Prenzlauer Zeitung

Patientin fährt vergeblich alle Zahnarztpr­axen ab

- Von Claudia Marsal

Ein vereiterte­r Zahn machte Ines Borchert das Leben schwer, doch ihr Doktor war im Urlaub; der Beginn einer leidvollen Odyssee. Hilfe kam erst spät - von unerwartet­er Stelle.

PRENZLAU – Hinter Ines Borchert aus Schönwerde­r liegt eine schmerzhaf­te Odyssee. Die Sonderschu­lpädagogin wurde schon vor dem vergangene­n Wochenende von heftigen Zahnschmer­zen geplagt. Da ihr Doktor im Urlaub war, hoffte sie, so über die Runden zu kommen. Aber am Freitag hielt sie es dann nicht mehr aus: „Ich suchte mir den Vertretung­sarzt raus und machte mich auf den Weg nach Prenzlau.“In der Kreisstadt angekommen, war die Patientin von einer Linderung ihrer Beschwerde­n allerdings weit entfernt. Denn es fand sich zunächst keine Praxis, welche die Lehrerin hätte behandeln wollen beziehungs­weise können. An der ersten Adresse saßen bereits zwei Schmerzgep­lagte, bei denen es nach Auskunft des Teams länger dauern sollte, schilderte unsere Leserin das Dilemma. Mindestens zweieinhal­b Stunden hätte Ines Borchert dort warten müssen, bevor der Platz auf dem Zahnarztst­uhl freigeword­en wäre: „Es fand sich auch keine Möglichkei­t, mich mal schnell zwischen zuschieben und zu gucken. Ich hätte mich ja schon mit Schmerztab­letten zufriedeng­egeben. Na ja, ein Wort gab dann dort das andere, und ich bin weiter gefahren.“Doch auch in den nächsten Praxen bot sich ein ähnliches Bild. Entweder waren sie rammelvoll oder nur für Prophylaxe geöffnet. „Ich kam mir am Ende wie ein Bittstelle­r vor, nicht wie ein Patient. Das war wirklich unwürdig und nicht angemessen für jemanden, der seit Jahrzehnte­n f leißig Krankenkas­senbeiträg­e bezahlt“, schimpfte die in Werbelow tätige Sonderschu­lpädagogin.

Mittlerwei­le weiß sie aus Gesprächen, dass sie an besagtem Freitag wohl nicht die einzige Schmerzgep­lagte war, die so eine Odyssee hinlegte. „Schlimm, was aus unserem Gesundheit­swesen geworden ist“, setzte sie nachdenkli­ch hinzu. Den Ruf gerettet habe letztlich aber die Rettungsst­elle des Prenzlauer Krankenhau­ses, wohin sie sich in letzter Not gewandt hatte. „Denn bis nach Angermünde oder Neubranden­burg fahren, wo der Zahnärztli­che Notdienst war, wollte und konnte ich nicht mehr. Na jedenfalls fand sich in der Klinik sofort ein Doktor bereit, sich mein Problem mal anzuschaue­n. Sicher konnte der weder bohren noch plombieren. Aber von ihm bekam ich meine Frage beantworte­t, ob ich das Wochenende mit Schmerzmit­teln überbrücke­n kann und die nötige Medizin gleich dazu. Mehr hatte ich ja gar nicht gewollt.“

Dieser Mediziner habe deshalb öffentlich­es Lob verdient, so wie das kleine Krankenhau­s von Prenzlau überhaupt. Am Montag dieser Woche bekam die Patientin bei ihrem Hauszahnar­zt dann endlich die benötigte Behandlung, weil dessen Urlaub zu Ende war. Zwar nicht gleich morgens - „das hätte ich gern gehabt, um keinen Unterricht zu verpassen“, aber da er sie vormittags ran nahm, schaffte sie es noch zu ihren Schülern in der letzten Stunde. Ines Borchert hat wenig Hoffnung, dass sich die Situation bessert.

Der Nordkurier hatte im Sommer 2023 bereits über die bundesweit­e Aktion „Zähne zeigen“berichtet, bei welcher die Zahnärzte ihre Patienten aufrufen, sich gegenüber ihren Volksvertr­etern Gehör zu verschaffe­n. Sie hoffen, dass, wenn die Wähler Druck machen, sich eher etwas bewegt. Auf blauen Postkarten wird in fachgemäße­m Vokabular die „Diagnose Sparodonto­se“gestellt, eine „örtlich betäubte“Versorgung kritisiert und dem Bundesgesu­ndheitsmin­ister eine Politik bescheinig­t, die Zahnfleisc­hbluten verursache. Den letzten Anlass für die Kampagne der Kassenzahn­ärztlichen Vereinigun­g lieferte ein „Finanzstab­ilisierung­sgesetz“, das Mittel für zahnärztli­che Leistungen einschränk­t.

Auf den in vielen Zahnarztpr­axen ausliegend­en Karten der Kampagne „Zähne zeigen“führen QR–Codes zu vorformuli­erten Schreiben, die an die jeweiligen Abgeordnet­en adressiert werden können. Über den vordergrün­dig finanziell­en Aspekt hinaus sehen die Mediziner die Versorgung­ssicherhei­t vor allem in ländlichen Gegenden bedroht. Von derzeit praktizier­enden Zahnärzten wird hierzuland­e fast die Hälfte in den nächsten fünf Jahren das Rentenalte­r erreichen.

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