Patientin fährt vergeblich alle Zahnarztpraxen ab
Ein vereiterter Zahn machte Ines Borchert das Leben schwer, doch ihr Doktor war im Urlaub; der Beginn einer leidvollen Odyssee. Hilfe kam erst spät - von unerwarteter Stelle.
PRENZLAU – Hinter Ines Borchert aus Schönwerder liegt eine schmerzhafte Odyssee. Die Sonderschulpädagogin wurde schon vor dem vergangenen Wochenende von heftigen Zahnschmerzen geplagt. Da ihr Doktor im Urlaub war, hoffte sie, so über die Runden zu kommen. Aber am Freitag hielt sie es dann nicht mehr aus: „Ich suchte mir den Vertretungsarzt raus und machte mich auf den Weg nach Prenzlau.“In der Kreisstadt angekommen, war die Patientin von einer Linderung ihrer Beschwerden allerdings weit entfernt. Denn es fand sich zunächst keine Praxis, welche die Lehrerin hätte behandeln wollen beziehungsweise können. An der ersten Adresse saßen bereits zwei Schmerzgeplagte, bei denen es nach Auskunft des Teams länger dauern sollte, schilderte unsere Leserin das Dilemma. Mindestens zweieinhalb Stunden hätte Ines Borchert dort warten müssen, bevor der Platz auf dem Zahnarztstuhl freigeworden wäre: „Es fand sich auch keine Möglichkeit, mich mal schnell zwischen zuschieben und zu gucken. Ich hätte mich ja schon mit Schmerztabletten zufriedengegeben. Na ja, ein Wort gab dann dort das andere, und ich bin weiter gefahren.“Doch auch in den nächsten Praxen bot sich ein ähnliches Bild. Entweder waren sie rammelvoll oder nur für Prophylaxe geöffnet. „Ich kam mir am Ende wie ein Bittsteller vor, nicht wie ein Patient. Das war wirklich unwürdig und nicht angemessen für jemanden, der seit Jahrzehnten f leißig Krankenkassenbeiträge bezahlt“, schimpfte die in Werbelow tätige Sonderschulpädagogin.
Mittlerweile weiß sie aus Gesprächen, dass sie an besagtem Freitag wohl nicht die einzige Schmerzgeplagte war, die so eine Odyssee hinlegte. „Schlimm, was aus unserem Gesundheitswesen geworden ist“, setzte sie nachdenklich hinzu. Den Ruf gerettet habe letztlich aber die Rettungsstelle des Prenzlauer Krankenhauses, wohin sie sich in letzter Not gewandt hatte. „Denn bis nach Angermünde oder Neubrandenburg fahren, wo der Zahnärztliche Notdienst war, wollte und konnte ich nicht mehr. Na jedenfalls fand sich in der Klinik sofort ein Doktor bereit, sich mein Problem mal anzuschauen. Sicher konnte der weder bohren noch plombieren. Aber von ihm bekam ich meine Frage beantwortet, ob ich das Wochenende mit Schmerzmitteln überbrücken kann und die nötige Medizin gleich dazu. Mehr hatte ich ja gar nicht gewollt.“
Dieser Mediziner habe deshalb öffentliches Lob verdient, so wie das kleine Krankenhaus von Prenzlau überhaupt. Am Montag dieser Woche bekam die Patientin bei ihrem Hauszahnarzt dann endlich die benötigte Behandlung, weil dessen Urlaub zu Ende war. Zwar nicht gleich morgens - „das hätte ich gern gehabt, um keinen Unterricht zu verpassen“, aber da er sie vormittags ran nahm, schaffte sie es noch zu ihren Schülern in der letzten Stunde. Ines Borchert hat wenig Hoffnung, dass sich die Situation bessert.
Der Nordkurier hatte im Sommer 2023 bereits über die bundesweite Aktion „Zähne zeigen“berichtet, bei welcher die Zahnärzte ihre Patienten aufrufen, sich gegenüber ihren Volksvertretern Gehör zu verschaffen. Sie hoffen, dass, wenn die Wähler Druck machen, sich eher etwas bewegt. Auf blauen Postkarten wird in fachgemäßem Vokabular die „Diagnose Sparodontose“gestellt, eine „örtlich betäubte“Versorgung kritisiert und dem Bundesgesundheitsminister eine Politik bescheinigt, die Zahnfleischbluten verursache. Den letzten Anlass für die Kampagne der Kassenzahnärztlichen Vereinigung lieferte ein „Finanzstabilisierungsgesetz“, das Mittel für zahnärztliche Leistungen einschränkt.
Auf den in vielen Zahnarztpraxen ausliegenden Karten der Kampagne „Zähne zeigen“führen QR–Codes zu vorformulierten Schreiben, die an die jeweiligen Abgeordneten adressiert werden können. Über den vordergründig finanziellen Aspekt hinaus sehen die Mediziner die Versorgungssicherheit vor allem in ländlichen Gegenden bedroht. Von derzeit praktizierenden Zahnärzten wird hierzulande fast die Hälfte in den nächsten fünf Jahren das Rentenalter erreichen.