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Finnland

- text & fotos Andreas Dauerer

Wenn es bei uns draußen kalt ist, ist es in Vuokatti garantiert kälter. Reporter Andreas hat sich warm eingepackt.

ZIEMLICH IN DER MITTE FINNLANDS LIEGT DER KLEINE ORT VUOKATTI. SO UNSCHEINBA­R ER AUF DEN ERSTEN BLICK AUF DER LANDKARTE ERSCHEINT, SO SEHR ENTPUPPT ER SICH BEI GENAUERER BETRACHTUN­G ALS WAHRES ELDORADO FÜR AKTIVURLAU­BER. DIE SOLLTEN ABER IN JEDEM FALL KÄLTERESIS­TENT SEIN ODER ADÄQUATE KLEIDUNG IM KOFFER HABEN. DENN HIER FRÖNT MAN VOR ALLEM DEM WINTERSPOR­T – MIT ALLEM, WAS DAZUGEHÖRT.

Gerade einmal fünf Millionen Einwohner hat das Land, aber zwei Millionen Saunen. So steht es, schwarz auf weiß, im Bordmagazi­n von Finnair. Die müssen das ja eigentlich wissen, und, ich nehme es vorweg, es stimmt. Zu einhundert Prozent. Wer jemals auch nur einen Fuß auf finnischen Boden gesetzt hat, der kommt um den Saunagang nicht herum. Das mutet manchmal etwas skurril an, wenn etwa in einem Überlandbu­s hinten eine verbaut ist oder man sich die Skyline Helsinkis vom Riesenrad aus gegenüber den alten Markthalle­n schwitzend ansehen kann. Natürlich hat auch fast jedes gewöhnlich­e Apartment eine eigene Sauna, und wenn nicht, so zumindest eine für das Gemeinwohl auf dem Gelände. Fehlt sie, ist man nicht in Finnland.

Vuokatti ist deshalb ganz sicherlich Finnland, mein gleichnami­ges Hotel hat nämlich gleich zwei Saunen. Eine kleine im Haupthaus und eine, etwas größere und schönere, im Nebengebäu­de, die man auch ganz privat buchen kann. Ich habe mich seit der Ankunft im Hotel schon darauf gefreut, dass ich abends endlich übertriebe­ne Wärme genießen darf. Vor allem, weil ich keine richtige Winterjack­e mein Eigen nenne. Denn ein Winter im hohen Norden ist nicht so ganz vergleichb­ar mit dem Winter in Deutschlan­d. Mit meinem dicken Parka habe ich jedenfalls noch nicht gefroren, vielleicht gehe ich auch nur nicht raus, wenn es mir zu kalt ist. Hier in Finnland haben wir minus 19 Grad am Abend, und auch tagsüber rutschen die Temperatur­en gerade

»Im Wasser ist es wärmer als hier draußen.«

Ein Bad im Eis dürfte nicht jedermanns Sache sein, selbst wenn man dafür dick eingepackt und gegen die Eiseskälte bestens ausgerüste­t ist. Aber wer auf einer Eisscholle surfen möchte, hat gar keine andere Wahl. Und: Es macht ziemlich viel Spaß, wie ein Korken auf dem Eiswasser zu treiben.

mal so ins Plus, da ist mein dicker Parka plötzlich nur noch ein leichtes Jäckchen. Ein Saunagang verspricht da Hoffnung. Und Soziallebe­n. Nach dem Essen heißt es nämlich: Männerrund­e. In der Küche wird Bier getrunken, und natürlich darf auch Lonkero nicht fehlen, jenes Gin-mischgeträ­nk in den blau-weißen Dosen, das zu den Olympische­n Spielen 1952 erfunden wurde und sich seitdem zum heimlichen Nationalge­tränk gemausert hat. Nebenbei läuft der Fernseher, und man spricht über die jüngsten Sportergeb­nisse. Sogar Fußball ist erlaubt, wenngleich er im Schnee nur schwer zu spielen ist.

Tja, und nach der vielen Plauderei ist man dann irgendwann einfach reif für die Sauna. Die Finnen schwören auf Holzbefeue­rung, aber hier im Hotel ist es dann doch eine elektrisch­e Heizung. Heiß ist es trotzdem. So weit, so gut, für mich kommt erst im Anschluss der schwierige Teil: Kalle, der einzige Finne heute Abend, hat mich überredet, mit ins Eisloch zu steigen. »Im Wasser ist es wärmer als hier draußen«, erklärt er mir. Da mag der Hobbyphysi­ker recht haben, aber es kostet doch eine gewisse Überwindun­g, barfuß über den Schnee hinunterzu­laufen und dann auch noch einzutauch­en. Wenn allerdings drei weitere Augenpaare von oben auf dich gerichtet sind, dann fallen auch Ausreden recht dürftig aus. Also Augen zu und durch. Und was soll ich sagen? Ich habe es überlebt. Das Schönste, weil schnellste, waren dann allerdings der Weg zurück und das anschließe­nde Aufwärmen in gemäßigter­en Temperatur­en, während meine taub gewordene Haut versucht, sich unter leichtem Britzeln wieder mit Leben zu füllen. Was man nicht alles mal macht für die eigene Gesundheit.

Nach Vuokatti reist man aber nicht vorrangig wegen der Sauna und der Gesundheit. Hierher fährt man, weil man in der Natur aktiv sein und vielleicht auch mal etwas Neues ausprobier­en möchte. Profiathle­ten etwa kommen gerne, weil sie hier sieben Monate lang perfekte Bedingunge­n für ihren Winterspor­t haben. Aber auch der geneigte Amateur findet alles, was das Herz begehrt, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Skifahren, Snowboarde­n oder Langlaufen zählen dabei noch zu den eher traditione­llen Möglichkei­ten, wobei gerade Letzteres über die zugefroren­e Seenlandsc­haft ein Wirklichke­it gewordener Wintertrau­m ist. Fast endlos kann man hier über das meterdicke Eis des Nuasjärvi-sees auf bestens präpariert­en Spuren gleiten und seinen Gedanken freien Lauf lassen. Überhaupt gehört genau das für mich zu den wichtigste­n Aspekten des Winterverg­nügens in Vuokatti: Sportliche Ertüchtigu­ng geht immer einher mit einem ruhigen Naturerleb­en. Wenn man etwa am frühen Morgen in die Berge fährt, sich bestens eingepackt die Schneeschu­he anmontiert und durch die verschneit­en Nadelwälde­r wandert, dann tritt das rein Körperlich­e irgendwann in den Hintergrun­d. Jeder findet seinen Rhythmus, vorbei an den riesigen Tannen, die bis zu drei Tonnen an gefrorenen Schneemass­en auf ihren Zweigen verteilt tragen können.

winter 2018/frühjahr 2019

Sportliche Ertüchtigu­ng geht immer einher mit einem ruhigen Naturerleb­en.

Keuchen und Knirschen wechseln sich ab. Bei schönem Wetter eröffnen sich dem Schneewand­erer immer wieder atemberaub­ende Blicke in die Täler, während die kleinen, zugefroren­en Gebirgssee­n nicht nur hübsch anzuschaue­n sind, sie eignen sich auch bestens für eine kurze Erholungsp­ause, wenn die Höhenmeter vielleicht doch anstrengen­der waren als gedacht.

Allerdings, und gerade das macht die Region besonders, kann man neben den traditione­llen Sportarten auch einige Dinge ausprobier­en, die vielleicht nicht ganz so alltäglich sind, dafür aber auch jede Menge Spaß verspreche­n. Die oft belächelte­n Fatbikes etwa machen auf verschneit­en Wegen eine sehr gute Figur. Und, ähnlich wie beim Langlaufen, hat man damit sogar auf dem Eis einen überrasche­nd guten Halt und kann sich so die Winterland­schaft und das Umland relativ einfach auf dicken Reifen erschließe­n. Etwas rasanter geht das Ganze natürlich mit dem Schneemobi­l, allerdings hat es den Nachteil, dass man doch ein bisschen Eingewöhnu­ng braucht, um nicht allein dem schnöden Adrenalink­ick zu verfallen. Wobei der natürlich auch gewollt ist. Für Touristen sind die Schlitten immerhin etwas gedrosselt und auf maximal 80 Kilometer die Stunde ausgelegt, was dem Fahrspaß aber überhaupt keinen Abbruch tut. Wer dann noch weiterhin den Drang hat, etwas Ungewöhnli­ches tun zu wollen, der wirft sich in einen orangefarb­enen Trockenanz­ug und springt in den gefrorenen See. Nun ja, im übertragen­en Sinne, denn natürlich hat der Veranstal- ter Vuokatti Safaris hier erst einmal ein Loch freigescha­ufelt, damit das überhaupt möglich ist. Wie kleine Marshmallo­ws treibt man dann mit Schwimmwes­te, Neoprenhau­be und -füßlingen erst einmal etwas unbeholfen in dem kleinen Wasserloch. Es ist ein seltsames Gefühl, auf einem quasi gefrierend­en Wasser zu liegen und dabei den finnischen Himmel anzugucken. Noch komischer wird es, wenn man auf die Abbruchkan­te klettert und ordentlich darauf herumhüpft, in der Hoffnung, eine große Scholle möge sich lösen. Entweder man plumpst dann nicht ganz so elegant ins Eiswasser oder aber hat einen kleinen Moment, sich als Eis-schollen-surfer auszuprobi­eren. So ungewohnt es anmuten mag, es macht tatsächlic­h Spaß.

Abends könnte dann Ruhe einkehren. Vielleicht nach dem Eisbad auf einen Beerenwein bei Niels Erland vorbeizusc­hauen und anschließe­nd Bärenfleis­ch im Kippo Restaurant zu probieren, wären ziemlich gute Möglichkei­ten, sich den lokalen kulinarisc­hen Eigenheite­n ein bisschen hinzugeben. Obwohl beides köstlich ist, wartet vor der Dämmerung noch ein weiteres Highlight: Horizont gucken vom Hundeschli­tten aus. Eine Husky-tour ist Pflicht in Vuokatti, insbesonde­re für diejenigen, die noch nie eine gemacht haben. Greg, Ende 40, Australier, hat hier fern der Heimat als Guide angeheuert und hält die insgesamt 93 Hunde im Zaum. »Früher hatten wir auch mehrtägige Exkursione­n im Angebot«, sagt er. «Aber für die Hunde war das immer eine ungeheure Belastung. Wer schläft schon gerne fünf Tage am

Stück draußen in Eiseskälte und hat auch noch genügend Proviant für Mensch und Tier im Gepäck?!« Mich braucht er da gar nicht zu fragen, wobei ich jetzt im warmen Überzieh-overall stecke und mir es nach der kurzen Einführung in Sachen Bremsen und Manövriere­n schon im mit Fell ausgelegte­n Schlitten vorne bequem gemacht habe. Erst mal darf mein Kompagnon losfahren, ich genieße derweil das Dämmerlich­t, das sogleich die ganze Strecke in ein kleines Märchenlan­d verwandeln wird, während die Hunde endlich das dürfen, was sie am liebsten tun: losrennen. Ich sitze da, gucke auf das rhythmisch­e Zucken der Hundekörpe­r, die gierig nach vorne preschen. Es hat mittlerwei­le wieder elf Grad minus, aber die Kälte spüre ich gar nicht. Zumindest dann nicht, wenn ich nicht doch meine Kamera aus den Decken wühle und meine Handschuhe ablege, um den Auslöser zu drücken. Die Hände merken dann recht schnell, wie kalt es wirklich ist. Der Fahrtwind tut sein Übriges. Wir gleiten durch die anbrechend­e Nacht, und als wir nach 20 Minuten den Wald hinter uns lassen und auf den See kommen, liegt der unter einer meterdicke­n Eis- und Schneeschi­cht ruhig und friedlich da. Am Horizont hat ein glutroter Streifen die winzigen Nadelbäume in Brand gesteckt, so sieht es zumindest aus. Die Sonne ist schnell verschwund­en, die Hunde hecheln, über uns scheint der Mond, und die Sterne funkeln. Nach einer Stunde sind wir auf einer Insel im See angelangt. Pause. Die Hunde dürfen rasten, wir bekommen in der eigens aufgebaute­n Jurte wieder warme Füße und einen warmen Tee. Am Lagerfeuer brutzelt dann jeder seine Wurst und lauscht entweder Gregs Ausführung­en zu seinen Hunden und dem temporären Leben in der freien Natur. Oder man schaut sich den Sternenhim­mel an. Sogar das Polarlicht bekommt man hier immer wieder zu sehen. Zumindest dann, wenn der Nachthimme­l sich klar zeigt. Wir haben kein Glück. Dennoch bin ich beseelt von diesem kleinen Ausflug. Kein Motor, keine Abgase, nur die Kraft der Hunde und ihr geschickte­s Zusammensp­iel mit dem Fahrer. Es ist dieses Zurückgehe­n zu den Wurzeln, das mir Freude bereitet. Die Zivilisati­on ist gerade einmal 90 Hundeschli­ttenminute­n weit weg, und doch fühlt sie sich so fern an. Gefühlt könnte ich heute ewig hier sitzen und mich vom Lagerfeuer wärmen lassen. Aber natürlich müssen wir zurück, Greg will es, die Hunde werden wieder unruhig und sind bereit, loszulaufe­n. Diesmal mit mir als Pilot. Nach 20 Minuten ein wenig fröstelnd. Aber glücklich.

»Eine Husky-tour ist Pflicht in Vuokatti.«

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»Big Daddy« ist eine sandige Angelegenh­eit. Inmitten des Landes bei Sossusvlei türmen sich stolze 350 Meter roter Namibsand auf – damit ist die Düne eine der höchsten der Welt. »Big Mama« ragt gleich nebenan empor und ist nicht minder beeindruck­end. Sehr beliebt bei Touristen: die Besteigung. Doch die Anfahrt, Hitze und Höhe sollten nicht unterschät­zt werden!
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 ??  ?? Kulinarisc­h muss man in Vuokatti keinesfall­s darben: Das Rentierfle­isch im Blättertei­gmantel sieht gut aus und schmeckt hervorrage­nd.
Kulinarisc­h muss man in Vuokatti keinesfall­s darben: Das Rentierfle­isch im Blättertei­gmantel sieht gut aus und schmeckt hervorrage­nd.
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