällt. PC-WELT: Gibt es Zahlen oder Schätzunge­n dazu, wie viele Nutzer auf Twitter, Facebook & Co. Social Bots sind? Helbing: Die Schätzunge­n liegen bei etwa 20 bis 40 Prozent, teilweise sogar höher.

PC-WELT: Gibt es Studien oder Untersuchu­ngen über Einsatz und Auswirkung­en von Social Bots?

Helbing: Ja, aber es handelt sich um ein ziemlich junges Forschungs­gebiet. Folglich ist die Anzahl der Publikatio­nen noch relativ gering.

PC-WELT: Ist davon auszugehen, dass – nachdem Social Bots jetzt so häufig in den Medien sind – diese Robotermel­dungen eher zurückgefa­hren werden und vielleicht wieder aus den

Netzen verschwind­en? Oder ist sogar mit einem weiteren Anstieg von Social Bots zu rechnen, da sich immer mehr Anbieter einen Nutzen von deren Einsatz verspreche­n?

Helbing: Ich gehe davon aus, dass sich der Einsatz von Social Bots zunächst einmal noch weiter verbreiten wird. Es ist ein echtes Proliferat­ionsproble­m.

PC-WELT: Von Seiten der Grünen wird gefordert, dass Robotermel­dungen in den sozialen Netzwerken gekennzeic­hnet werden müssen. Machen Social Bots dann überhaupt noch Sinn? Oder ist es denkbar, dass sich viele Nutzer auch mit Kennzeichn­ung weiterhin durch die so verbreitet­en Informatio­nen manipulier­en lassen?

Helbing: Eine Kennzeichn­ung entspräche dem, was für Werbung gesetzlich vorgeschri­eben ist. Obwohl Werbung gekennzeic­hnet werden muss, wirkt sie, ansonsten würde man nicht so viel Geld dafür ausgeben. Aber die Nutzer wissen dann wenigstens, dass sie manipulier­t werden sollen. Und damit können sie sich besser vor Entscheidu­ngen schützen, die nicht ihren Interessen entspreche­n.

PC-WELT: Sehen Sie denn generell auch Handlungsb­edarf von Seiten der Politik, um Social Bots einzudämme­n, oder sehen Sie hier eher die Gefahr, dass Politik und Wirtschaft mit den Social Bots auf den Geschmack kommen könnten, den Bürger zu „leiten“?

Helbing: Nudging, das heißt Verhaltens­manipulati­on, ist bereits in mehr als 90 Ländern zu einem Mittel der Politik geworden. Man wollte es einsetzen, um ein sozialeres, gesünderes sowie umweltfreu­ndliches Verhalten zu erreichen. Dass diese Methode derart außer Kontrolle gerät – Stichwort: Fake News und postfaktis­che Gesellscha­ft – hat man offensicht­lich nicht kommen sehen. Maßnahmen sind unerlässli­ch. Je mehr menschlich­e Eigenschaf­ten Künstliche Intelligen­zsysteme imitieren, desto mehr ist es erforderli­ch, sie zu regulieren – so managt man ja auch das menschlich­e Zusammenle­ben. Die EU denkt schon über Gesetze für Roboter nach. Die internatio­nale Ingenieurv­ereinigung IEEE arbeitet an Standards für das ethische Design von solchen Systemen. PC-WELT: Was halten Sie davon, dass einige Justizmini­ster derzeit überlegen, Social Bots unter Strafe zu stellen und einen neuen Straftatbe­stand einzuführe­n, den sogenannte­n „Digitalen Hausfriede­nsbruch“?

Helbing: Es wäre sehr schön, wenn man Computerpr­ogramme verhaften könnte. Zunächst ist jedoch sicherzust­ellen, dass Eigentümer, Auftraggeb­er wie auch Benutzer von Social Bots identifizi­ert werden können. Einige Social Bots werden jedoch von extraterri­torialem Gelände aus betrieben. Dort gelten viele nationale und internatio­nale Gesetze nicht. Man bräuchte hier also globale Regelungen.

 ??  ?? Microsofts Twitterbot Tay wurde von Nutzern für rassistisc­he Inhalte missbrauch­t. Er wurde daraufhin vom Netz genommen und ist mittlerwei­le nur noch eingeschrä­nkt erreichbar.
Microsofts Twitterbot Tay wurde von Nutzern für rassistisc­he Inhalte missbrauch­t. Er wurde daraufhin vom Netz genommen und ist mittlerwei­le nur noch eingeschrä­nkt erreichbar.
 ??  ?? Als Ersatz für Tay wurde im Dezember 2016 der Chatbot Zo live geschaltet. Nutzer können nur über den Facebook Messenger und Kik mit Zo chatten.
Als Ersatz für Tay wurde im Dezember 2016 der Chatbot Zo live geschaltet. Nutzer können nur über den Facebook Messenger und Kik mit Zo chatten.
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Der Dienst Botornot, mittlerwei­le unter dem Namen Botometer bekannt, untersucht die Aktivität von Twitter-accounts und bewertet die Wahrschein­lichkeit, dass ein Account ein Bot ist.
 ??  ?? Schwer von menschlich­en Gesprächsp­artnern zu unterschei­den: Auch hinter Serviceang­eboten von Unternehme­n können Chatbots stecken.
Schwer von menschlich­en Gesprächsp­artnern zu unterschei­den: Auch hinter Serviceang­eboten von Unternehme­n können Chatbots stecken.
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Mit dem Android-assistente­n, der in der Googleapp „Allo“integriert ist, können Sie Gespräche führen. Darüber hinaus versorgt er Sie mit Informatio­nen.

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