Linux Mint: Das Konzept
Linux Mint hat einen klaren, ideologiefreien Fokus und orientiert sich am Platzhirsch Windows
Linux Mint hat einen klaren und ideologiefreien Fokus: Es will am Pc-desktop überzeugen und scheut nicht davor zurück, sich am Desktop-platzhirsch Windows zu orientieren. Dass das am Ende sogar Linux-fans gefällt, ist eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte.
Das Ubuntu-derivat Linux Mint hat sich längst den Status einer eigenständigen Distribution verdient und dabei Ubuntu den Rang abgelaufen. Es definiert sich unmissverständlicher als Ubuntu als pures Desktopsystem für PCS und Notebooks. Hierzu hat es zahlreiche Eigenentwicklungen begonnen und verfolgt diese nachhaltig weiter. Am eigenen Desktop Cinnamon wird engagiert weitergefeilt und ein Einbau externer Werkzeuge wie etwa Timeshift erfolgt konsequent und in allen Zentralen. Unterm Strich ist Linux Mint eine Synthese aus Ubuntu-basis, Desktop, Eigenentwicklungen, Gnome-tools, X-apps und externen Ergänzungen. Dabei ist es aber keine zusammengewürfelte Mischung, sondern eine großartige, pragmatische Integrationsleistung.
14 Jahre Linux Mint
Linux Mint entstand 2006 und war zunächst kaum mehr als ein Ubuntu mit zusätzlichen Multimedia-codecs – nicht mehr als ein kleiner Softwarebonus, zumal sich jeder Ubuntu-nutzer diese Codecs per Terminalbefehl nachrüsten konnte. Der wichtigste Schritt zur Selbstständigkeit war 2011 die Einführung der Cinnamon-oberfläche. 2011 beerdigten die Gnome-entwickler mit Version 3 die klassische Gnome-oberfläche (Gnome 2) und gleichfalls 2011 machte Ubuntu die Gnome-3-ähnliche Oberfläche Unity zu seinem Standard. Die Oberflächen Unity und Gnome 3 waren allerdings nichts für Anwender, die ein klassisches Startmenü, eine anpassungsfähige Oberfläche sowie einen Desktop als aktive Ablage suchen. Das Mintteam um Clément Lefèbvre baute auf der Basis von Gnome 2 den Desktop Cinnamon. Cinnamon ist eine klassische Oberfläche mit Systemleiste, Hauptmenü und einem Desktop als Ablage für Dateien und Minianwendungen. Im Unterschied zu Gnome und Unity lädt er zur individuellen Anpassung ein und hat über die Jahre viel Feintuning erhalten, das auch Windows-nutzern Heimatgefühle vermittelt. In der Summe hat Cinnamon eine große Integrationskraft, die sowohl Linux-systembastler als auch Windows-umsteiger anspricht.
Linux Mint ist aber weit mehr als ein Ubuntu mit Cinnamon: Beinahe alle wichtigen Verwaltungszentralen wurden selbst entwickelt. So bietet die Softwareverwaltung unter Mint den derzeit wahrscheinlich komfortabelsten Weg zur Installation von Flatpaksoftware. Auf der anderen Seite gab es
manchen Irrweg, wie etwa das eigenwillige Stufenkonzept bei System-updates, den das Mint-team vor zwei Jahren endlich verwarf. Warum? Weil die Benutzer genervt waren. Linux Mint hört auf seine Nutzer.
Mint ist aktuell, aber kein Trendsetter
2020 steht Linux Mint nach wie vor auf der Systembasis von Ubuntu. Die Entwicklung von Mint folgt stets den Ubuntu-lts-versionen mit Langzeitunterstützung. Da diese wichtigen Lts-versionen alle zwei geradzahligen Jahre im April erscheinen (zuletzt Ubuntu 20.04 im April), gibt es eine neue Mint-version alle zwei geradzahligen Jahre im Sommer, so wie aktuell die Version 20. Die nächste Mint-version 21 wird dann auf Ubuntu 22.04 basieren und im Sommer 2022 erscheinen.
Damit das System über so lange Zeiträume nicht technisch stagniert, gibt es zwischendurch Point Releases, die neue Kernel-versionen, jedoch auch aktualisierte Software mitbringen. Point Releases erscheinen etwa im Halbjahresrhythmus und erhalten bei Ubuntu die Kennung 20.04.1, 20.04.2 et cetera, die nachfolgenden Linux Mint entsprechend 20.1, 20.2. Das Upgrade auf solche Point Releases ist optional und kann in Linux Mint in der „Aktualisierungsverwaltung“ausgelöst werden. Der Support-zeitraum einer Version ändert sich hierdurch nicht: Linux Mint 20 wird im April 2025 auslaufen, auch wenn es etwa als Version 20.3 einige Point Releases absolviert hat. Allerdings wird es – so wie heute mit Version 19.3 – wieder möglich sein, Version 20.x ab 2022 auf die nächste Version 21 zu hieven, was den Support-zeitraum in der Folge auf 2027 verlängert.
Linux Mint versteht sich als produktives Desktop-system, aber nicht als technischer Trendsetter: Schon wegen seiner Produktionsweise als Ubuntu-derivat kann Linux Mint bei Kernel, Unterbau und Softwareversionen niemals Trendsetter sein, zumal bereits seine Systembasis Ubuntu dies nur in Ansätzen leistet. Die Distribution zielt deshalb auf Benutzer, die ein solides, durchgängig grafisch nutzbares Arbeitssystem für den produktiven Einsatz suchen. Linuxfreaks, die sich für Innovationen wie etwa experimentelle Dateisysteme (ZFS, BTRFS) oder zukunftsweisende Fenstermanager (Wayland) begeistern, sind bei Open Suse, Arch oder Ubuntu besser aufgehoben.
Linux Mint will aber auch gar kein technischer Trendsetter sein: Ein experimentelles ZFS hat das Mint-team bewusst aus dem Ubuntu-installationsprogramm entfernt, da es für die Zielgruppe normaler Desktopanwender kaum angemessen ist. Umgekehrt hat sich Linux Mint von den eher akademischen Risiken der Home-verschlüsselung (mit Ecrypt FS) nie beeindrucken lassen: Diese Option ist nach wie vor im Installer vorhanden. Beide Entscheidungen sind aus der Sicht eines Desktop-anwenders absolut zu begrüßen.
Die drei Mint-desktops
Linux Mint 20 gibt es in drei Editionen mit verschiedenen Oberflächen, alle drei lediglich noch in 64-Bit-ausführung. Die passende Desktop-wahl ist natürlich auch Geschmackssache, jedoch nicht nur: Da sollte auch die Hardware mitsprechen. Mit seinen drei Varianten (siehe hierzu auch unten die „Linux Mint Debian Edition“) bietet Mint für jedes Desktop-taugliche Gerät eine passende Ausgabe. Alle drei Oberflächen erfüllen den Anspruch, am grafischen Desktop sämtliche Aktionen der Systemverwaltung und Softwarebedienung erledigen zu können. Dies ist unter Linux keineswegs selbstverständlich.
Linux Mint 20 Cinnamon: Diese Hauptedition (als ISO und bootfähig auf der PLUSDVD 2 in 64 Bit) ist die richtige Edition für halbwegs aktuelle PCS und Notebooks. Dieses System belegt in der auf unserer PLUSDVD 2 vorliegenden 64-Bit-ausführung 750 bis 800 MB Speicher ab Anmeldung. Es sollte also mindestens 2 GB RAM antreffen, besser 4 GB RAM. Der Cinnamon-desktop benötigt einen Grafikchip mit 3D-beschleunigung, was jedoch bei Intel/amd/nvidia seit mehr als zehn Jahren Standard ist. Als CPU genügt ein Dual-core-prozessor mit 1,5 GHZ aufwärts. Insgesamt liegt Linux Mint Cinnamon deutlich unter den Ansprüchen eines Ubuntu mit Gnome oder eines Windows 10 (1,3 bzw. 1,5 GB). Auch für Windows-umsteiger ist die Cinnamon-edition die klügste Wahl, denn diese Oberfläche orientiert sich an zahlreichen Windowsstandards. Es sind oft Kleinigkeiten wie das Leisten-applet „Gruppierte Fensterliste“,
das praktisch identische Funktionalität und Optik der Windows-taskleiste anbietet. Linux Mint 20 XFCE (ISO in 64 Bit auf PLUSDVD 2) ist das sparsamste Mint. Damit ist flüssiger Betrieb auch auf älterer Hardware realistisch, weil das pure System lediglich circa 500 MB beansprucht und notfalls bereits mit 1 GB RAM auskommt. Die Anforderungen an CPU und Grafik sind gering und sollten von jedem Notebook oder sogar von Netbooks mit Intel-atom-prozessor erfüllt werden, weil sich die Grafikeffekte dieses Desktops auf Schattenwurf beschränken. Der im Kern konservative Xfce-desktop ist unter Mint 20 bereits ab Installation deutlich modernisiert durch frische Iconsets. Etliche Anpassungen, vor allem die vorbildliche Leistenkonfiguration, machen das ausgereifte XFCE im Handumdrehen zu einem schicken Desktop. Linux Mint 20 Mate (ISO in 64 Bit auf PLUSDVD 2) liegt beim Speicherbedarf mit etwa 620 MB zwischen XFCE und Cinnamon. Objektiv hat die Mate-edition im Mint-umfeld zwischen den sehr ähnlichen Desktops Cinnamon und XFCE einen schweren Stand: Wer ein möglichst sparsames System sucht, der greift am besten zu XFCE. Wer andererseits Linux Mint auf einem halbwegs modernen Rechner nutzen möchte, erhält mit Cinnamon den besten Mint-desktop.
Systemkomponenten und Zubehör
Unabhängig davon, für welche Oberfläche Sie sich entscheiden: Linux Mint besitzt einen homogenen Vorrat an Verwaltungsprogrammen und Zubehörtools. An erster Stelle stehen die zahlreichen Eigenentwicklungen des Mint-teams. Mint-eigenentwicklungen: Folgende Liste nennt die wichtigsten Mint-systemtools.
• die Aktualisierungsverwaltung (mintupdate) für Updates und Upgrades
• die Anwendungsverwaltung (mintinstall) zur Suche und Installation von Software
• die Anwendungspaketquellen (mintsources) zur Verwaltung der Softwarequellen
• der „Willkommen“-bildschirm (mintwelcome) mit informativen Grundlagen
• die Treiberverwaltung (mint-drivers) zur Installation von Herstellertreibern
• die Spracheinstellungen (mintlocale) zur deutschen Lokalisierung
• das Datensicherungswerkzeug (mintbackup) zur Sicherung des Home-verzeichnisses
• die Usb-abbilderstellung (mintstick) zum Schreiben von Images (in Dateimanager integriert)
Diese Mint-programme sind allerdings, wie Sie sich mithilfe von ls /usr/bin/mint* überzeugen können, nur die prominentesten Eigenleistungen. Hinzu kommt etwa ganz neu das Tool Warpinator zum Datenaustausch im Netzwerk.
Die Distribution bietet somit über alle Desktops hinweg ein homogenes Programmset zur Systemverwaltung.
Gnome-tools: Alle drei Mint-desktops sind im weiteren Sinne Gnome-verwandt und können sich deshalb verschiedene Gnometools teilen: Typisches Zubehör wie die Laufwerksverwaltung (gnome-disks), die Passwortverwaltung (gnome-keyring), der Taschenrechner (gnome-calculator) oder die Systemberichte (gnome-logs) sind in allen Ausgaben identisch.
X-apps: Für weitere Homogenität in allen Editionen sorgt ein Projekt des Mate-teams – die sogenannten X-apps. Auch diese setzen Gnome-verwandtschaft beim Desktop voraus und ermöglichen dort Softwareprojekte, die auf allen affinen Oberflächen laufen. Das Programm muss also nur einmal entwickelt werden und funktioniert sodann unter Cinnamon, Mate, XFCE. Dies soll nicht zuletzt die schnellere Weiterentwicklung der Apps befördern. Die aktuellen X-apps unter Linux Mint sind der Texteditor Xed („Textbearbeitung“), der Player Xplayer („Videos“), der Bildbetrachter Xviewer und der Pdf-viewer Xreader. Und schließlich gibt es noch den exzellenten Bildviewer Pix. Anwendungssoftware: Alle Mint-editionen haben dasselbe Basisangebot vorinstallierter Anwendungssoftware, die schon ab Installation die produktive Arbeit mit allen Office- und Multimedia-formaten erlaubt. Die wichtigsten Kandidaten sind Firefox, Thunderbird, Libre Office, Celluloid (Videoplayer) und Rhythmbox (Audioplay
er). Dies kann dann aber jeder Nutzer nach eigenem Ermessen über die Softwareverwaltung ergänzen.
Die Unterschiede der Editionen
Eine jede Desktop-umgebung bringt Komponenten mit. Die wichtige Desktop-zentrale („Systemeinstellungen“oder „Steuerzentrale“) ist ein Konfigurationszentrum, das der Windows-systemsteuerung ähnelt und alle wesentlichen Punkte zur Hardware-, Desktop- sowie zur Benutzerverwaltung vereint. Dies gilt für alle drei Desktops, jedoch unterscheiden sich CinnamonSettings (Cinnamon), Mate-control-center (Mate) und Xfce4-settings-manager (XFCE) doch erheblich voneinander – in der Nutzung und im Funktionsumfang. Cinnamon ist hier am übersichtlichsten und mit seinen Skalierungsoptionen für den Monitor auch funktional führend.
Weitere Unterschiede, die aus dem Software-repertoire der Desktop-umgebung resultieren, werden viele Anwender kaum bemerken. Taskmanager oder Terminal erfüllen hier wie dort ihre Aufgabe und fallen nur optisch und bei der Konfiguration etwas anders aus. Die meisten Unterschiede, die eventuell auch die Entscheidung für einen Desktop beeinflussen können, ergeben sich bei den Dateimanagern Nemo (Cinnamon), Caja (Mate) und Thunar (XFCE).
LMDE 4: Die Linux Mint Debian Edition
Abseits des bekannten Ubuntu-basierten Linux Mint gibt es die Debian-basierte LMDE. Diese Edition ist ein strategisches Backup-projekt des Mint-teams: Die Investitionen insbesondere in den Cinnamondesktop sollen Bestand haben, selbst wenn sich Ubuntu/canonical eines Tages in Luft auflösen sollte („if Ubuntu was ever to disappear“) – oder wenn die bereits offensichtlichen Konflikte des Mint-teams mit Canonical/ubuntu unüberwindbar werden. LMDE ist dem Ubuntu-basierten Linux Mint so ähnlich wie möglich, dies jedoch auf der Paketbasis von Linux Debian. LMDE gibt es nur mit dem Cinnamon-desktop – dies aber nach wie vor in 32 Bit und 64 Bit (Downloads unter https://linuxmint.com/download _lmde.php, 1,8 GB respektive 1,9 GB).
Die aktuelle Version LMDE 4 vom März 2020 entspricht in der Benutzung zu mindestens 95 Prozent einem Linux Mint auf Ubuntu-basis. Daher gelten die allermeisten Aussagen über den Cinnamon-desktop und über die Mint-systemkomponenten auch für LMDE.
Auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede wird in den nachfolgenden Artikeln nicht mehr ausdrücklich hingewiesen. Dies hat mehrere Gründe: Debian ist generell konservativ und das aktuelle Debian „Buster“läuft noch mit einem Kernel 4.19. Überdies enthalten die Debian-paketquellen weniger aktuelle Software als die Ubuntu-quellen. Verschärfend kommt hinzu, dass LMDE grundsätzlich keine externen Paketquellen (PPAS) erlaubt. Wer unter LMDE Herstellertreiber installieren will, der wird feststellen, dass es die ansonsten gewohnte komfortable „Treiberverwaltung“hier nicht gibt. Die Aktion muss also manuell erfolgen. Das Debian-installationsprogramm wurde zwar wesentlich verbessert, trotzdem ist der Ubuntu-installer unbestritten komfortabler. Nicht zuletzt hat LMDE als Backup-projekt beim Mint-team nicht die gleiche Priorität wie die kontinuierliche aktualisierte Ubuntu-variante. Linux Mint auf Ubuntubasis ist daher stets aktueller als LMDE. Zur Linux Mint Debian Edition wird derzeit niemand greifen, der das funktionsreichste, aktuellste und eleganteste Linux Mint haben will. Immerhin hat sich LMDE jedoch über die letzten Jahre der normalen Cinnamon-edition erstaunlich angenähert – und sie bietet einen unbestrittenen Vorzug: Die Debian-basis ist generell etwas schlanker und außerdem noch in 32 Bit verfügbar, was den Ram-bedarf weiter reduziert. Ein LMDE 4 in 32-Bit-ausführung (und mit Cinnamon) kommt mit 520 bis 560 MB aus. Hier bekommt man ein Cinnamon-system sozusagen zum Preis von XFCE. Diese Tatsache macht LMDE zu einer interessanten Alternative für schwächere Geräte.