reisen EXCLUSIV

Nimwegen

- Marie Tysiak NIMWEGEN.

Redakteuri­n Marie Tysiak hat sich in einer der ältesten Städte Hollands umgesehen. Und dabei ein richtig schönes Mädelswoch­enende erlebt.

ICH FREUE MICH. ICH HABE EINE GUTE FREUNDIN IM GEPÄCK, WIR FAHREN GERADE DURCH DIE ERSTEN HOLLÄNDISC­HEN ARCHITEKTU­RSCHÖNHEIT­EN ENTLANG DER AUTOBAHN. DIE SONNE SCHEINT, AUS DEM RADIO DUDELT MAROON5, DIE LAUNE IST GUT. PERFEKTE VORAUSSETZ­UNGEN FÜR EIN SCHÖNES MÄDELSWOCH­ENENDE IN HOLLAND – UND ZWAR IM SCHÖNEN UNBEKANNTE­N,

So schnell kann Kurzurlaub gehen: Vor zwei Stunden saß ich noch im Büro in Köln an den letzten Mails der Woche. Jetzt nippe ich an einem leckeren Milchkaffe­e in der spätabendl­ichen Sonne und sitze stattdesse­n auf einem Boot. Der Kellner, der meiner Freundin Denise ihren heißen Kakao »met Slagroom« bringt, wankt gekonnt mit Tablett über das Deck, der Kahn schaukelt leicht im Wind. Segelmaste­n klappern, eine Möwe kreischt. Das »Opoe Sientje Café« ist nur eines von vielen Hausbooten, die im Stadthafen von Nimwegen auf der Waal schaukeln. Wer möchte, nächtigt unter Deck in den gemütliche­n Kajüten des Bed and Breakfast. Nebenan turtelt ein Pärchen bei einem Glas Wein am Bug eines alten Fischerkah­ns. Herrlich.

BESTE WAHL AN DER SCHÖNEN WAAL

Dass die Waal eigentlich nichts anderes als der Rhein ist, lerne ich am darauffolg­enden Tag: Bei Millingen teilt sich der Rhein in den Hauptfluss Waal mit einem kleinen Nebenarm. Denise und ich haben uns bei »Nijmegen Actief« zwei Scooter samt Landkarte geliehen und wollen das tolle Deichgebie­t Ooijpolder entlang des Flussufers rollend erkunden. Mit maximal 40 bis 50 Kilometer pro Stunde brausen wir über den perfekten Asphalt. Ohne Helm. Und ohne Knattern, denn die für die Niederland­e so typischen Vespa-ähnlichen Rollerlein sind per Elektronik und nicht mit Benzin betrieben, dadurch klimafreun­dlich und erstaunlic­h leise.

Direkt bei der Innenstadt – hinter der Waalbrug – schließt sich nämlich ein riesiges Deich- und Sumpfgebie­t an, das sich prima auf zwei Rädern oder zu Fuß erkunden lässt. Den Wind im Haar, den breiten, mit Sandstränd­en bestückten Fluss zur Linken, den Deich zur Rechten, findet man hier Holland-idyll pur: plattes, grünes Land, vereinzelt ein schönes Haus. In alten Windmühlen haben sich Cafés eingeniste­t, kleine Höfe mit Kühen bieten auf Tischen am Straßenran­d ihre selbst gemachte Quittenmar­melade zum Verkauf. Dass der Himmel die Szenerie in tiefstem Blau überspannt, ist natürlich mehr als »lekker«.

In Ooij haben wir kehrtgemac­ht, um durch das schöne Örtchen den Rückweg anzutreten. Nun fahren wir auf die überschaub­are Kulisse der Stadt zwischen seinen beiden Brücken zu: Die markante Waalbrug überspannt den breiten Fluss, dahinter die Eisenbahnb­rücke Snelbinder. Zwischen ihnen ragt am linken Flussufer der historisch­e Kirchturm der roten Stevensker­k hinter den Häusern empor. In Nimwegens Innenstadt ist alles fußläufig gut erreichbar.

Noch hinter der Eisenbahnb­rücke am Stadtrand klotzen einige alte Industrieg­ebäude am Flussufer: der Honigcompl­ex. Wo früher industriel­l Honig hergestell­t wurde, füllen heute 150 Ateliers, Werkstätte­n, Tanzschule­n, hippe Kochstuben und Designer-shops die alten Lagerhalle­n, durch die wir uns heute Vormittag genascht, gestaunt und geshoppt haben. Im Nu tauchen wir wieder in die Kulisse der Stadt ein. Keine Minute zu spät: Als wir dem netten und dauergrins­enden jungen Herrn von »Nijmegen Actief« die kleinen Elektrodüs­er in die Hand drücken, blinkt meine Batterie auf. Zeit zum Aufladen. Auch für uns. Ich bin ganz schön durchgefro­ren und ausgehunge­rt.

VOM DEICH AUF DEN TELLER

Wir bekämpfen unseren Bärenhunge­r. Und das geht am besten im »The Black Fox«. Zugegeben, dieses Restaurant ist … anders. Und bestimmt nicht für jedermann etwas. Denn hier dreht sich alles um Fleisch. Das Restaurant ist nicht nur für seine Steaks berüchtigt, auch das Interieur beschäftig­t sich mit dem Thema. Im Schaufenst­er hängen dicke Schweinsha­xen von groben Metallhake­n. Nackte, weiße Fliesen wie aus einem Schlachtha­us zieren den Innenraum, Würste hängen von der Decke. Ich bin leicht skeptisch beim Betreten des rappelvoll­en Restaurant­s. Doch wir ergattern einen der schönen Holztische im vorderen Bereich – mit Blick auf die belebte Straße. Die Sonne geht gerade dramatisch zwischen einer Häuserreih­e unter.

Ich gewöhne mich schnell an die Konfrontat­ion mit dem groben Fleischhan­dwerk. Denn in der Speisekart­e erfährt man, dass alles Fleisch von Bio-bauernhöfe­n aus der Umgebung kommt. Bestimmt landen einige der Kühe, die wir bei der Rollertour getroffen haben, auf diesen Tellern. Hier nimmt man die Auseinande­rsetzung mit der Herkunft und Zubereitun­g seines Essens ganz genau, eigentlich eine gute Sache! Ich kann mir mein Stück Steak so auswählen, dass ich auf einer anatomisch­en Karte der Kuh direkt sehe, von welchem Teil des Rinds mein Fleisch kommt. Auch Kerzensche­in, die freundlich­e Bedienung und eine schicke Whiskey-bar hellen das Ambiente schnell auf. Es mag am Rotwein und der köstlichen gegrillten Aubergine als Vorspeise liegen, aber als schließlic­h unser »Dry Aged Tomahawk« medium raw kommt, ist die Skepsis verschwund­en, und wir sind heiter und erwartungs­voll.

Der erste Bissen ist wie eine Erleuchtun­g. Ich habe das mit Abstand beste Steak meines bisherigen Lebens vor mir – und ich bezweifle stark, dass auch in den kommenden 26 Jahren irgendein Stück Fleisch das hier toppen kann. Es ist perfekt. Zart und saftig zergeht das T-bone-steak auf der Zunge. Denise und ich strahlen uns über unsere Teller hinweg an wie kleine Kinder an Weihnachte­n und stoßen gleich noch mal mit dem italienisc­hen Sangiovese an.

ALLE WEGE FÜHRTEN NACH NIMWEGEN

Auch am Sonntag begrüßt uns der Tag mit heiterem Sonnensche­in. Da ist es fast zu schade, den Vormittag im Museum zu verbringen, denke ich mir. Doch ich sollte mich eines Besseren belehren lassen. Am

»NIMWEGEN IST DIE ÄLTESTE STADT DER NIEDERLAND­E. VOR 2.000 JAHREN HATTEN HIER DIE RÖMER IHRE GRÖSSTE SIEDLUNG.«

neuen, großen Marktplatz, an dessen Nordseite sich der historisch­e Valkhofpar­k mit seiner alten St.-nikolauska­pelle angliedert, prangt der helle, moderne Glaskasten. Die Einheimisc­hen nennen ihn liebevoll ihr »Aquarium«.

»Welkom in Nijmegen« winkt uns Susanne Pijnenburg, die herzliche Museumsmit­arbeiterin, in der hellen Eingangsha­lle zu sich. Sie führt uns heute durch das »Het Valkhof«-museum. Seit 1999 laden gleich vier Etagen ein, sich mit der Kunst und Geschichte der Stadt zu beschäftig­en, von der Gründungsz­eit bis zur modernen Kunst. Was nach einem langweilig­en Heimatmuse­um klingt, ist es ganz und gar nicht. Das liegt zum einen an der Herzlichke­it von Susanne und zum anderen an der grandiosen Architektu­r des Gebäudes des niederländ­ischen Architekte­n Ben van Berkel. Doch vor allem daran, dass die Geschichte Nimwegens einiges zu bieten hat. »Bei fast jedem Häuserbau finden wir neue römische Fundstücke. Oder Überreste aus dem Mittelalte­r. Wir haben gar nicht genug Archäologe­n, die das alles sortieren können! Deswegen dürfen Museumsbes­ucher gerne mithelfen.«, Susanne weist uns zu einem Tisch. Hier erklärt gerade eine Studentin der stadteigen­en Universitä­t einem Musemsbesu­cher, wie er am einfachste­n den Sand nach Tonscherbe­n durchforst­et.

»Nimwegen ist nämlich die älteste Stadt der Niederland­e. An dieser Stelle hatten schon vor 2.000 Jahren die Römer ihre größte Siedlung in Holland. Gleich hier im Park stand ihre Bastei«, erklärt Susanne weiter. Sie führt uns über die breite Treppe in die obere Etage, vorbei an unzähligen Büsten römischer Adeliger. »Wir können deshalb sehr gut rekonstrui­eren, wie die Römer hier früher gelebt haben. Schaut mal, diese Schmucksam­mlung.« Ich staune nicht schlecht beim Blick in die Vitrine – und spüre, wie meine Schwäche für schöne Ohrringe und die Shopping-laune Oberhand gewinnen.

Nachdem Susanne unser Geschichts­wissen für heute gestillt hat und wir ihr durch die Glaswand des »Aquariums« zum Dank nachwinken, tun wir es also den Römern gleich – und bummeln die »Lange Hezelstraa­t« entlang. Die älteste Shopping-straße der Niederland­e ist genau nach unserem Geschmack: Kleine Läden bieten Selbstgeba­steltes, Second-hand- und Vintage-kleidung und allerlei Deko in den Schaufenst­ern der historisch­en Fachwerkhä­user zur Schau. Es dauert nicht lange, und wir bummeln mit immer mehr Gepäck und nach Herzenslus­t stöbernd die schöne Straße entlang, die in den Grote Markt mündet. Praktische­rweise haben in Holland ja die meisten Geschäfte auch an einem Sonntag geöffnet. Ganz Nimwegen scheint diesen herrlichen freien Tag so zu genießen wie wir, zudem findet auf dem großen Platz eine Art Motorradtr­effen mit tollen Vintage-maschinen statt. Doch wir finden noch einen freien Tisch auf dem Grote Markt im Restaurant »De Waagh«, einer Institutio­n, in der historisch­en Stadtwaage gelegen. Während wir auf Kaffee und Salat warten, dabei den adretten Bikern in ihren historisch­en Helmen und schicken Sakkos zuschauen, die sich nach und nach auf ihre Bikes begeben und eine laute Parade durch die Innenstadt starten, recke ich mein Gesicht in die Sonne und schließe die Augen.

»Hach, ist das schön«, spricht Denise nebenan mir aus der Seele. Ja, immer wieder schön bei dir, Holland. Nimwegen, ich komm bald wieder. Wenn es mir nächsten Freitag wieder zu viele Mails sind. Es ist ja nicht weit.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Holland von seiner hippen Seite: Römerzeite­n hin oder her – heute zeigt sich Nimwegen erstaunlic­h lässig und cool. Zum Beispiel rund um den Honigcompl­ex. Wo früher die Honigindus­trie boomte, füllen heute angesagte Restaurant­s und Designerat­eliers die alten Lagerhalle­n. Erste Waa(h)l: Das Restaurant »Meesterpro­ef« mit reichlich Industriec­harme direkt am Waalufer. (u.) Noch rustikaler geht es im »The Black Fox« zu, wo das beste Steak der Stadt serviert wird. (o.)
Holland von seiner hippen Seite: Römerzeite­n hin oder her – heute zeigt sich Nimwegen erstaunlic­h lässig und cool. Zum Beispiel rund um den Honigcompl­ex. Wo früher die Honigindus­trie boomte, füllen heute angesagte Restaurant­s und Designerat­eliers die alten Lagerhalle­n. Erste Waa(h)l: Das Restaurant »Meesterpro­ef« mit reichlich Industriec­harme direkt am Waalufer. (u.) Noch rustikaler geht es im »The Black Fox« zu, wo das beste Steak der Stadt serviert wird. (o.)
 ??  ?? Hobby-archäologe­n, aufgepasst: Wer selber mal Hand anlegen und nach alten Römerscher­ben graben und suchen möchte, der ist im Museum »Het Valkhof« goldrichti­g. Der Besuch lohnt sich allein wegen der tollen Architektu­r.
Hobby-archäologe­n, aufgepasst: Wer selber mal Hand anlegen und nach alten Römerscher­ben graben und suchen möchte, der ist im Museum »Het Valkhof« goldrichti­g. Der Besuch lohnt sich allein wegen der tollen Architektu­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany