Corona-warnung per Tracing-app
Alles Wichtige zu der geplanten offiziellen Corona-app
Kann eine Smartphone-app zuverlässig darauf hinweisen, wenn man sich zu lange in der Nähe einer mit dem Virus infizierten Person aufgehalten hat? Falls ja, weshalb gibt es sie nicht längst? Alles Wichtige zur Technik, zum Zeitplan und zur Zuverlässigkeit der geplanten offiziellen Corona-app.
Mitte März kam das öffentliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland wegen des Corona-virus weitgehend zum Erliegen. Die Reduzierung der persönlichen Kontakte auf ein absolutes Minimum sollte verhindern, dass sich Covid-19 unkontrolliert wie zuvor in anderen Ländern weiter ausbreitet. Schnell kam damals schon die Idee einer „Corona-app“auf, die die Annäherung der Menschen untereinander über ihre Smartphones automatisch erfassen und die Kontaktpersonen im Falle einer später auftretenden Erkrankung informieren sollte. Wer eine solche Warnung erhielte, könne sich dann gegebenenfalls in Quarantäne begeben oder auf das Virus beziehungsweise bereits vorhandene Antikörper testen lassen.
Doch auch fast drei Monate später ist eine solche App noch nicht verfügbar. Es ist eben alles andere als trivial, per Mobiltelefon die Distanz zwischen Menschen zuverlässig zu messen und die erfassten Signale datenschutzkonform zu verarbeiten.
Corona-app nutzt Bluetooth für die Kontakterfassung
Normalerweise dienen sowohl die Satellitenortung über GPS, Glonass & Co. als auch die Mobilfunkzellen zur Bestimmung des eigenen Standorts. Daraus aber auf die exakte Entfernung zwischen Personen zu schließen ist viel zu ungenau. Zudem funktionieren die Systeme ohne Unterstützung nicht in U-bahnen, Einkaufszentren und Tiefgaragen. Ebenfalls kaum zu gebrauchen für die Abstandmessung sind RFID- und Nfc-funksignale, die nur auf wenigen Zentimetern funktionieren.
Schnell konzentrierten sich Forscher und Entwickler deshalb auf die Bluetooth-technik: Sender und Empfänger sind in praktisch allen Smartphones vorhanden, und die Funksignale – man kennt das vom Musikstreaming – überbrücken eine Distanz von einigen Metern. Erfasst ist somit auch der für die Corona-übertragung kritische Radius von eineinhalb oder zwei Metern. Doch genau da beginnen die Probleme. Denn während die Funkverbindung für die Audioübertragung vor allem ausreichend und stabil sein soll, sind zum Ermitteln der Ansteckungswahrscheinlichkeit die exakte Distanz, die Dauer der Begegnung und exakte Zeitstempel wichtig. Für die Coronaausbreitung macht es eben einen großen Unterschied, ob sich zwei Personen einen oder vier Meter voneinander entfernt aufhalten. Allerdings sind die Sende- und Empfangsstärke von Bluetooth in den Smartphones anders als bei fest installierten Sendern (Beacons) nicht kalibriert – sogar bei identischen Smartphones schwanken sie erheblich. In der Praxis führt die Auswertung der Bluetooth-signale deshalb zu erheblichen Unsicherheiten. Selbst bei den von der Bundeswehr öffentlichkeitswirksam durchgeführten Tests waren fast 20 Prozent der Messungen fälschlicherweise positiv – unter Laborbedingungen. Wenn sich im Alltag Personen vermeintlich gefährlich nahekommen, obwohl sie beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Glas
scheiben getrennt sind, dürfte die Falsepositive-rate noch deutlich steigen. Erhöhen lässt sich die Genauigkeit, indem weitere Signale wie WLAN und für Menschen nicht hörbare Ultraschalltöne erfasst und ausgewertet werden. Dass Google die Ultraschalltechnik für die Nahkommunikation über seine Nearby-technik im Smartphone bereits tatsächlich nutzt, ist kaum bekannt und wird in den offiziellen Erläuterungen nicht erwähnt (www.pcwelt.de/ju Ryzj). Auch deshalb wunderten sich viele Österreicher, dass sie für die Tracing-app „Stopp Corona“von Österreichs Rotem Kreuz (ÖRK) das Mikrofon ihres Mobiltelefons freigeben mussten.
Datenschutz, Zeitplan und das Prinzip Freiwilligkeit
Das subjektive Gefühl möglicher Überwachung, die Diskussionen zum Speicherort der erfassten Kontakte in Form eindeutiger Id-nummern und die Gewährleistung der Anonymität befeuerten auch in Deutschland die Debatte um den Datenschutz in der Corona-app. Nicht zuletzt deshalb beschloss die Politik, die Kontakte nicht wie ursprünglich geplant zentral auf einem Server, sondern auf den Telefonen der Nutzer zu speichern: abgekürzt mit DP-3T für „Decentralized Privacy-preserving Proximity Tracing“.
Erkrankt jemand am Corona-virus, kann und soll die infizierte Person dies mithilfe eines zusammen mit dem positiven Testergebnis generierten Codes in der App hinterlegen. Die App informiert daraufhin diejenigen Kontakte, die in den zurückliegenden 14 Tagen als „kritische“IDS abgespeichert wurden, dass sie sich mehrere Minuten lang in der Nähe eines erkrankten Menschen aufgehalten und deshalb möglicherweise selbst angesteckt haben. Details zur Identität der erkrankten Person, zum Ort und zum Zeitpunkt werden nicht übermittelt. Kontakte, die bereits vor Ablauf der zweiwöchigen Inkubationszeit erfasst wurden, werden nicht benachrichtigt und ständig automatisch gelöscht. Darüber hinaus planen Apple und Google, also die Hersteller der beiden wichtigsten Smartphonebetriebssysteme, den Nutzern der App im Falle eines Falles das Risiko einer Übertragung zu nennen: in Stufen als unwahrscheinlich, mittel oder hoch.
Prinzipiell soll es in Europa pro Land nur eine offizielle Corona-warn-app in den
Appstores von Apple und Google geben, in Deutschland wird diese gemeinsam von der Deutschen Telekom und dem Softwarekonzern SAP entwickelt. Mitte Mai haben die beiden Unternehmen erste Projektdetails veröffentlicht (www.pcwelt.de/ CV5BGM); Mitte Juni soll die deutsche Corona-app in einer ersten Version fertig und allgemein nutzbar sein. Damit die App tatsächlich bei der Nachverfolgung des Corona-virus helfen kann, muss sie nach Expertenansicht von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung genutzt werden, und zwar auf freiwilliger Basis. OB das gelingt, wird sich erst in den kommenden Wochen und Monaten erweisen.