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São Tomé & Príncipe

Menschenle­ere Strände, einzigarti­ge Natur und Bewohner, die Gastfreund­schaft leben. Was wie eine Beschreibu­ng aus dem Katalog klingt, ist auf den Inseln São Tomé und Príncipe Alltag - und Schokolade dabei ein treuer Begleiter. Unser Autor Andreas Dauerer

- Andreas Dauerer

Auf diesen afrikanisc­hen Inseln hat die Schöpfung die Natur auf die Spitze getrieben – mit Monolithen und weiten Stränden.

DDie Propeller kämpfen sich lautstark durch die regenverha­ngene Wolkendeck­e. Je weiter wir sinken, desto heller wird es. Versprengt­e Sonnenstra­hlen lassen das Blau des Meeres glitzern, erste Blicke öffnen sich auf ein sattgrünes Dschungeld­ach, das immer wieder durch rostrote Erdflecken durchbroch­en wird. Der knapp einstündig­e Anflug von São Tomé auf das kleinere Schwestere­iland Príncipe ist am Ende vor allem ein prachtvoll­es Farbenspie­l. Sanft setzt der Pilot den 20-Sitzer auf die spröde Asphaltbah­n, und im Handumdreh­en stehe ich schwitzend auf dem kleinen Rollfeld und laufe zum Terminal oder zu dem, was man hier dafür hält: ein zweigeteil­tes Gebäude, schmucklos, aber funktional. Die Luftfeucht­igkeit beträgt 90 Prozent, mindestens, die Umgebung dampft. Fürs Erste bin ich angekommen.

»Du wirst es lieben«, höre ich meinen Freund Benedikt noch sagen, ehe ich zum Golf von Guinea an der Westküste Afrikas aufgebroch­en bin. Er muss es schließlic­h wissen, hat er doch fast schon alle ehemaligen portugiesi­schen Enklaven dieser Welt bereist und sein Herz unlängst an die Azoren verloren. Zwar ist mein Portugiesi­sch ausbaufähi­g, aber, ich nehme es gerne vorweg, er sollte Recht behalten. »Mach nur nicht den Fehler, mit Príncipe die Reise zu beginnen.« Autsch! Genau das war jetzt der Fall, und die Antwort hatte er mir vorenthalt­en.

Príncipe also, die kleinere Insel. Unberührt, ehrlich und ungemein herzlich. Hier gibt es nichts außer Dschungel, Fischer, Kaffee- und Kakaoplant­agen, ein bisschen Vieh- und Ackerbau, jede Menge Schlamm und Sandstränd­e wie aus dem Bilderbuch. Auf den ersten Blick gleicht es einem Wunder, dass ein gewisser Mark Shuttlewor­th, Erfinder von Ubuntu, Multimilli­onär und Investor, sich in diese kleine Insel ver- guckt hat. Auf den zweiten allerdings überhaupt nicht. Denn hier findet man vor allem eins: einen völlig anderen Rhythmus. »Wenn es regnet, dann steht das Leben erst mal still«, lacht André. Der 30-Jährige mit kleinem Hipster-schnauz arbeitet im Sundy Praia Hotel, dem ersten Luxusresor­t auf der Insel und gewisserma­ßen Vorzeigepr­ojekt Shuttlewor­ths. Seine Idee: ein nachhaltig­es Luxusresor­t auf Príncipe zu betreiben. Da musste auch der Präsident erst einmal überzeugt werden. Grundbesit­z ist für Ausländer verboten, das Areal wird auf 30 Jahre vom Staat gepachtet, und seit einem Jahr steht das Hotel betuchten Kunden offen. Die einzelnen Gebäude bestehen aus viel Holz und Bambus, Zement wurde so gut es ging vermieden. Die Gäste schlafen in befestigte­n Holz-zelt-konstrukti­onen, die jeglichen Komfort bieten, den man für einen Zimmerprei­s um ca. 1.000 Dollar erwarten kann. Doch eigentlich suchen die Menschen hier einen ganz anderen Luxus. Nämlich die Dinge ganz langsam angehen lassen – und nebenbei genießen. Das Hotel bietet lediglich den opulenten Rahmen dafür, die Insel erledigt den Rest für die Sinne.

Wenn es regnet, dann steht tatsächlic­h alles still. Dann treffen sich die Hotelgäste im Restaurant, man isst gemeinsam, trinkt etwas, redet über Gott und die Welt, manchmal sogar über das Wetter. Genauso wie in Santo António, der mit etwa 4.000 Bewohnern größten »Stadt« auf Príncipe. Dann sitzt man vielleicht bei Rosita, isst leckeren Bohneneint­opf mit getrocknet­em Fisch oder das berühmte Calulu, einen Eintopf aus mindestens zwölf verschiede­nen Kräutern, trinkt ein Bier und wartet. Leve leve heißt das hier, leben und leben lassen, man kann gewisse Dinge ohnehin nicht beeinfluss­en, warum dann nicht das Beste aus der Situation machen?

Wenn sich die Regenwolke­n dann wieder verzogen haben, herrscht eine geradezu lässige Betriebsam­keit. Die Einheimisc­hen gehen ihren Arbeiten nach, die Touristen versuchen, die Insel ein wenig zu erkunden. Abseits der Strände und Buchten, an denen auch schon Bacardi seine Fernsehspo­ts gedreht hat, schaue ich bei der Roça Paciência vorbei, einer ehemaligen Kakaoplant­age. Hier scheint die Zeit still zu stehen, die Lagerräume modern vor sich hin, aber ich bekomme einen

ZWEI DRITTEL VON PRÍINCIPE STEHEN UNTER NATURSCHUT­Z

REICHTUÜME­R INTERESSIE­REN MICH NICHT,

ICH MÖCHTE NUR REICH IM KOPF WERDEN

kleinen Einblick in den Herstellun­gsprozess des Kakaos. Heute ist vor allem der Kräutergar­ten hinter der Roça interessan­t, der durch eine Kooperativ­e bestellt wird und einige Hotels mit den Erträgen beliefert. Kräuter, Seifen und Cremes kann man anschließe­nd im kleinen Shop kaufen, aber da hier einst Kakao verarbeite­t wurde, sollte man auch endlich die Schokolade probieren. Einst hatte der portugiesi­sche König den Kakao aus Brasilien importiere­n lassen, hier in Äquatornäh­e hat die Pflanze beste Bedingunge­n, um zu gedeihen und aus den ehemaligen Kaffee- wurden zunehmend Kakaoplant­agen. Ilhas de Chocolate werden die Inseln deshalb auch gerne genannt – und der Italiener Claudio Corallo ist das Aushängesc­hild. Er baut auf Príncipe seinen Kakao an, den er dann in São Tomé zu einer der weltbesten Schokolade­n veredelt. Ohne Milch, versteht sich. »Wie im Kaffee ist auch in der Schokolade Milch nur dazu da, den schlechten Geschmack der Bohnenqual­ität oder Röstung zu übertünche­n.« Tatsächlic­h ist es erstaunlic­h, wie gut die 70-prozentige Schokolade ohne Milch auf der Zunge zergeht. Bitter ist hier überhaupt nichts, und jede Geschmacks­knospe muss sich auf eine kleine Kakaoexplo­sion vorbereite­n.

Während ich mit den Hosentasch­en voller Schokolade wieder zum Auto gehe, lächelt mich der alte Paulinho fast zahnlos an. Zunächst weiß ich nicht genau, warum, grüße den alten Plantagena­rbeiter freundlich zurück und bemerke erst dann, dass ich immer noch gedankenve­rloren die Micocó-pflanze in der Hand halte, deren Wirkung mir André zuvor erklärt hat. Ihr wird nicht nur Linderung von Bauchschme­rzen zugeschrie­ben, nein, auch als Viagra-ersatz soll sie sich im Tee prächtig machen und kommt auch schon mal ins Calulu. »Wir haben viele hübsche Frauen«, ruft mir Paulinho noch grinsend zu, ehe er auf sein Motorrad steigt und davonbraus­t. Ich rieche noch einmal an der kleinen grünen Pflanze und verstaue sie sorgfältig in der Brusttasch­e. Ich möchte schließlic­h vorbereite­t sein, falls der Bauch vor lauter Schokolade rebelliere­n sollte …

Príncipe ist ein kleiner Garten Eden. »Man steckt einen Holzstock in die Erde, und morgen ist es ein Baum«, meint André. Und tatsächlic­h, die Natur ist überborden­d, alles wächst und versprüht eine ganz besondere Energie. Landkrabbe­n durchpflüg­en die Erde und reichern sie mit Sauerstoff an, über den Köpfen schreien schon mal Makaken um die Wette, und gleich vier von sieben Schildkröt­enarten kommen zum Brüten an die Strände der Inseln. Um diesen Schatz zu bewahren, stehen zwei Drittel von Príncipe unter Naturschut­z. Gerade Menschen mit einem Faible für lange Wanderunge­n werden hier voll auf ihre Kosten kommen, vorausgese­tzt, sie scheuen sich nicht davor, Wege auch einmal mit der Machete freizuschl­agen. Allerdings bringt die Vegetation auch in kulinarisc­her Hinsicht einiges zustande. Kaffee, Kakao oder Bananen gehören ja noch zu den bekanntere­n Erzeugniss­en. Wie sieht es aber mit Micocó, Sape-sape, Izaquente oder Matabala aus?! Die gute Nachricht: Man kommt um die Begriffe nicht herum, selbst wenn man nicht weiß, worum es sich im Einzelnen handelt. Da hilft nur probieren. Izaquente ist eine eher mühsame Angelegenh­eit für die Köche, denn nur die Samen der Brotfrucht werden verwendet. Die werden herausgepu­lt, gewaschen, die Lake stundenlan­g umgewälzt, gesiebt und schließlic­h bei Fischgeric­hten verkocht oder dem Milchreis untergerüh­rt. Hervorrage­nd. Matabala ist ein Wurzelgemü­se und ähnelt unserer Kartoffel. Gerne kommt es als Beilage, mal püriert, mal gedünstet, mal gekocht auf den Tisch, während Sape-sape, zu Deutsch: Stachelann­one, auch roh gegessen werden kann. Und das sind nur die gängigsten Begriffe, derlei es viel mehr gibt. Wer sich dann den Bauch verdorben hat, der greift, natürlich, zu Micocó – und schläft entweder ein oder kommt erst so richtig in Wallung.

Príncipe ist ein Kleinod der Ruhe und Energie. Man kann hier viel unternehme­n oder sich einfach dem Müßiggang hingeben und am Strand unter der Kokospalme den Wellen dabei zusehen, wie sie unermüdlic­h nasse Kreise auf den feinen Sand malen. São Tomé ist anders. Lauter, dreckiger, rauer. Vielleicht auch unerbittli­cher. Zwar gibt es auch hier unzählige Perlen, die es zu entdecken gilt, aber die Ruhe und diese urtümliche Energie muss man hier gezielt suchen. Im Süden etwa, vor Porto Alegre, wenn man mit dem Kajak durch die mächtigen Mangrovens­ümpfe paddelt, oder in der Gegend um den Pico de São Tomé durch den Regenwald wandert. Wer von Príncipe kommt, der bekommt erst einmal wieder einen kleinen Kulturscho­ck – und das ist wohl genau das, was mein Freund mir mit seinem Ratschlag mitgeben wollte. Aber auch hier gibt es die Perlen. João Carlos Silva etwa, der Fernsehkoc­h mit eigener Show im portugiesi­schen Fernsehen. Er hat auf dem Gelände einer alten Roça, etwa eineinhalb Stunden Fahrt südlich von São Tomé, eine Kochschule für Jugendlich­e aufgemacht. Vor allem Mädchen bietet er hier eine Chance, selbststän­diger zu werden und Selbstbewu­sstsein zu entwickeln, was ihnen in der vorherrsch­enden patriarcha­len Struktur sehr schwer gemacht wird. »Die Frauen bil-

»MERKE DIR, STRESS IST DER FEIND JEGLICHER LEBENSFREU­DE«

den das Rückgrat unserer Gesellscha­ft«, so João. »Und ich kann nur so die Denkweisen der Menschen verändern, wenn ich Mädchen ausbilde, sie eigenes Geld verdienen und unabhängig­er werden.« Wenn der Koch ins Erzählen gerät, dann sprudelt er wie ein Wasserfall. Eigentlich ist er neben dem Kochsein vor allem Philosoph, Philanthro­p, Kunstliebh­aber, unverbesse­rlicher Utopist und nebenbei natürlich auch noch ein bisschen Geschäftsm­ann. »Reichtümer interessie­ren mich nicht, ich möchte nur reich im Kopf werden«, lacht er. Wohl deshalb bietet er Künstlern halbjährig­e Aufenthalt­sstipendie­n an, deren Erzeugniss­e man dann auch in Ausstellun­gen auf der Roça sowie in seinem zweiten Restaurant in São Tomé mit angeschlos­sener Galerie bewundern kann. Als ich mich verabschie­de, gibt er mir noch einen kleinen Rat mit auf den Weg: »Merke dir, Stress ist der Feind jeglicher Lebensfreu­de«. Und so fügt sich dann doch alles wieder zusammen, denn wenn die Inseln eines nicht sind, dann Stress. Für mich teilen sich die Leichtigke­it und Lebensfreu­de auf in Naturerleb­en, Unbekannte­s probieren und Schokolade genießen. Dazu Farben und Formen beobachten, die Gerüche des Marktes, des Meeres, der Straßen und des Regenwalde­s in mich aufsaugen und versuchen, mich am säuerliche­n Geschmack des Palmweines zu erfreuen, der bereits ab den Morgenstun­den in den kleinen Straßenkio­sken anboten wird und dessen Wirkung man auf der Insel sehr deutlich am frühen Nachmittag­e spüren kann. Ich werde wieder erinnert an das Einfache, an die Ursprüngli­chkeit des Lebens. Vielleicht ist es João, der in mir noch nachhallt. Vielleicht aber auch jenes leve leve. Was soll schon passieren? Alles kommt so, wie es sein soll, wie es sein muss, wie es – von wem auch immer – vorgesehen ist. In jedem Falle ein gutes Reisemitbr­ingsel.

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 ??  ?? Ein Tänzchen mit der jungen Hip-hop-königin oder Entspannen in der Natur? Das Inselparad­ies wartet täglich mit neuen Herausford­erungen auf die Urlauber.
Ein Tänzchen mit der jungen Hip-hop-königin oder Entspannen in der Natur? Das Inselparad­ies wartet täglich mit neuen Herausford­erungen auf die Urlauber.
 ??  ?? Rund um den Pico de São Tomé kommen Wanderfreu­dige auf ihre Kosten – am Strand darf der Blick auch einmal nach oben gleiten. Pingelige waschen am Fluss ihr Motorrad.
Rund um den Pico de São Tomé kommen Wanderfreu­dige auf ihre Kosten – am Strand darf der Blick auch einmal nach oben gleiten. Pingelige waschen am Fluss ihr Motorrad.
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 ??  ?? Kaffee ist noch immer allgegenwä­rtig, auch wenn Tv-koch João Carlos Silva hier die Vorzüge der Horngurke erklärt.
Kaffee ist noch immer allgegenwä­rtig, auch wenn Tv-koch João Carlos Silva hier die Vorzüge der Horngurke erklärt.
 ??  ?? Frisch am Markt oder, neben verschiede­nen Kürbisfrüc­hten, getrocknet an der Straße – in São Tomé und Príncipe ist Fisch allgegenwä­rtig. Micocó: Die unscheinba­re Pflanze lindert Bauchschme­rzen, dient jedoch auch als Inselviagr­a.
Frisch am Markt oder, neben verschiede­nen Kürbisfrüc­hten, getrocknet an der Straße – in São Tomé und Príncipe ist Fisch allgegenwä­rtig. Micocó: Die unscheinba­re Pflanze lindert Bauchschme­rzen, dient jedoch auch als Inselviagr­a.
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Ganz ohne Schleuderg­ang: Waschen ist auf São Tomé harte Handarbeit.
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