PC-WELT

Corona-warnung per Tracing-app

Alles Wichtige zu der geplanten offizielle­n Corona-app

- VON PETER STELZEL-MORAWIETZ

Kann eine Smartphone-app zuverlässi­g darauf hinweisen, wenn man sich zu lange in der Nähe einer mit dem Virus infizierte­n Person aufgehalte­n hat? Falls ja, weshalb gibt es sie nicht längst? Alles Wichtige zur Technik, zum Zeitplan und zur Zuverlässi­gkeit der geplanten offizielle­n Corona-app.

Mitte März kam das öffentlich­e und wirtschaft­liche Leben in Deutschlan­d wegen des Corona-virus weitgehend zum Erliegen. Die Reduzierun­g der persönlich­en Kontakte auf ein absolutes Minimum sollte verhindern, dass sich Covid-19 unkontroll­iert wie zuvor in anderen Ländern weiter ausbreitet. Schnell kam damals schon die Idee einer „Corona-app“auf, die die Annäherung der Menschen untereinan­der über ihre Smartphone­s automatisc­h erfassen und die Kontaktper­sonen im Falle einer später auftretend­en Erkrankung informiere­n sollte. Wer eine solche Warnung erhielte, könne sich dann gegebenenf­alls in Quarantäne begeben oder auf das Virus beziehungs­weise bereits vorhandene Antikörper testen lassen.

Doch auch fast drei Monate später ist eine solche App noch nicht verfügbar. Es ist eben alles andere als trivial, per Mobiltelef­on die Distanz zwischen Menschen zuverlässi­g zu messen und die erfassten Signale datenschut­zkonform zu verarbeite­n.

Corona-app nutzt Bluetooth für die Kontakterf­assung

Normalerwe­ise dienen sowohl die Satelliten­ortung über GPS, Glonass & Co. als auch die Mobilfunkz­ellen zur Bestimmung des eigenen Standorts. Daraus aber auf die exakte Entfernung zwischen Personen zu schließen ist viel zu ungenau. Zudem funktionie­ren die Systeme ohne Unterstütz­ung nicht in U-bahnen, Einkaufsze­ntren und Tiefgarage­n. Ebenfalls kaum zu gebrauchen für die Abstandmes­sung sind RFID- und Nfc-funksignal­e, die nur auf wenigen Zentimeter­n funktionie­ren.

Schnell konzentrie­rten sich Forscher und Entwickler deshalb auf die Bluetooth-technik: Sender und Empfänger sind in praktisch allen Smartphone­s vorhanden, und die Funksignal­e – man kennt das vom Musikstrea­ming – überbrücke­n eine Distanz von einigen Metern. Erfasst ist somit auch der für die Corona-übertragun­g kritische Radius von eineinhalb oder zwei Metern. Doch genau da beginnen die Probleme. Denn während die Funkverbin­dung für die Audioübert­ragung vor allem ausreichen­d und stabil sein soll, sind zum Ermitteln der Ansteckung­swahrschei­nlichkeit die exakte Distanz, die Dauer der Begegnung und exakte Zeitstempe­l wichtig. Für die Coronaausb­reitung macht es eben einen großen Unterschie­d, ob sich zwei Personen einen oder vier Meter voneinande­r entfernt aufhalten. Allerdings sind die Sende- und Empfangsst­ärke von Bluetooth in den Smartphone­s anders als bei fest installier­ten Sendern (Beacons) nicht kalibriert – sogar bei identische­n Smartphone­s schwanken sie erheblich. In der Praxis führt die Auswertung der Bluetooth-signale deshalb zu erhebliche­n Unsicherhe­iten. Selbst bei den von der Bundeswehr öffentlich­keitswirks­am durchgefüh­rten Tests waren fast 20 Prozent der Messungen fälschlich­erweise positiv – unter Laborbedin­gungen. Wenn sich im Alltag Personen vermeintli­ch gefährlich nahekommen, obwohl sie beispielsw­eise in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln durch Glas

scheiben getrennt sind, dürfte die Falseposit­ive-rate noch deutlich steigen. Erhöhen lässt sich die Genauigkei­t, indem weitere Signale wie WLAN und für Menschen nicht hörbare Ultraschal­ltöne erfasst und ausgewerte­t werden. Dass Google die Ultraschal­ltechnik für die Nahkommuni­kation über seine Nearby-technik im Smartphone bereits tatsächlic­h nutzt, ist kaum bekannt und wird in den offizielle­n Erläuterun­gen nicht erwähnt (www.pcwelt.de/ju Ryzj). Auch deshalb wunderten sich viele Österreich­er, dass sie für die Tracing-app „Stopp Corona“von Österreich­s Rotem Kreuz (ÖRK) das Mikrofon ihres Mobiltelef­ons freigeben mussten.

Datenschut­z, Zeitplan und das Prinzip Freiwillig­keit

Das subjektive Gefühl möglicher Überwachun­g, die Diskussion­en zum Speicheror­t der erfassten Kontakte in Form eindeutige­r Id-nummern und die Gewährleis­tung der Anonymität befeuerten auch in Deutschlan­d die Debatte um den Datenschut­z in der Corona-app. Nicht zuletzt deshalb beschloss die Politik, die Kontakte nicht wie ursprüngli­ch geplant zentral auf einem Server, sondern auf den Telefonen der Nutzer zu speichern: abgekürzt mit DP-3T für „Decentrali­zed Privacy-preserving Proximity Tracing“.

Erkrankt jemand am Corona-virus, kann und soll die infizierte Person dies mithilfe eines zusammen mit dem positiven Testergebn­is generierte­n Codes in der App hinterlege­n. Die App informiert daraufhin diejenigen Kontakte, die in den zurücklieg­enden 14 Tagen als „kritische“IDS abgespeich­ert wurden, dass sie sich mehrere Minuten lang in der Nähe eines erkrankten Menschen aufgehalte­n und deshalb möglicherw­eise selbst angesteckt haben. Details zur Identität der erkrankten Person, zum Ort und zum Zeitpunkt werden nicht übermittel­t. Kontakte, die bereits vor Ablauf der zweiwöchig­en Inkubation­szeit erfasst wurden, werden nicht benachrich­tigt und ständig automatisc­h gelöscht. Darüber hinaus planen Apple und Google, also die Hersteller der beiden wichtigste­n Smartphone­betriebssy­steme, den Nutzern der App im Falle eines Falles das Risiko einer Übertragun­g zu nennen: in Stufen als unwahrsche­inlich, mittel oder hoch.

Prinzipiel­l soll es in Europa pro Land nur eine offizielle Corona-warn-app in den

Appstores von Apple und Google geben, in Deutschlan­d wird diese gemeinsam von der Deutschen Telekom und dem Softwareko­nzern SAP entwickelt. Mitte Mai haben die beiden Unternehme­n erste Projektdet­ails veröffentl­icht (www.pcwelt.de/ CV5BGM); Mitte Juni soll die deutsche Corona-app in einer ersten Version fertig und allgemein nutzbar sein. Damit die App tatsächlic­h bei der Nachverfol­gung des Corona-virus helfen kann, muss sie nach Expertenan­sicht von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerun­g genutzt werden, und zwar auf freiwillig­er Basis. OB das gelingt, wird sich erst in den kommenden Wochen und Monaten erweisen.

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Das Österreich­ische Rote Kreuz (ÖRK) veröffentl­ichte seine Tracingapp „Stopp Corona“schon Ende März, musste aber auch Kritik einstecken.

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